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09.10.10 / Wie zukunftsfähig ist Deutschland? / Stuttgart 21 ist ein neues Beispiel dafür, wie strategisch organisierte Proteste Großprojekte erschweren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Wie zukunftsfähig ist Deutschland?
Stuttgart 21 ist ein neues Beispiel dafür, wie strategisch organisierte Proteste Großprojekte erschweren

Viele Schwaben sind entsetzt, der Rest Deutschlands reibt sich verwundert die Augen: Was an Protesten gegen das Infrastrukturprojekt „Stuttgart 21“ abläuft, ist rational kaum mehr zu erklären. Die Grünen heizen den Protest an, denn er nützt ihnen im laufenden  Landtagswahlkampf.

Die Ausgangslage: Stuttgart liegt in einem engen Tal. Das führt dazu, dass die Schienenwege zum bisherigen Kopfbahnhof über ein sehr langes Weichenfeld geführt werden müssen. Diese rund 100 Hektar große Gleislandschaft mitten in der Innenstadt verzückt aber mehr Eisenbahnfanatiker als Pendler und Reisende. Denn die Züge müssen hier im Schneckentempo über die vielen Weichen kriechen, der Zeitverlust ist enorm. Daher gab es schon früh Pläne, die Gleise unter die Erde zu verlegen und den Kopfbahnhof in einen Durchgangsbahnhof umzuwandeln. Gleichzeitig soll die Strecke Stuttgart-Ulm teils neu-, teils ausgebaut werden. Das Ganze ist ein Herzstück der geplanten Europäischen Bahn-Schnellstrecke Paris–Budapest. Vor allem Südwestdeutschland würde von den kürzeren Fahrzeiten profitieren.

Schon in den 1980er Jahren gab es erste Pläne dafür, 1995 eine erste Machbarkeitsstudie. Das Projekt wurde nach allen Regeln des Rechtsstates ausgeschrieben, Einwände berücksichtigt, schließlich erfolgte die Planfeststellung, 2006 stimmte der Landtag von Baden-Württemberg dem Projekt zu, Ende 2008, mit der Verabschiedung des Haushalts 2009, der Bundestag – jeweils mit Zustimmung der ehemaligen Fortschrittspartei SPD.

Nach Ansicht der Befürworter ist das Milliardenprojekt eine „Riesenchance für Baden-Württemberg“, die veraltete Bahn-Infrastruktur erneuert zu bekommen, mit den entsprechenden Wachstumschancen. Umso mehr, als überwiegend der Bund bezahlt. Dass das Projekt auch wegen Protesten länger dauert als geplant, dass es auch dadurch  teurer wird, ist ein bedauerliches, aber beinahe typisches Kennzeichen großer Infrastruktur-Maßnahmen – von Autobahn- und Bahnstrecken-Neubauten über den Berliner Hauptbahnhof bis zur Elbphilharmonie in Hamburg. Auch dass die Verkehrsströme nicht genau prognostiziert werden können, sollte angesichts der naturbedingten Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit nicht verwundern.

Gerade im traditionell technikbegeisterten Baden-Württemberg (Eigenwerbung: „Wir können alles außer Hochdeutsch“) hatte kaum jemand mit dermaßen massiven Protesten gerechnet, wie sie beim Beginn der Bauarbeiten im Spätsommer nach PR-intensiver Stimmungsmache durch Grüne und linksökoideologische Gruppen aufkamen und sich seither immer weiter aufschaukelten.

Merkwürdigerweise sind es weniger die typischen, in Straßenschlachten in Hamburg und Berlin erprobten, herbeigekarrten Linkschaoten, die vor der Baustelle demonstrieren – vor allem bei den Abriss-Arbeiten am alten Bahnhof und bei ersten Baumfällarbeiten im Schlossgarten –, sondern zu einem beachtlichen Teil brave schwäbische Hausfrauen und steuerzahlende Bürger aus der saturierten oberen Mittelschicht. Der Befund des Landes-justizministers Ulrich Goll (FDP), die Gegner rekrutierten sich aus dem wohlsituierten Stuttgarter „Halbhöhenpublikum“, das zunehmend „unduldsam und wohlstandsverwöhnt“ sei, sich auf dem heutigen Stand ausruhe, statt an die kommende Generation zu denken, hat etwas für sich.

Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil sich sowohl FDP als Grüne zu großen Teilen aus eben diesem Publikum nähren. Die Frage ist berechtigt, wie zukunftsfähig ein Land ist, in dem mittlerweile gegen praktisch alle Infrastruktur-Neubauten, sogar Schulen und Kindergärten bis hin zu Solarparks, Biomasseanlagen und Starkstromleitungen massiv protestiert wird. Union und FDP, die zunehmend allein die Verfechter solcher Investitionen sind, haben große Schwierigkeiten mit dieser „Dagegen-Republik“, wie sie der „Spiegel“ nannte.

Beim Protest in Stuttgart spielt vor allem eine allzu romantische, fortschrittsfeindliche Verklärungskampagne eine Rolle, die sich in urgrünen Parolen der 70er Jahre – wie etwa „Mein Freund, der Baum“ – manifestiert. Jeder der bislang gefällten 25 Bäume wurde aufs Heftigste beklagt, ja beweint, zuvor hatten radikale „Parkschützer“ einen Eid zum Schutz der Bäume geschworen – hier wurde teilweise ein quasireligiöser Anstrich der Öko-Apostel erkennbar.

Dieser linksideologische Ökologismus hat sich längst von der ernsthaften Ökologie verabschiedet. Die nämlich schaut nicht auf den einzelnen Baum. Ernsthafter, wissenschaftlicher Ökologie geht es stattdessen immer um Lebensräume, in denen sich die Natur ausbreiten kann. Stuttgart 21 hat in der Tat eine blitzsaubere Ökobilanz: Erstens wird durch die schnelle Fernverbindung das Fliegen unattraktiver. Zweitens wird auch der Nahverkehr ausgebaut, neue S-Bahn-Strecken und

-Bahnhöfe machen den ÖPNV für Pendler attraktiver. Und drittens werden mitten in Stuttgart 100 Hektar bisher ökologisch wertloser Gleisanlagen frei, auf dem größten Teil der Fläche sind Naturräume und Grünflächen geplant.

Befürworter des Projekts erwarten nun, dass CDU und FDP bei allen Gesprächsangeboten darauf beharren, dass das Projekt rechtsstaatlich zustandegekommen ist und umgesetzt werden muss. Nicht der, der am lautesten schreit, sollte Recht bekommen. Und sie erinnern: Auch 50000 Demonstranten sind nicht „das Volk“, auch wenn sie das für sich reklamieren. Jeder Demonstrant steht zunächst für sich allein, jeder Landtagsabgeordnete dagegen repräsentiert mehrere Zehntausend Bürger.             Anton Heinrich


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