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02.10.10 / Das Personalkarussell leert sich / Potsdam: Rücktritt von Skandalminister Rainer Speer stellt Platzeck vor neue Probleme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Das Personalkarussell leert sich
Potsdam: Rücktritt von Skandalminister Rainer Speer stellt Platzeck vor neue Probleme

Brandenburgs skandalumwitterter Innenminister Rainer Speer (SPD) ist zurückgetreten. Speer gilt als engster Vertrauter des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und wurde lange als dessen Nachfolger gehandelt.

Die Vorwürfe reichen von Untreue über erschlichenen Unterhalt für das Kind mit einer Geliebten bis zu Vetternwirtschaft bei Grundstücksverkäufen. Der Fall erschüttert das durch Stasi-Verstrickungen und Personalmangel belastete rot-rote Bündnis. Doch die Opposition profitiert kaum davon.

Mit Speer verlässt ein Architekt der Nach-Wende-SPD in den neuen Ländern die Regierungsbank. Seine Partei muss sich nach erster Schockstarre jetzt noch mühsamer von Krise zu Krise arbeiten: Im Februar trat „Superministerin“ Jutta Lieske (Infrastruktur und Landwirtschaft) zurück – drei Monate nach der Regierungsbildung. Platzeck fiel es bereits schwer, einen fachkundigen Nachfolger zu benennen, der nicht von den eigenen Genossen abgelehnt wird. Ausgerechnet Rainer Speer übernahm Lieskes Aufgaben mit.

Längst war der verheiratete Familienvater für alle heiklen SPD-Personalfragen zuständig. Dann geriet Krisenmanager Speer selbst in die Kritik. Im Oktober 2009 ging der Laptop des 51-jährigen Politikers mit der kometenhaften Karriere verloren – aus dem Kofferraum seines Dienstwagens. Speer machte „Rocker“ verantwortlich. Eine Bande habe Daten stehlen und an die Presse verkaufen wollen. Die Laptop-Affäre war geboren. Speer wähnte sich seither unangreifbar, denn Vorwürfe gegen seine Amtsführung      blockte er mit Verweis auf die der Presse zugespielten Daten aus seinem vermissten Computer ab: „Ob es sich dabei um authentisches oder manipuliertes Material handelt, weiß ich nicht.“ Statt um Aufklärung bemühte er sich fortan, Veröffentlichungen von Vorwürfen gerichtlich zu verhindern. Auf den raschen Aufstieg folgte so der tiefe Fall.

Vom Posten eines Regierungsplaners in Ziehvater Manfred Stolpes Staatskanzlei (1990) war der einstige NVA-Offizierschüler zum Umwelt-Staatssekretär (1994−1999) und Chef der Staatskanzlei (1999) emporgeklettert. In der Regierung Platzeck übernahm er 2004 das Finanzressort. Seit 2009 war er Innenminister.

Der erste Vorwurf: Noch 2007 soll er als Finanzminister den Verkauf eines Kasernengeländes für vier Millionen Euro an einen nebulösen Investor durchgesetzt haben. Ein Gutachter schätzte den Wert auf 25 Millionen. Die Opposition spricht von Vetternwirtschaft. In das Geschäft soll laut „Berliner Morgenpost“ Thilo Steinbach, Vorstandsmitglied des Fußballclubs SV Babelsberg 03, verstrickt sein – Speer ist Präsident des Vereins. Ein Untersuchungsausschuss befasst sich damit, ob Speer Landesgrund zum Vorzugspreis verkauft hat.

Pikant: Sparpolitiker Speer strich sonst im Haushalt, wo er konnte. So ging die Brandenburgische Boden-Gesellschaft (BBG) 2006 auf sein Betreiben in Privatbesitz über. Nur weichen die Bilanz des Käufers und die der BBG beim Kaufpreis deutlich voneinander ab. Auch dieser Käufer sitzt im Vorstand des Fußballclubs. Wieder richten sich die Vorwürfe gegen Speer. Einer Geliebten im Landesdienst soll er gar staatlichen Unterhalt fürs gemeinsame Kind verschafft haben, obwohl er selbst zahlungspflichtig sei, so der dritte Vorwurf. Kaum ist Speer zurückgetreten, folgen Durchsuchungen auf Anordnung der Staatsanwaltschaft – aber nicht bei ihm, sondern in den Privat- und Büroräumen der Ex: Verdacht auf falsche eidesstattliche Aussage. In Sachen Kasernenverkauf und BBG prüft die Staatsanwaltschaft dagegen noch, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.

Für die Opposition ist Speers Rück-tritt kein Grund zum Jubel. Die CDU ist nach dem allmählichen Rückzug ihrer konservativen Leitfigur Jörg Schönbohm weiter zerstritten. Kämpfe um den Landesvorsitz, die E-Mail-Affäre und das schlechte Abschneiden bei der Landtagswahl 2009, bei der die Partei unter die 20-Prozent-Marke rutschte, wirken nach. Saskia Ludwig (42), seit Juni Vorsitzende der Landtagsfraktion und zugleich der Landes-CDU, gilt als polarisierend. Die junge Mutter wird wegen ihrer kühnen Idee „Neuverschuldung auf 0 bis 2014“ dafür mitverantwortlich gemacht, dass sich die SPD nach der letzten Wahl für ein rot-rotes Bündnis statt für die CDU entschied. Die CDU profitiert nicht einmal von den Skandalen der Linkspartei. Acht Zuträger des DDR-Geheimdienstes stehen in Brandenburg auf deren Wahlliste für Bundestag und Landtag – ein Rekord. Doch den Christdemokraten gelingt es nicht, sich als Bollwerk gegen alte Kader zu profilieren.

Die übrige Opposition ist traditionell schwach vertreten. Die märkische FDP verfügt mit Gregor Beyer (42) seit September nur über einen kommissarischen Generalsekretär. Ihr Hauptprojekt, das Wahlrecht mit 16, haben die Liberalen von der Linkspartei abgeguckt und setzen auf deren Stimmen. Schlechte Voraussetzungen für eine starke Opposition auch bei den Grünen: Ihnen stiehlt das „Grüne Kabinett“, die rot-rote Ökowelle, die Schau. Ausstieg aus der Kohle und erneuerbare Energien verspricht auch Rot-Rot. Den Grünen fehlt vor allem ihr linksbürgerlich-westdeutsches Milieu. Sie schrammten bei der letzten Wahl gerade über die Fünf-Prozent-Hürde.

Bei SPD und Linkspartei rotiert das Personalkarussell unterdessen immer schneller. Speer-Nachfolger und SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke (48) darf Speers einschneidende Polizeireform weiterführen – ohne Fachkenntnis, so die Opposition. Sverre Gutschmidt


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