25.04.2024

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30.10.10 / Schlichtung als Fernseh-Spektakel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Schlichtung als Fernseh-Spektakel

Unter recht hohem Publikumsinteresse begann am vergangenen Freitag der inhaltliche Teil der Schlichtungsgespräche über das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Das Interesse war beachtlich, die Übertragung der fast neunstündigen Debatte im Sender Phoenix erreichte die zeithöchste Quote, die der 1997 gegründete Sender je verzeichnen konnte.

Der inhaltliche Nutzen war allerdings begrenzt. Schlichter Heiner Geißler drängte die Experten immer wieder zu „fernsehgemäßer“ Aussprache. Doch nicht jeder Sachverständige ist Talkshow-geeignet, abgesehen davon, dass es Sachverhalte gibt, die sich beim besten Willen nicht in Sätze packen lassen, die ein wenig vorbereitetes Millionenpublikum verstehen würde.

Bestens präpariert sind hingegen die Teilnehmer der Gesprächsrunden, aber ihnen geht es nicht um neue Einsichten, sondern nur darum, ihre Meinung zu popularisieren. Bei echten Schlichtungen gehen die Teilnehmer mit völlig anderen Absichten in die Gespräche. Hier spielt die Außenwirkung keine Rolle, gesucht wird nach Kompromissen, wo es im Falle Stuttgart 21 doch nur um eine Ja-Nein-Entscheidung geht.

Nicht nur deswegen blieb ein merkwürdiges Gefühl zurück. Geißler gab offen zu verstehen, dass die bis Ende November laufenden Gespräche im Grunde wie das Hornberger Schießen enden müssen. Was die Beteiligten mit den Diskussionsergebnissen täten, sei dann ihre Sache. Also formieren sich die Bataillone neu. Die Grünen als Hauptgegner des Projekts kämpfen vor allem gegen die zunehmende Überzeugung, auch sie würden – selbst im Falle eines Wahlsieges im März – das angefangene Verkehrsprojekt fertigstellen.        K.B.

 

Zeitzeugen

George Stephenson – Der 1781 geborene englische Ingenieur baute 1814 seine erste Dampflokomotive. Sie wurde in einer Kohlengrube eingesetzt. Am 27. September 1825 fuhr unter seiner Leitung zwischen Stockton und Darlington die erste öffentliche Eisenbahn der Welt. Auch die Lok, die 1835 Deutschlands ersten Zug zog, war von ihm gebaut.

Friedrich List – Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler (1789−1846) griff als erster die technischen Neuerungen aus England auf, insbesondere die Erfindungen Stephensons. Seine Vision: Ein „deutsches Eisenbahn­system“ sollte entscheidend dazu beitragen, die Zerstückelung in 39 souveräne Staaten des Deutschen Bundes zu überwinden. So sollte Deutschland beim Einstieg in das Industriezeitalter gegenüber England aufholen. Angeregt von seinen Ideen entstand in Nürnberg die „Königl. privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft“, Betreiber der ersten deutschen Eisenbahn.

Hermann Kemper – Der 1892 in Nortrup/Osnabrück geborene deutsche Ingenieur gilt als Erfinder des Transrapid. 1934 ließ er beim Reichspatentamt unter der Nummer 643316 die Erfindung einer „Schwebebahn mit räderlosen Fahrzeugen, die an eisernen Fahrschienen mittels magnetischer Felder schwebend entlang geführt wird“, eintragen. 1972 erhielt er als Würdigung seiner Forschungsleistungen das Bundesverdienstkreuz. Bis Ende des Jahrhunderts wurde seine Erfindung einsatzreif entwickelt, der Bau einer Referenzstrecke in Deutschland scheiterte aber an politischen und ideologischen Widerständen. Die einzige kommerzielle Strecke betreibt China mit deutscher Technik. Technisch wäre der Transrapid in der Lage, da anzuknüpfen, wo die konventionelle Eisenbahn an ihre Tempogrenzen stößt.

Rüdiger Grube – Der 1951 in Hamburg geborene Manager und gelernte Flugzeugbauer ist seit 1. Mai 2009 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Er übernahm die Leitung des Verkehrskonzerns in einer äußerst schwierigen Phase. Sein Vorgänger Hartmut Mehdorn war durch eine Serie von Pannen und durch seine auf einen baldigen Börsengang fixierte Geschäftspolitik in Misskredit geraten. Grube stand – und steht immer noch – vor der schwierigen Aufgabe, das Unternehmen Deutsche Bahn wieder auf ein ruhigeres Gleis zu setzen. Zunächst schien ihm das zu gelingen. Nun steht er im Streit um Stuttgart 21 wieder an vorderster Front – mit welchem Erfolg, ist noch ungewiss.


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