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16.10.10 / Stolpersteine im Redefluss / Welttag des Stotterns – 800000 Betroffene allein in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-10 vom 16. Oktober 2010

Stolpersteine im Redefluss
Welttag des Stotterns – 800000 Betroffene allein in Deutschland

Der Welttag des Stotterns soll auf die Probleme der Menschen mit Redeflussstörung aufmerksam machen. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Menschen, die stottern, inspirieren“.

Wenn Rolf Bender spricht, dann braucht er dazu etwas länger als die meisten anderen Menschen. Über bestimmte Buchstaben kommt er nicht hinüber, an anderen bleibt er hängen. Vokale und Konsonanten sind für Bender Stolpersteine, die ihm beim normalen Redefluss im Weg stehen. „Ich bin Bauingenieur“, erzählt er. „Früher habe ich gedacht: In diesem Beruf musst du zeichnen, nicht sprechen. Das war ein Trugschluss. Meine Ideen muss ich ja verkaufen.“

Bender hat ein Problem, mit dem gut 800000 Menschen in Deutschland zu kämpfen haben: Er stottert. Bender trifft sich einmal pro Woche mit anderen Stotterern in seiner Selbsthilfegruppe. „Das ist unser Freiraum“, sagt er. „Hier muss niemand vorm Stottern Angst haben.“ Denn die Redeflussstörung ist für die Betroffenen nicht einfach nur lästig. In einer Gesellschaft, in der Stotterern gegenüber noch viele abwertende Vorurteile herrschen, kann die wiederholte Beschämung zu Minderwertigkeitskomplexen und schlimmstenfalls zu sozialer Isolation führen. „Gerade Kinder reagieren mit Angst, wenn andere aus Unwissenheit unangemessen auf das Stottern reagieren“, erklärt Peter Schneider, Lehrlogopäde am Universitätsklinikum Aachen. Bundesweit stottern rund fünf Prozent aller Kinder. Die meisten legen das Stottern aber im Laufe der Zeit ab.

Die Wissenschaft weiß noch relativ wenig über die Redeflussstörung. Fest steht nur, dass Stottern meist schon im frühen Kindesalter beginnt und vererbt werden kann. „Wahrscheinlich handelt es sich um eine neuromuskuläre Störung“, meint Schneider. „Kommt es zum Stottermoment, dann arbeiten bestimmte Muskelsysteme nicht mehr zusammen, sondern gegeneinander.“

Stottern ist häufig mit übermäßiger Anstrengung beim Sprechen verbunden. Die Anstrengung wird in auffälligen Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur oder in zusätzlichen Bewegungen von Kopf, Arm oder Oberkörper sichtbar. Wann es zu einem so genannten Stottermoment kommt, ist bei jedem unterschiedlich. „Manche Leute stottern bei jeder Silbe, andere nur bei bestimmten Wörtern oder in Stress-Situationen“, sagt Bender.

Keine zwei Menschen stottern auf dieselbe Art und Weise, und auch die Ausprägung kann bei einer einzelnen Person je nach Situation, Gefühlslage, körperlicher Verfassung oder Wörtern stark schwanken. Übrigens gibt es auch zahlreiche Prominente, die stottern oder gestottert haben: Winston Churchill, Charles Darwin, Bruce Willis, Rowan Atkinson alias Mr. Bean und John Larkin alias Scatman John und Isaac Newton sind nur einige von ihnen.

Aus Angst vor dem Sprechen ziehen sich die Betroffenen häufig zurück und vermeiden viele Situationen, in denen sie sprechen müssten. Abwertende Reaktionen der Mitmenschen wie Hohn und Ablehnung, aber auch Mitleid oder Verlegenheit können das Problem noch verschlimmern.

In den Blickpunkt rückt das Thema durch den internationalen Tag des Stotterns am 22. Oktober, den Stotterer-Organisationen und Fachverbände 1998 ausgerufen haben. „Es ist uns wichtig klar-zumachen, dass Stottern kein psychisches Problem ist, sondern eine Krankheit“, sagt Schneider.

„Wir wünschen uns, ganz normal behandelt zu werden“, sagt Bernhard Frese, der ebenso wie Sandra Kessler seit dem Vorschulalter stottert. „Und dass die Leute uns ausreden lassen, auch wenn es etwas länger dauert“, meint Kessler, „man weiß selbst, was man sagen will, man kriegt es nur in dem Moment nicht raus.” Frese ergänzt: „Und dass sie uns ansehen. Weil es einfach normal ist, jemanden anzuschauen, der zu einem spricht.” Corinna Weinert


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