20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.10.10 / Dialog auf höchster Ebene / Kommentierte Neuerscheinung von 245 Briefen zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-10 vom 16. Oktober 2010

Dialog auf höchster Ebene
Kommentierte Neuerscheinung von 245 Briefen zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen

Im August 1736 wandte sich der damals 24-jährige preußische Kronprinz Friedrich an den seinerzeit 42-jährigen Fran­çois-Marie Voltaire (1694–1778) mit der Bitte, ihm alle seine Werke zu senden. Auch möge er ihn weiterhin auf dem Laufenden über sein Schaffen halten. „Ohne Sie in einen Ihrer unwürdigen Weihrauch zu hüllen, kann ich Ihnen versichern, dass ich in Ihren Werken Schönheiten ohne Zahl entdecke“, versicherte der musisch interessierte Königssohn dem berühmten Dichter, Philosophen und Historiographen.

Dieser war mit seinen Büchern in Frankreich mehrfach in höchsten Kreisen angeeckt und hatte zeitweilig ein unstetes Leben führen müssen. Seinerzeit lebte er jedoch komfortabel auf dem lothringischen Schloss Cirey bei dem Marquis und der Marquise de Chatelet.

Anhand der geschliffenen Formulierungen des Absenders und der von ihm angeschnittenen Themen wird der Adressat genügend Hinweise auf dessen regen Geist und hohe ethische Maximen gewonnen haben. Auch dürfte er bereits von dem ungewöhnlichen Prinzen im Nordosten Deutschlands gehört haben. Voltaire antwortete Prinz Friedrich recht enthusiastisch und gab unumwunden zu, dass der Brief des zukünftigen Monarchen seiner Eitelkeit geschmeichelt habe: „Aber die Liebe zum Menschengeschlecht, die seit je in meinem Herzen lebt und die, wie ich zu behaupten wage, meinen Charakter prägt, schenkte mir tausendfach reinere Freude, als ich erkannte, dass es einen Prinzen gibt, der als Mensch denkt, einen Fürsten-Philosophen, der die Menschen beglücken wird.“ Damit begann ein Briefwechsel zwischen den beiden ihrer Herkunft nach so unterschiedlichen europäischen Aufklärern, der fast durchgehend bis zum Tode Voltaires anhalten sollte.

„Voltaire/Friedrich der Große Briefwechsel“ lautet der prosaische Titel einer von Hans Pleschinski herausgegebenen Neuausgabe von 245 ausgewählten und von ihm übersetzten Briefen dieser Korrespondenz. Es handelt sich um etwa ein Drittel des überlieferten Briefaustauschs, wobei darauf geachtet wurde, dass in dem Band alle Entwicklungsstufen dieser Beziehung repräsentiert sind. Bei den eingefügten Versen wurde der französische Originaltext der Übersetzung vorangestellt. Auf ein Personenregister hat der Herausgeber verzichtet und dafür die einzelnen Briefe mit einem Glossar und ergiebigen Kommentaren versehen.

Pleschinski hebt die Bedeutung des offen, freundschaftlich und oftmals kontrovers geführten „Dialogs auf höchster Ebene“ hervor, wurde er doch geführt „zwischen einem Regenten, der die Landkarten, und einem französischen Philosophen, der das Denken veränderte“. Die Briefschreiber beschäftigten sich mit existenziellen Fragen wie: Was ist unter Freiheit zu verstehen? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Woran erweist sich die Existenz Gottes?

Vor allem aber war es für beide „ein hochrangiges Anliegen, in Theorie und Praxis, durch Demaskierung von Würdenträgern aus Staat und Kirche, durch Gesetzesreformen, die Urbarmachung ungastlicher Gegenden, durch aktive Nächstenliebe die neuen Ideale wirksam werden zu lassen. In den dunklen Schöpfungsplan, über den sie diskutieren, woll(t)en sie als Humanisten eingreifen“, so ein Kommentar des Herausgebers. Natürlich breiteten sie auch Gedanken über die eigenen jeweils in Arbeit befindlichen Werke voreinander aus, und immer wieder kam ihr aktueller Gesundheitszustand zur Sprache.

Insgesamt fünfmal sind sich der König und der Philosoph begegnet. Von 1750 bis Anfang 1753 lebte Voltaire als hochrangiger Gast am Hofe Friedrichs in Sanssouci und Berlin, bis es Ende 1752 zum großen Krach kam. Anschließend ergossen sich über ihn die bekannten Schimpfkanonaden des erzürnten Monarchen. Erst während des Siebenjährigen Krieges, als Friedrich der Große Voltaire seine Selbstmordabsichten mitteilte und dieser ihm trostreiche Worte spendete, lebte ihr Gespräch wieder auf. Im Alter und aus sicherer Distanz fanden beide zu einem Verhältnis, das an ein einvernehmliches altes Paar denken lässt, bemerkt der Herausgeber in seinem Nachwort. Nach einem aufgewühlten Leben begriffen und würdigten sie einander uneingeschränkt. Dagmar Jestrzemski

Hans Pleschinski (Hrsg.): „Voltaire/Friedrich der Große – Briefwechsel“, dtv, München 2010, broschiert, 655 Seiten, 14,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren