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09.10.10 / An Gott gebunden / Luther und seine spätere, falsche Vereinnahmung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-10 vom 09. Oktober 2010

An Gott gebunden
Luther und seine spätere, falsche Vereinnahmung

Angesichts der bereits unüberschaubaren Literatur zu Martin Luther erscheint eine neue Einführung in Werk und Leben des Reformators zunächst einmal ein Wagnis zu sein: Was soll noch Neues gesagt werden? Der evangelische Theologe Hans Schwarz aus Regensburg wagt genau dieses Unterfangen. Das 1995 erstmals erschienene Werk liegt nun in einer überarbeiteten Neuauflage vor.

Der Zugang des Autors ist nicht primär kirchengeschichtlicher Natur, wie dies bei vielen Luther-Darstellungen der Fall ist. Und er bietet auch kein „Lutherbild“, das zur Begründung eigener Gedankengänge instrumentalisiert wird.

Das Buch ist bewusst als „Einführung“ konzipiert und verzichtet auf eine lange Methodendebatte zu Beginn. Nach einer Einleitung „Leben und Wirken“, die eine Biographie im strengeren Sinne bietet, folgen klug sortierte Kapitel zu den Themen Gotteserkenntnis, Vernunft und Glaube, Gottesverständnis, Mensch zwischen Gott und Satan, Zwei-Reiche-Lehre, Schriftverständnis, Gesetz und Evangelium, Kirche und Sakramente, Liebe, Ehe und Elternschaft, Beruf und Musik. Es entsteht für Laien eine probate Einführung, für Theologen eine gelungene Rekapitulation lutherischen Gedankenguts.

Es gelingt Schwarz sehr gut, der komplexen Persönlichkeit Luthers gerecht zu werden. In seinem Verständnis von Kirche, Amt und Sakramenten, Hermeneutik der Schrift und auch des Berufs lässt Luther die mittelalterliche Theologie weit hinter sich. In anderen Bereichen wie dem Verständnis und Gebrauch von Vernunft und Gewissen hingegen sperrt sich Luther gegen moderne Vorstellungen menschlicher Autonomie und Freiheit. Luther lässt sich eben nicht als frühaufklärerischer Vertreter eines von Gott gelösten Vernunft- und Gewissensgebrauchs vereinnahmen.

Besonders deutlich wird dies beim Auftreten Luthers am Reichstag zu Worms 1521. Schwarz hält fest: „Damit hatte sich zum ersten Mal ein Mensch öffentlich vor der Welt und der Kirche zum Prinzip der Gewissensfreiheit bekannt … Allerdings wurde bei der Berufung auf Luther später häufig vergessen, dass er betonte, sein Gewissen sei an Gottes Wort gebunden. Luther befürwortete keine Freiheit des Gewissens im Sinne des autonomen Menschen.“ Auch sein Verständnis von Teufel und Satan sperrt sich gegen moderne Psychologisierung, Entmythologisierung oder Totschweigen des Problems.

Deutlich wird, dass Luther zwar konkrete Fehlentwicklungen der Papstkirche des späten Mittelalters wie den Ablasshandel massiv verwarf, dass er aber an grundlegenden Dogmen nicht rüttelte, sondern sie dezidiert bekräftigte – bis hin zur Realpräsenz Christi im Heiligen Abendmahl, die er gegen den reformierten Flügel der Reformation vehement verteidigte. Auch Luthers Überzeugung, dass es außerhalb der Kirche kein Heil geben kann, und seine äußerst bedenkenswerten Thesen zu Ehe und Sexualität sperren sich gegen integrative wie permissive Ansätze der modernen Theologien des religiösen Pluralismus und Liberalismus. Es würde manchen evangelischen Theologen und Kirchenoberen nicht schaden, sich wieder stärker daran zu orientieren. 

Hans Schwarz gelingt eine überzeugende und sehr lesenswerte Darstellung, die dem großen Reformator in höchstem Maße gerecht wird und ihn vor allem vor modernen Vereinnahmungen in Schutz nimmt.         Jürgen Henkel

Hans Schwarz: „Martin Luther − Einführung in sein Leben und Werk“, Freimund Verlag, Neuen-dettelsau 2010 (3. überarbeitete und ergänzte Auflage), 250 Seiten, 12 Abbildungen, 17,80 Euro


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