29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.10.10 / Die fremde Großmutter / Enkelin enthüllt Rätsel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

Die fremde Großmutter
Enkelin enthüllt Rätsel

Vielleicht kennen Sie das Gefühl, welches einen überfällt, wenn man die alte bedruckte Blechdose der Groß- oder Urgroßmutter zur Hand nimmt, um in alten Fotos zu stöbern. Da sieht man die eigene Mutter als Säugling in der vom Opa selbstgebauten Babywiege liegen oder die Großmutter als junge Frau, wie sie verliebt mit dem Opa Händchen gehalten hat. Viele Dinge kann man auf diesen Schwarzweiß-Fotos mit den gezackten Rändern sehen und hineininterpretieren, ganze Schicksale einzelner Personen können einem da in die Hände fallen. Und ebenso ergeht es auch der jungen Emma, welche in Dorinde van Oorts Familiengeschichte „Frau im Schatten“ nach dem Tod ihrer Großmutter alte Fotos, Briefe und vergessen geglaubte Dokumente sichtet. Doch wird Emma dabei nicht nur vom Mantel der Nostalgie eingehüllt, sondern sie stößt dabei auch noch auf ein dunkles und bis dato wohlgehütetes Familiengeheimnis. Beim Durchsehen der Fotos und Briefe scheint ihre Großmutter Annetje plötzlich ein ganz anderer Mensch zu sein, als sie ihr Umfeld zu Lebzeiten hatte Glauben machen wollen.

Eine Affäre mit einem verheirateten Mann entpuppt sich fast noch als das Harmlosteste, auf das Emma bei ihren Nachforschungen über das Leben ihrer verstorbenen Großmutter Annetje Beets, der gutmütigen, sich treu um ihre Schützlinge kümmernden Krankenpflegerin und Hebamme, stoßen wird. Kurz entschlossen macht sich Emma auf den Weg zum Gemeindearchiv und siehe da, der freundliche alte Archivar nimmt sie direkt mit in die Keller des Archivs.

Dorinde van Oort berichtet in „Frau im Schatten“ nicht nur über ein wahres Familiendrama, sondern auch über eine Frau, welche die Geschichte der Familie quasi wie einen fertigen Strickpullover aufröppelt, die einzelnen Wollfäden entwirrt und ein Bild ihrer Großmutter enthüllt, wie es wohl kaum einer für möglich gehalten hätte.

Leider werden die einzelnen Charaktere nur relativ schwach umrissen, sie gewinnen nicht genug an Tiefgang, als dass die Familiengeschichte von „Frau im Schatten“ als wirklich mitreißend bezeichnet werden könnte. Doch spätestens beim Anblick der Schwarzweiß-Abbildungen von Annetje und ihren Verwandten am Ende des Buches wird der Leser daran erinnert, dass es sich hier nicht um einen Roman, sondern um eine wahre Familiengeschichte handelt. Bei diesen führen die Auswirkungen einzelner Taten zwar auch häufig zu einer Tragödie, aber in der Regel verfügen sie nicht, wie ein klassisches Drama, über einen Spannungsbogen, welcher den Leser durch die Handlung trägt.             Vanessa Ney

Dorinde van Oort: „Frau im Schatten – Eine Familiengeschichte“, dtv, München 2010, broschiert, 337 Seiten, 14,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren