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30.10.10 / Meinungsfreiheit ist immer gefährlich / Bundesverfassungsrichter Masing stößt Debatte über NS-Verbotsgesetze an – Warnung vor Missbrauch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Meinungsfreiheit ist immer gefährlich
Bundesverfassungsrichter Masing stößt Debatte über NS-Verbotsgesetze an – Warnung vor Missbrauch

Die Tyrannei beginne dort, wo Meinungen zum Verbrechen erklärt würden, warnte der Philosoph Baruch Spinoza schon im 17. Jahrhundert. Wie aktuell seine Warnung noch immer ist, zeigt eine Debatte führender Juristen über die bundesdeutschen NS-Verbotsgesetze.

Darf zur Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen die Meinungsfreiheit beschnitten werden? Wenn ja: Bedrohen solche Einschnitte nicht das hohe Gut der Meinungsfreiheit insgesamt? Diese Frage trieb die Teilnehmer einer Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission in Würzburg um.

Der Bundesverfassungsrichter Johannes Masing riskierte dabei einen kritischen Blick auf die deutsche Rechtsprechung. Der 2008 von der SPD für Karlsruhe nominierte Jurist schlug dabei eine Bresche für die Meinungsfreiheit.

Freiheit sei gefährlich, und Meinungen ebenso, stellte Masing seinen Ausführungen voran. Damit wollte er seine grundsätzliche Haltung klarmachen: Auch ganz und gar unerwünschte, ja gefährliche Meinungen müssten vom freiheitlichen Staat geduldet werden.

Die Wirklichkeit aber sehe anders aus: „Die Vorstellung, illegale Meinungen müssten verboten werden, greift um sich“, so der Richter. Das aber eröffne einen gefährlichen Pfad, der sich gegen die Meinungsfreiheit an sich wenden könne. Letztlich müsste irgendwann jeweils politsch abgewogen werden, welche Meinung denn noch akzeptabel sei und welche nicht. Doch, so warnt Masing, „gilt die Meinungsfreiheit nur nach Maßgabe von Abwägungen, gilt nur noch ,common sense‘“. Ein Einfallstor für parteiliche Willkür?

Offenbar quälen den Verfassungsrichter grundsätzliche Bedenken zu der von ihm selbst mitgestalteten Wunsiedel-Entscheidung. In der oberfränkischen Stadt Wunsiedel liegt der 1941 nach England ausgeflogene Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben. Anhänger des NS-Re-

gimes veranstalteten dort über viele Jahre immer am 30. Oktober einen Gedenkmarsch für Heß. Sie glauben, dass der damals 93-jährige Heß 1987 nicht auf natürlichem Wege in seiner Haft in der Festung Spandau gestorben sei, sondern von seinen britisch-amerikanischen Bewachern ermordet worden sei, nachdem die sowjetische Seite ihre Bereitschaft zu seiner Entlassung signalisiert habe. Der Erste Senat des Bundesverfahrungsgerichts bestätigte schließlich im November 2009 das Verbot des Aufmarsches.

Masing nannte das nun in Würzburg einen Verstoß gegen die reine Lehre. Es sei schwierig gewesen, dies der Bevölkerung zu vermitteln. Er räumte zwar ein, dass es möglich sei, NS-Meinungen außerhalb der Meinungsfreiheit zu stellen und gesondert zu behandeln. Doch, „Sonderrecht“ sei zwar erlaubt, aber nicht geboten.

Die Grenze verlaufe dort, wo die Meinungsäußerung in Aggression umschlage. Dazu zählt das Strafrecht etwa den Aufruf zur Gewalt oder zu anderen Gesetzesübertretungen. Da müsse der Staat hart durchgreifen und müsse nicht erst bis zum (vollzogenen) „Ehrenmord“ warten, fordert der Verfassungsrichter.

Es gehe jedoch nicht an, dass sich staatliche Behörden dafür feiern ließen, dass sie eine erlaubte Veranstaltung abgedrängt hätten. In der Vergangenheit brüsteten sich immer wieder Politiker und Verwaltungen damit, von ihnen als rechtsextrem eingestufte, aber von Gerichten zugelassene Veranstaltungen wie Versammlungen und Demonstrationen auf anderem Wege vereitelt zu haben, beispielsweise durch Sitzblockaden gegen Demos oder Einflussnahme auf Gastronomen, ihre Säle nicht zu vermieten oder die Vermietung zu stornieren.

Im Mittelpunkt von Masings Befürchtungen steht ein möglicher, fortschreitender Dammbruch: Die Grenze, ab der zu verbietende nationalsozialistische Auffassungen vorliegen, muss jeweils in politischer Abwägung getroffen werden. Wer beispielsweise die Ehrenerklärungen auch nur Wort für Wort wiederholte, welche die Vorsitzenden aller großen demokratischen Parteien (einschließlich der SPD Kurt Schumachers) in den 50er Jahren für die Waffen-SS abgaben, der könnte sich schnell jenseits dieser Grenze wiederfinden. Der Linkspartei ist zudem alles daran gelegen, den „Antitotalitarismus“ zu diskreditieren. Auf ihm gründete sich die gemeinsame Ablehnung aller demokratische Parteien nach dem Kriege gegenüber jedweden Formen totalitärer Regime, ob rot oder braun. Dabei wurden die Gemeinsamkeiten Hitlerscher und Stalinscher Menschenschinderei besonders in den Fokus gerückt.

Von Linksaußen geht das Bemühen aus, diese „Gleichsetzung“ als „Verharmlosung“ des Nationalsozialismus zu diffamieren. Somit könnten, nachdem heute bereits positive Meinungen über das braune Regime Hitlers verboten sind, bald auch bestimmte Formen der Kritik an der roten Diktatur Stalinscher Prägung illegal werden. Eine solche Ordnung meint die extreme Linke, wenn sie vom „antifaschistisch-demokratischen Konsens“ spricht.

Diese mögliche, immer weitergehende Einengung der Meinungsfreiheit ist es, die Johannes Masing umtreibt. Bislang werden NS-Kundgebungen vorzugsweise mit der Begründung verboten, sie stellten eine „Störung des öffentlichen Friedens“ dar. Masing fragt sich, ob diese Regel nicht bald auch auf weitere sogenannte „Störungen“ ausgedehnt werden könnten. Johannes Masings Vorgänger Wolfgang Hoffmann-Riem hatte, freilich erst kurz nach dem Ende seiner Amtszeit, diesen Gedanken zuende gesponnen und war zu dem Schluss gekommen, dass er selbst die Holocaust-Leugnung nicht unter Strafe stellen würde.          Hans Heckel


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