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09.10.10 / Wütende Geschichtsdebatten / Moldawien ohne Präsident – Zwei Lager blockieren einander

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Wütende Geschichtsdebatten
Moldawien ohne Präsident – Zwei Lager blockieren einander

In der Volksversammlung von Chisinau (Kischinjew) herrscht ein lähmendes Machtvakuum. Da das Parlament 2009 bereits zwei Mal neu gewählt wurde, konnte ein weiterer Urnengang laut Gesetz nicht vor diesem Sommer stattfinden. Die Kommunisten boykottierten monatelang alle Parlamentssitzungen, und die Neuwahl des Staatsoberhaupts schlug gleich mehrfach fehl.

So amtiert Parlamentspräsident Mihai Ghimpu schon seit einem Jahr als Übergangspräsident. Da eine Neubesetzung des höchsten Staatsamtes nur mit drei Fünfteln der Abgeordnetenstimmen möglich ist, befindet sich die kleine Republik angesichts der Existenz von zwei in etwa gleichstarken Lagern in einer Sackgasse. Um aus dieser herauszukommen, initiierte die regierende „Allianz für europäische Integration“ (AIE) am 5. September ein Referendum über die Direktwahl des Staatsoberhauptes – und scheiterte, da sich weniger als die erforderlichen 30 Prozent der 2,7 Millionen Wahlberechtigten beteiligten. Am 21. September entschied das Verfassungsgericht nun immerhin, dass Ghimpu das Parlament binnen dreier Monate aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen habe.

Die Blockadepolitik der moldauischen Kommunisten erreichte bereits im Sommer einen Höhepunkt, als sie vor dem Verfassungsgericht erfolgreich Klage gegen das „Dekret zum 28. Juni“ einlegten. Interimspräsident Ghimpu widmete den 70. Jahrestag der Annexion des einst auch von vielen Deutschen bewohnten Bessarabien durch die Rote Armee in Folge des Hitler-Stalin-Paktes per Erlass erstmals der Erinnerung an die „sowjetische Besatzungsherrschaft“. Wütende geschichtspolitische Debatten waren die Folge in jener vor allem rumänisch geprägten Region, die die Türkei 1812 an Russland abtreten musste und die sich 1918 Rumänien anschloss.

Vor dem Regierungsgebäude kam es am 28. Juni zu einer Veranstaltung mit überlebenden Terropfern, bei der Ghimpu an einem Gedenkstein mit der rumänischsprachigen Inschrift „Den Opfern der sowjetischen Besatzung“ Blumen niederlegte. Er betonte, dass für die damaligen Tötungen und Verschleppungen nach Sibirien nicht nur „die Henker der stalinistischen Ära“ die Verantwortung trügen, sondern auch deren Komplizen, die heute noch im Land lebten und eine gute Rente bezögen. Allein in der Nacht vom 12. auf den 13. Juni 1941 waren nach Angaben der moldauischen Behörden etwa 23000 Menschen in den Gulag deportiert worden. Damit zielte Ghimpu, ein Befüworter der Wiedervereinigung mit Rumänien, auf die zumeist russophilen Sowjetnostalgiker, die sich aus Protest gegen den Staatsakt zu gleicher Zeit nur fünf Gehminuten entfernt zu einer eigenen Demonstration versammelten.

Die Kommunisten schüren in der aktuellen Debatte auch außenpolitische Bedenken. Man verweist darauf, dass das russische Außenministerium von einer „politische(n) Kampagne“ gesprochen hat, die sich gegen eine moldauisch-russische Partnerschaft richte. Ghimpu betreibe „Geschichtsfälschung“ und provoziere eine schwere Konfrontation, warnte der Kreml und drohte mit der Beschränkung des wichtigsten Exportguts Wein. Angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeit Moldawiens von Russland könnten Sanktionen des Kremls in der Tat schwerwiegende Folgen haben.      Martin Schmidt


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