26.04.2024

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23.10.10 / Ostalgie bei Sibylle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-10 vom 23. Oktober 2010

Ostalgie bei Sibylle
von Vera Lengsfeld

Der Karl-Marx-Allee in Berlin konnten die diversen Aufbau-Ost-Programme zwar zu frischem Aussehen verhelfen, nicht aber Leben einhauchen. Sie wirkt wie eine geschminkte Untote. Das Café Sibylle, einst neben der größten Buchhandlung der DDR-Hauptstadt gelegen, lebt heute fast ausschließlich von seiner Vergangenheit. Außer Latte Macchiato und Rotwein „Karl Marx“, der samtig-schal schmeckt, bekommt man hier Geschichtsunterricht durch Bilder und Artefakte, die vom Leben in der DDR und vom Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 erzählen. An der Theke kann man ein Buch mit Modefotografien aus dem begehrten Journal „Sibylle“, erwerben in der DDR Bückware, ohne Beziehungen zu einer Zeitungsverkäuferin nur am Erscheinungstag für ein paar Stunden frei verkäuflich zu bekommen. Die Fotografien wirken kein bisschen verstaubt. Ihr künstlerischer Wert hat den Kollaps des ersten Arbeiter- und Bauernstaates unbeschadet überstanden. Gibt es noch mehr, etwa so etwas wie ein Weiterleben der DDR, nachdem sie von der absoluten Mehrheit ihrer Bewohner verabschiedet wurde?

Eingeladen hat Christoph Links, der durch den Mauerfall zum erfolgreichen Verleger werden konnte. Er präsentiert mit Herausgeber Thomas Kunze ein Buch „Ostalgie international“. Auf den ersten Blick sieht der Raum gut gefüllt aus. Auf den zweiten bemerkt man, dass fast ausschließlich die zahlreichen Autoren des Sammelbandes mit ihrem Anhang erschienen sind. Es sind Menschen versammelt, die sich normalerweise nicht begegnen, aber nun in diesem Band versammelt sind. Ein kurdischer Politiker, ein ehemaliger chilenischer Regierungssprecher, ein Minister der palästinensischen Autonomiebehörde, ein kubanischer Logistikprofessor, Diplomaten, die der DDR oder der BRD gedient haben und DDR-Bürgerrechtler. Das daraus resultierende breite Meinungsspektrum macht das Spannende des Abends aus.

Was ist geblieben von der DDR und ihren Aktivitäten im Ausland? Ein Krankenhaus in Hanoi, eine Insel vor Kuba, die Fidel Castro einst Erich Honecker schenkte, ein Karl-Marx-Denkmal in Addis Abeba, Freundschaftsgesellschaften ehemaliger DDR-Immigranten, ein Ossi-Club für die „DDR-Kinder“ in Namibia, die in den 70ern als Waisen in die DDR gebracht wurden, 15 Jahre im Brandenburgischen lebten und nach dem Zusammenbruch ihrer zweiten Heimat in ein ihnen fremdes Namibia zurück mussten.

Mit Ostalgie hat das alles nichts zu tun. Wenn heute die Malerei der Leipziger Schule international Höchstpreise erzielt, ist das keine Referenz an die DDR-Staatskunst, sondern das Ergebnis eines speziell von ihr entwickelten Historizismus und Manierismus, der in der DDR fremd wirkte, heute aber ankommt. Was immer bleiben wird von der DDR, ist, dass sie erfolgreich abgeschafft wurde.


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