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09.10.10 / Brüssel will mehr Macht / EU-Kommissionspräsident Barroso entzieht den Nationalstaaten weitere Gestaltungsspielräume

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Brüssel will mehr Macht
EU-Kommissionspräsident Barroso entzieht den Nationalstaaten weitere Gestaltungsspielräume

Mit dem Hinweis der EU-Kommission darauf, dass sie Hüterin der Lissabon-Verträge sei, nimmt sie immer öfter Einfluss auf originär nationale Belange.

Die „Zeit der Selbstgefälligkeit“ der Nationalstaaten ist vorbei, so EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. „Die Regierungen haben nicht immer Recht“, träfen manchmal sogar „falsche Entscheidungen“, sonst stünde man heute in der Union nicht so da wie in der herrschenden Krise, klagte der Portugiese in den letzten Septembertagen direkt jene Staats- und Regierungschefs an, die ihn Ende letzten Jahres für eine zweite und letzte Legislaturperiode in sein Amt gewählt hatten. Dies hatten sie auch getan, weil Barroso während seiner ersten Amtszeit ziemlich umgänglich gewesen war. Doch kaum war der Mann erneut im Amt und der neue Lissabon-Vertrag kurz darauf in allen EU-Mitgliedsländern ratifiziert, ließ der Chef der EU-Kommission plötzlich gegenüber den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder die Muskeln spielen.

Der Lissabon-Vertrag räumt der EU-Kommission mehr Einfluss ein, auch das direkt gewählte EU-Parlament hat mehr Gebiete erhalten, in denen es ein Mitspracherecht hat. Zwar hatten die Staats- und Regierungschefs, die zusammen den in der EU einflussreichen Europäischen Rat bilden, einen eigenen Präsidenten auserkoren, doch der Auserwählte macht kaum von sich reden. Der frühere belgische Regierungschef Herman van Rompuy war bewusst als Kompromisskandidat auserwählt, damit er die Staats- und Regierungschefs nicht überstrahlt, doch nun ist es gar nicht der neue Präsident des Europäischen Rates, sondern der alte Kommissions-Präsident, der den Nationalstaaten zeigt, wo überall die EU mitreden kann.

Und so schickt Barroso seine 25 Kommissare samt Vizepräsidentin Catherine Ashton aus, um zu überprüfen, wo Brüssel gemeinsame Standards schaffen kann. So baut die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Ashton gerade einen neuen Europäischen Auswärtigen Dienst mit eigenen EU-Botschaftern auf, der im Grunde in Konkurrenz zu den nationalen Botschaften im Ausland steht. EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard arbeitet zusammen mit dem EU-Kommissar für Energie, dem Deutschen Günther Oettinger, an EU-weit gültigen Klimastandards und die EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, Viviane Reding, zeigt mit Rückendeckung von Barroso gerade den Franzosen ihre Grenzen auf. Reding stellte Frankreich im Streit um die französische Abschiebung der rumänischen Roma sogar ein Ultimatum. Wenn Paris nicht bis zum 15. Oktober nachweist, dass es die seit 2004 geltende EU-Richtlinie zur Freizügigkeit vollständig umsetzt, droht den Franzosen ein offizielles Verfahren wegen Vertragsverletzung. Auch EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte der Slowakei mit Konsequenzen gedroht, da sich das slowakische Parlament nicht am Hilfspaket der Euroländer für Griechenland beteiligen wollte. Als die slowakische Regierungschefin Iveta Radicova anmerkte, dass es nicht die Aufgabe eines nicht gewählten Brüsseler Beamten sei, die frei gewählten Abgeordneten des slowakischen Parlaments zu kritisieren, rechtfertigte ein Sprecher der EU-Kommission Rehns Verhalten mit dem Lissabon-Vertrag: „Rehn ist Mitglied der EU-Kommission, die die Hüterin der Verträge ist und das gesamteuropäische Interesse zu vertreten hat. Das scheint mir Legitimation genug zu sein.“

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ stellt angesichts dieser Entwicklung fest, dass Frankreich und Deutschland keine „souveränen Nationalstaaten, die alleine über ihr Schicksal bestimmen“ können, mehr sind. „Es gibt in Europa kaum noch ein Feld der öffentlichen Politik, auf das die EU nicht in irgendeiner Weise Einfluss nimmt.“

Und da Regierungen nun mal „falsche Entscheidungen“ treffen, so Barroso, soll der überarbeitete Euro-Stabilitätspakt der Kommission die Möglichkeiten an die Hand geben, die nationalen Regierungen zu überwachen. Damit die Schulden der EU-Mitgliedsländer nicht weiter ausufern, will Brüssel schon frühzeitig Einblick in die nationalen Haushaltspläne erhalten und mitreden. Zeichnet sich ab, dass ein Land über dem erlaubten Defizit von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen wird, muss es bereits bei Eröffnung des Defizitverfahrens ein unverzinstes Pfand von 0,2 Prozent des BIP hinterlegen. Drückt es das Defizit rasch wieder unter die Drei-Prozent-Hürde, erhält es das Geld zurück, andernfalls muss es am Ende des Verfahrens insgesamt sogar 0,5 Prozent des BIP als Strafe zahlen. Selbst Länder, die zu wenig tun, um einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, müssen künftig auch trotz Einhaltung der Drei-Prozent-Regelung mit einer Strafe rechnen. Zudem sollen Sanktionen gegen Defizitsünder demnächst nur noch mit einer Zweitdrittelmehrheit der nationalen Staats- und Regierungschefs verhindert werden können. Auch soll, geht es nach Barroso, ein Land mit einer Gesamtverschuldung von mehr als 60 Prozent des BIP seine Schuldenquote rasch und spürbar  senken, sonst drohen Strafen in Höhe von 0,1 Prozent des BIP.

Doch als wären diese Eingriffsmöglichkeiten der EU-Kommission in die nationalen Belange nicht schon genug, will Brüssel „wirtschaftliche Ungleichgewichte“ mit Strafen belegen. Wer also nach Meinung Brüssels seinem öffentlichen Dienst zu hohe Gehälter zahlt, darf dann mit 0,1 Prozent des BIP als Strafe belegt werden.

Noch haben die Staats- und Regierungschefs zwar nicht zugestimmt, doch der Druck zum Handeln nach Wirtschafts- und Euro-Krise ist hoch. Und da sich in den letzten Monaten häufig die EU-Kommission durchgesetzt und keiner der Nationalstaaten in Sachen Verschuldung eine völlig weiße Weste hat, werden sie sich vermutlich den Vorgaben aus Brüssel weitestgehend fügen.

Fragt sich nur, inwieweit die EU selbst richtige Entscheidungen und Einschätzungen trifft. So beteuerte Rehn noch am Tag, als bekannt wurde, dass Irland seine Banken mit weiteren 12,5 Milliarden Euro stützten muss und somit eine Neuverschuldung von sagenhaften 32 Prozent des BIP erreicht, dass kein Euro-Land den Euro-Rettungsschirm in Anspruch nehmen werde. Angesichts der Tatsache, dass auch die EU die griechische Beinahe-Pleite nicht vorausgesehen hat, sind Zweifel an Brüssels Wirtschaftskompetenz durchaus berechtigt. Rebecca Bellano


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