28.03.2024

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02.10.10 / Der Adonis / Konkurrenz kann das Geschäft beleben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

Der Adonis
Konkurrenz kann das Geschäft beleben

Karl Beckmann hat nichts gegen Büromenschen. Im Gegenteil. Einige der jungen Leutchen, die nach Dienstschluss noch schnell in seinen Laden stürmen, um ein Viertel Aufschnitt fürs Abendbrot zu holen, kennt er schon seit ihrer Lehrzeit. Und er kommt gut mit ihnen aus.

Seit ein paar Wochen gibt es unter ihnen jedoch einen, dem Karl am liebsten Hausverbot erteilen möchte. Er scheint in Karls Alter zu sein, also Anfang 30. Aber das ist auch schon alles, was die beiden Männer miteinander gemein haben. Während unzählige Bierchen und deftige Hausmannskost Karls Bauch stark gerundet haben und sein Gang immer mehr dem eines gutgemästeten Erpels ähnelt, schreitet der andere wie Jung-Siegfried einher. Seine Stimme verrät Charme und Nonchalance. Ihr Klang lässt die Adern auf Karls Stirn regelmässig anschwellen. Trina Beckmann aber wiegt dem neuen Kunden errötend Tomaten und Zucchini ab. Ach Trina, möchte Karl dann aufschreien. Was muss-test du dich bloß in diesen Kerl vernarren!

Er kann es kaum mitansehen, wie seine Trina diesen Schönling mit ihren Blicken verschlingt. Wenn er da ist, wiegt sie sich kokett in den Hüften, und sein Lächeln entfacht in ihren Augen eine solche Glut, dass es Karl die Kehle zuschnürt.

Seitdem Jung-Siegfried jeden Abend sein Corned-Beef bei ihnen einzukaufen pflegt, pinselt Trina noch ein wenig mehr Rouge auf ihre Wangen und zwängt ihr dralles Figürchen in enge Jeans und knappe Lederröcke. Das Schlimmste aber ist, dass es zum Abendbrot nicht mehr Eisbein oder Kartoffelsalat mit Würstchen gibt, sondern nur noch winzige Fleisch- und Gemüseportionen, die Karl auf seinem Teller mit der Lupe suchen muss. Das ist gesund und hält schlank, behauptet Trina giftig, wenn er voller Abscheu im Essen stochert. Ihr selber scheint es auch nicht so recht zu schmecken, im Gegensatz zu ihrem Gatten hat sie aber wenigstens einen triftigen Grund, bei der Stange zu bleiben ...

Karl verliert an Gewicht und Lebensfreude. Sobald der Stundenzeiger der Ladenuhr sich der Fünf nähert, bricht Karl in Schweiss aus.

Auch heute steht er wie ein rotglühender Vulkan kurz vorm Ausbruch an der Wurstschneidemaschine und starrt zur Tür, durch die gleich sein Nebenbuhler hereinmarschieren wird.

Trina, die Oma Mischke gerade Schonkaffee vom Regal herunterreicht, blickt ebenfalls erwartungsvoll zur Tür. Aber als der so sehnsüchtig Erwartete dann wirklich den Laden betritt, ist es ein Schock für sie. Jung-Siegfried ist nämlich nicht allein gekommen: ein schlankes Wesen mit schwarzer Lockenmähne hängt an seinem Arm. Die beiden lassen sich von Karl französischen Käse und Salami schneiden und schlendern unter den gleichen verliebten Tändeleien aus dem Laden, wie sie ihn betreten haben. Vorsichtig äugt Karl zu Trina hin-über. Doch nichts deutet darauf hin, dass ihr das Herz gebrochen ist. Sie reckt die Stupsnase hoch, streicht resolut die Bluse über ihren runden Hüften glatt und begleitet Oma Mischke sogar noch nach draußen auf die Strasse. Dort bleibt sie einen Moment stehen, schaut versonnen auf die Obstkisten und kehrt dann mit festen, sicheren Schritten ins Geschäft zurück.

„Ich setz schon mal das Essen auf“, verkündet sie. Karl muss sich erstmal räuspern, um seine Kehle freizubekommen: „Was gibt’s denn?“

Ein wunderhübsches, schalkhaftes Lächeln erhellt ihre Augen: „Kartoffelsalat mit Würstchen“.             Renate Dopatka


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