19.04.2024

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30.10.10 / Die Klippen von Stuttgart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Die Klippen von Stuttgart
von Olaf Jensen

Klaus Wowereit beherrscht die Kunst, seine Gegner von aufreizend hohem Ross herab abzufertigen. Das heißt: Er beherrschte sie bislang. Dieser Tage beschlagen am Berliner Rathaus die Fenster, weil drinnen das große Schwitzen begonnen hat. Der Grund für die steigende Nervosität im rot-roten Senatslager heißt Renate Künast. Die grüne Fraktionschefin im Bundestag will am 5. November eine große Rede halten und, so vermuten die Beobachter, die offene Schlacht anzetteln: An jenem Tag will sich Renate Künast gegenüber den Mitgliedern der Berliner Grünen erklären.

Es wird erwartet, dass sie ihre Kandidatur für das Bürgermeisteramt bei den nächsten Landtagswahlen im September 2011 anmelden wird. Alles andere wäre eine Überraschung. Die Grünen sind in Berlin noch höher in den Umfragegipfel aufgestiegen als auf Bundesebene: Die jüngste Forsa-Umfrage gibt ihnen an der Spree 30 Prozent – stärkste Partei! Die SPD folgt mit 26, ihr dunkelroter Rathauspartner mit 15 Prozent.

Elend abgeschlagen die bürgerlichen Parteien: Die CDU erhielte mit 16 Prozent kaum mehr Stimmen als die FDP bei den vergangenen Bundestagswahlen, die Liberalen selbst wären mit drei Prozent von der landesparlamentarischen Bühne verschwunden. Erstaunlich hoch rangieren die „Sonstigen“ mit zehn Prozent.

Auf Bundesebene versucht die SPD die Grünen als verwöhnte Schicki-Micki-Truppe zu entlarven, die sich ein nettes Image zugelegt habe, ohne die Probleme ernsthaft anzugehen. Deshalb seien sie nun jedermanns Liebling, doch in den Klippen des harten Alltags würden sie schon noch auflaufen. Sich selbst stellt die SPD demgegenüber als Selbstbild vom kernigen Wohnblock-Sozi dar, der zwar keine Ahnung hat, wie Prosecco schmeckt, dafür umso besser Bescheid weiß um die echten Sorgen der kleinen Leute. Und sich eben auch mal unbeliebt macht, wenn es sein muss.

Leider funktioniert diese Tour in Berlin nicht so recht. Schuld ist ausgerechnet Wowereit. Zu lange hat er sich als süffisant lächelnder, Sektglas schwingender Dandy selbst in Szene gesetzt. Da nimmt ihm die neue Kernigkeit kaum jemand ab.

Den Grünen lauert eine ganz andere Gefahr: Sollte die Partei nach der März-Wahl in Baden-Württemberg dort an die Regierung  kommen, wird ihr „Stuttgart 21“ so oder so auf die Füße fallen: Entweder als Milliarden-Forderungen von Firmen im Falle des Baustopps oder als gewaltige Wählerenttäuschung im Fall des Weiterbaus. Dann könnte es sogar für die eloquente Künast noch einmal eng werden. Mit dem schönen Schein der Wünsch-Dir-Was-Partei dürfte es dann nämlich vorbei sein.


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