18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.10.10 / Wenn »sozial« richtig teuer kommt / Rot-rote Wohnungspolitik vor Scherbenhaufen: Berlins Wohnungen für viele unbezahlbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-10 vom 23. Oktober 2010

Wenn »sozial« richtig teuer kommt
Rot-rote Wohnungspolitik vor Scherbenhaufen: Berlins Wohnungen für viele unbezahlbar

Steigende Mieten und eine offenbar gescheiterte städtische Wohnungspolitik zwingen die Berliner Landesregierung, die Notbremse zu ziehen. Der SPD/Linke-Senat stellt dafür eine Initiative zur Begrenzung von Wohnmieten vor. Über den Bundesrat soll das Werk im November zum bundesweiten Pilotprojekt werden.

Hektisch prüft Rot-Rot seit Monaten Wege zur Begrenzung der teils rapide steigenden Mieten in der Hauptstadt. Die Preisexplosion ist eigentlich ein Paradox angesichts hoher Leerstandraten. Die Mietenkrise ist aber nicht zuvörderst Folge einer allgemeinen Wohnraumknappheit, sondern das Resultat des konfusen Rückzugs von Berlins öffentlicher Hand aus dem Wohnungsmarkt.

„Wir sind im Bund nur glaubwürdig, wenn Berlin die Forderungen nach Mietbegrenzungen im eigenen Hause, also bei den städtischen Wohnungsunternehmen, umsetzt“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV) zum neuen Plan. Die städtischen Gesellschaften halten gerade noch 270000 Wohnungen (35 Prozent weniger als im Jahr 2000) von insgesamt 1,8 Millionen Berliner Wohnungen (Stand 2009). Ein Zehntel davon sind mietpreisgebundene Sozialwohnungen, Tendenz ebenfalls fallend.

Es mag Zufall sein, dass Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) die Senatsinitiative nur zwei Tage nach der Besetzung eines Musterhauses durch Linksautonome verkündet hat. Doch in der Stadt regt sich Protest gegen steigende Mieten und „Gentrifizierung“, sprich Sanierungen mit anschließender Vergabe an wohlhabendere Mieter. Der Senat will um jeden Preis Aktivität zeigen gegen den sozialen Wandel.

Im Kern geht es darum, weiteren Preisanstieg abzufedern und damit den Druck auf Mieter mit geringem Einkommen zu mindern. Paragraph 5 des Wirtschafts-Strafgesetzbuches wird dafür geändert, denn der konnte Mietsteigerungen von 30 bis 50 Prozent bei Neumietern bisher nicht stoppen. Dabei stehen mit 5,5 Prozent vom Gesamtbestand mehr Wohnungen leer, als im Durchschnitt der großen deutschen Metropolen, wo rund drei Prozent der Wohnungen keinen Mieter haben.

Dass die Mieten trotzdem spürbar anziehen, halten viele Beobachter für eine Folge von Politikversagen. Noch im Juni 2010 war die Anschlussförderung für gut 12000 Sozialwohnungen entfallen. Seit 2003 zieht sich Berlin aus der Wohnraumförderung zurück. Im Frühjahr dieses Jahres leistete Junge-Reyer den wohnungspolitischen Offenbarungseid: „Der soziale Wohnungsbau in Berlin erfüllt zu großen Teilen nicht mehr seine ihm zugedachte Funktion der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit angemessenem Wohnraum zu günstigen Bedingungen.“ Zudem musste die Senatorin eingestehen, dass 40 Prozent der mit öffentlichen Mitteln geförderten Sozialwohnungen teurer sind als Vergleichswohnungen auf dem freien Markt. Grund ist, dass die Stadt alle Kosten auf die Mieter umlegte, statt, wie früher üblich, die Lücke zwischen Mieteinnahmen und Unterhaltungskosten mit Steuermitteln auszugleichen.  Hartz-IV-Empfänger sind daher aus ganzen stadteigenen Wohnarealen verschwunden, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Die Sozialstruktur zentrumsnaher Kieze ändert sich damit dramatisch.

Laut BMV liegen die Neuvertragsmieten in Kreuzberg um 33 Prozent über den Bestandsmieten, in Mitte und Prenzlauer Berg um 21,7 Prozent. Berlins neuer Plan gegen die Entwicklung: Die Mieten sollen binnen vier Jahren um nicht mehr als 15 Prozent steigen (bisher waren 20 Prozent in drei Jahren möglich), maximal neun Prozent der anfallenden Sanierungskosten werden an die Mieter weitergereicht (bisher jährlich maximal elf Prozent).

Wer neu einzieht, soll genau über Energiekosten informiert werden. Vermieter legen dazu den 2008 von der EU eingeführten Energieausweis den Mietern vor. Werden die Mindestanforderungen der Energiesparverordnung nicht erfüllt, soll die Miete entsprechend gemindert werden können. Beim Wechsel zu teureren Wärmeanbietern sind Mieter künftig zustimmungsberechtigt. Statt des komplizierten „Mietspiegels“ soll künftig die unmittelbare Nachbarschaft als Vergleichsniveau gelten – vier bis fünf solcher Teilräume könne es laut Junge-Reyer pro Bezirk geben.

Der Plan sieht ferner vor, dass die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr alle Gelegenheiten zu Mieterhöhungen wahrnehmen. Doch auf die Frage der Finanzierung geht der Senat bisher nicht ein. Die Energieklauseln lassen befürchten, dass die Vermieter die Zeche zahlen. Entsprechend fällt die Reaktion beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) aus. Der vertritt die Eigentümer von 1,1 Millionen Wohnungen in Berlin und Brandenburg. Gut 38 Prozent des Berliner Marktes gehören BBU-Mitgliedern. Die Senatsinitiative sei ein „tiefer Eingriff in die Mietgestaltungsspielräume“, so BBU-Vorstandsmitglied Maren Kern. Zudem betreibe Berlin „Schaufensterpolitik“ und verkaufe selbst große Freiflächen möglichst teuer für Luxuswohnungen.

Bei Realisierung der Initiative müssten Eigentümer Investitionen und soziales Engagement zurückfahren. „Berlin braucht wieder eine Neubauförderung“, regt Kern stattdessen an. Befürworter sehnen indes das Ende der Kostenmieten und eine Art Rück-kehr zu förderparadiesischen Zuständen herbei. Doch dem neuen Gesetz stehen die geltenden Förderverträge entgegen.           Sverre Gutschmidt


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren