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02.10.10 / »Dolce far niente« auf dem roten Felsen / Schon Heinrich Heine lernte Helgoland lieben – Mehr als nur »Fuselfelsen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-10 vom 02. Oktober 2010

»Dolce far niente« auf dem roten Felsen
Schon Heinrich Heine lernte Helgoland lieben – Mehr als nur »Fuselfelsen«

Irgendwo ins grüne Meer hat ein Gott mit leichtem Pinsel, lächelnd, wie von ungefähr, einen Fleck getupft: Die Insel“, schreibt der Schriftsteller James Krüss (1926–1997) über seine Heimat Helgoland. Wer sich Deutschlands 1,7 Quadratkilometer kleinen einzigen Hochseeinsel nähert, hat noch immer diesen Eindruck.

Das landesweit „sicherste Verkehrsmittel“, wie die Einheimischen gern sagen, das Börteboot, ist für die gut 5000 täglich eintreffenden Tagestouristen der Erstkontakt mit den Insulanern. Nach der Überfahrt per Seebäderschiff von Büsum, Cuxhaven und Wilhelmshaven helfen sie beherzt in die traditionellen Eichenholzboote. Ein Katamaran sorgt zusätzlich für schnelle Anbindung. Er legt direkt im Südhafen an, einst Flottenstützpunkt und für die Helgoländer „ganz weit draußen“. Entfernungen messen sich anders auf der Insel. Gegenüber strahlt selbst bei trübem Wetter der weite Sandstrand der Düne den Ankommenden entgegen. Helgoland, das sind eigentlich zwei Inseln, dazwischen die Binnenreede, wo die Seebäderschiffe sich in der Strömung behäbig um ihre Ankerplätze drehen. Jeglicher Stress legt sich rasch unter dem weiten Himmel und der sauberen Luft. Die Geräusche des Meeres durchströmen hier alles, auch den besiedelten Teil, das Ober- und das Unterland. Sogar die Kleingärtner haben Blick auf das Meer und den Inselsockel Lange Anna (61,3 Meter), die höchste Erhebung des Kreises Pinneberg, zu dem die Insel gehört.

Eine angesichts von 1300 Bewohnern erstaunliche Zahl an Geschäften verkauft Alkohol und Zigaretten zu günstigen Preisen, nebst Waren, die es auf dem Festland nicht gibt wie seltene Parfüms oder Schokoladensorten. Der rote Fels gehört nicht zum Zollgebiet der EU, Einkaufen ohne Mehrwertsteuer ist selbstverständlich, die Freigrenzen für unverzollte Waren wurden 2008 erhöht. Der Charme des frühen Glücks der Wirtschaftswunderjahre hat sich wohl an kaum einem Ort in Deutschland so erhalten. Die Hummerbuden am Hafen legen davon ein malerisches Zeugnis ab. Heute isst man dort „Knieper“ – leckere Krebsscheren, die es so nur auf Helgoland gibt. Kräftiges Orange, Blau oder Grün außen, Kunst und Insel-Erinnerungen innen zeichnen diese Geschäfte aus. Längst ist die Insel über ihre Rolle als „Fuselfelsen“ hinausgewachsen.

Wer die Insel von dieser Seite entdecken will, ist in guter Gesellschaft. Das Eiland inspiriert Künstler. In den Hummerbuden haben einige ihre Galerien. Von einem anderen Prominenten teilt man auf Helgoland meist knapp mit, er sei hier gewesen: Schon der Schriftsteller Heinrich Heine (1797–1856) lernte als politischer Flüchtling den längeren Aufenthalt schätzen, brauchte dafür aber Zeit. „Dass die Insel Helgoland unter britischer Herrschaft steht, ist mir schon hinlänglich fatal“, schreibt er im Juli 1830 – einen Monat später enthüllt er in einem Brief ans Festland seine Begeisterung fürs Inselleben: „Du hast keinen Begriff davon, wie das dolce far niente mir hier behagt.“ Süßes Nichtstun – vielleicht einen Eiergrog trinken, im Oberland den Wind und das Geschrei der Seevögel an den Steilwänden erleben oder ein paar Stunden am Strand der Düne verbringen, danach Bummeln.

Ein Aquarium, das Salzwasser- und Wellnessbad „Mare Frisicum Spa“ mit Meerblick oder das Café Krebs sind nur wenige Schritte voneinander entfernt. Wem das zu weit ist, der nimmt das Inseltaxi, oder lässt es einfach, denn morgen spielt wieder die Musik im Oberland, ist wieder ein Fest, nur einen Steinwurf entfernt. Das Gefühl, etwas zu verpassen, will sich nicht einstellen, auch wenn im Sommer Besuchern viel geboten wird – Yachtregatten, ein Lesefest für Kinder oder (spät-)sommerliche Strand-Feste.

Einblicke in die Arbeit von Biologen und Meeresforschern auf der Insel sind ebenfalls möglich. Gerade als Natur- und Vogelparadies zieht Helgoland Experten aus aller Welt an: Tordalke und Trottellummen teilen sich das kleinste Naturschutzgebiet Deutschlands, den Lummenfelsen im Nordwesten. Dreizehenmöwen, die man lieber nicht füttert, haben eine Vorliebe für den Butterkuchen vom Inselbäcker entwickelt. Am Strand lassen sich unter anderem Heringsmöwen beobachten. Am Nordstrand der Düne lagern Seehunde und Kegelrobben.

Der Nordstrand der Hauptinsel bietet trotz unaufgeräumtem Charme Erholung. Den Robben zuzuschauen, wenn sie bei einsetzender Ebbe ihre liebsten Ruheplätze auf den Felsen im Meer einnehmen, ist ein witziges Schauspiel. Bis zum letzten Moment bleiben sie auf den Erhebungen wenige Meter vorm Strand liegen, selbst bei steigendem Wasser. Sind sie verschwunden, ist die Flut da. Der Rhythmus der Gezeiten bestimmt das Inselleben. Wenn die weiße Flotte der Seebäderschiffe ablegt und zuletzt der Katamaran um 16.30 Uhr nach Hamburg aufbricht, genießen die einen Besucher die Ruhe, andere die Party an der Landungsbrücke.

Die Wissenschaft will vom Mythos, das sagenhafte Atlantis sei bei Helgoland zu suchen, nichts mehr wissen. Doch der aufgehende Mond und die in abendlicher Ebbe freigelegten Seetang-Wälder um die Insel verleihen ihm neue Nahrung. Die überwucherten Relikte unter diesem Algengrün sowie die Geschichten von Sturmfluten, Piraten und Schmuggel sind in solchen Momenten ganz nah.   Sverre Gutschmidt


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