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30.10.10 / Der Politik den Rücken gekehrt / Studie: Brandenburgs Jugend ist pragmatisch und zuversichtlich – Vertrauen in Parteien sinkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Der Politik den Rücken gekehrt
Studie: Brandenburgs Jugend ist pragmatisch und zuversichtlich – Vertrauen in Parteien sinkt

Brandenburgs junge Generation ist pragmatisch, verspricht sich wenig von Politik und sieht mit Engagement und Leistungswillen zunehmend positiv in die Zukunft, so das Ergebnis einer aktuellen Jugendstudie.

Die „7. Untersuchung zur Lebenssituation Brandenburgischer Jugendlicher“ bei 3100 Jugendlichen unter 20 Jahren entstammt dem Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam. Das Institut und sein Direktor Dietmar Sturzbecher sind noch in anderen Bereichen tätig, so bei der „Entwicklung kommunaler Strategien gegen Extremismus (EKSE)“. Dabei werden „Projekte und Maßnahmen, mit denen in Brandenburg seit den 1990er Jahren schon erfolgreich gegen Rechtsextremismus vorgegangen wurde, im Hinblick auf Transfermöglichkeiten untersucht“, heißt es.

Bei der aktuellen Untersuchung geht es dem Auftrag nach nicht um solchen Transfer, sondern um die Fortsetzung einer Reihe, die seit 1991 vor allem „wendebedingte“ Änderungen im Leben junger Brandenburger erklären soll. Die Befragung ist bemüht, das ganze Leben zu erfassen: Schule, Fahrt dorthin, Einstellung zur Zukunft oder zur Gewalt, die seltener toleriert wird. Die zufällig an Schulen und Oberstufenzentren Befragten sahen sich zudem mit Fragen zu „Politikverdrossenheit“, „politischer Partizipationsbereitschaft“, „Rechtsextremismus“ und „Ausländerfeindlichkeit“ konfrontiert. Die ersten Fragen zielten auf „Werte, Zukunftserwartungen und Migrationswünsche“.

Letzteres beschönigt dabei den bisher von vielen erlebten Zwang, Brandenburg für Ausbildung oder Beruf zu verlassen. Mittlerweile aber besteht Hoffnung, dass immer mehr eine Chance in der Heimat sehen. Zwar ist der Ruf des Landes besonders bei jungen Frauen in dieser Hinsicht nach wie vor schlecht – sie wandern eher ab als junge Männer. Doch das ändert sich offenbar langsam, wie die Untersuchung ergab.

Das Papier macht deutlich: Erfüllende Arbeit und genussvolles Leben stehen hoch im Kurs, Gesundheit ist wichtiger geworden. Die Unterkategorien „Vertreten der eigenen Meinung“ und „aktive Teilnahme am politischen Leben“ erregen dagegen messbar weniger Interesse bei der Jugend als einst. Aktives politisches Engagement hat den geringsten Stellenwert aller Fragen. Das ist relativ neu, denn bis 2005 hatte das Interesse daran noch stetig zugenommen. Nur 32 Prozent schätzen heute politischen Einsatz noch als „bedeutsam“ (2005: 37 Prozent). Politisches Interesse lässt bei Mädchen und über 18-Jährigen am meisten zu wünschen übrig. Die selbsteingeschätzte Politikkompetenz erhöhte sich dem gegenüber.

Politikverdrossenheit herrscht weiter bei über 80 Prozent der Jugendlichen – eine Abnahme um Promillepunkte, von der Studie als Erfolg verbucht. Statt hier Zusammenhänge zu erhellen, widmen sich die Wissenschaftler jedoch lieber linken Modethemen wie Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Dem von ihnen selbst gemessenen deutlichen Rück­gang bei beidem begegnen die Forscher mit Skepsis: „Ungeachtet dieser positiven Entwicklung ist die Zustimmung zu einzelnen Indikatoren jedoch höher. Rund 40 Prozent der Jugendlichen sind beispielsweise der Meinung, dass es zu viele Ausländer in Brandenburg geben würde.“

Linke Extreme interessieren erstaunlicherweise gar nicht. Dabei definieren die Macher rechtsextrem unter anderem als „Autoritarismus“. Sprich, wer Autoritäten oder weniger Zuwanderung befürwortet, ist ein potenzieller Rechtsextremist. Trotz solch methodischer Sichtblenden fördern die Forscher  auch brauchbare Ergebnisse zutage. So wächst ihrer Untersuchung zufolge der Stellenwert von Familie, obwohl nur noch gerade die Hälfte der befragten jungen Leute in einer klassischen Familie lebt. Auch wächst der „berufsbezogene Zukunftsoptimismus“. Zweifelten 2005 noch 45 Prozent in der Region daran, je ihren Traumberuf zu finden, tun dies 2010 nur noch 30 Prozent. Die Studie legt nahe: Gefühlte Chancen nähern sich den Daten des Arbeitsmarktes. Jugendarbeitslosigkeit nimmt in Brandenburg deutlich stärker ab als im Bundesschnitt, auch wenn lokal starke Unterschiede in der Mark problematisch bleiben: Lag sie bei unter 25-Jährigen 2004 noch bei 17,7 Prozent (Bundesdurchschnitt: 11,6) ist sie inzwischen bei 11,5 (Bund: 8,8) angekommen. Anstellungen mit Sozialversicherungspflicht nahmen selbst in der Wirtschaftskrise zu. Maßnahmen für Fortbildung und Arbeitsbeschaffung konnten entsprechend zurückgefahren werden. Und die miserable demographische Entwicklung eröffnet dem Nachwuchs immer bessere Chancen: Bis 2015 benötigt Brandenburg 200000 zusätzliche Fachkräfte, schätzt die Landesregierung. Doch die Geburtenrate liegt „40 bis 50 Prozent unter dem Niveau, das für eine stabile Bevölkerungsentwicklung erforderlich ist“, mahnte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bereits 2004.

Trotz bundesweit derzeit großer wirtschaftlicher Dynamik ist der Brandenburg-Boom daher bereits von Arbeitskräftemangel bedroht – durch Altern und Ausdünnen der Gesellschaft, was Firmen bald abschrecken könnte, hier zu investieren. So sehen Experten bis 2030 anhaltendes Wachstum nur im direkten Umland von Berlin. Die aktuelle Studie sowie Zahlen der Industrie- und Handelskammer zeigen, dass manche Jugendliche dies genauso sehen: Sie schauen sich nicht nach Stellen in Brandenburg um, sondern gehen gleich in die Hauptstadt. Sverre Gutschmidt


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