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30.10.10 / Eine Symphonie aus Gold und Grün / Kiew zeigt sich als Metropole mit architektonischen Kostbarkeiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-10 vom 30. Oktober 2010

Eine Symphonie aus Gold und Grün
Kiew zeigt sich als Metropole mit architektonischen Kostbarkeiten

Es ist wie im Märchen. Bevor der Wanderer die mit Gold gefüllte Schatzkammer betreten kann, muss er eine Reihe von Prüfungen bestehen. Nach langwierigen Passkontrollen folgt eine Fahrt über holperige Straßen und Wege durch baumlose Schlafstädte mit tristen Plattenbauten. Einzige Farbkleckse sind die knallig bunten Reklameschilder, auf denen in kyrillischer Schrift für Haushaltsgeräte und Haarpflegemittel geworben wird.

Doch nach gefühlten 100 Kilometern zerreißt der Vorhang, und vor dem staunenden Auge liegt eine zauberhafte Metropole – eine Symphonie aus Gold und Grün. Wie Smaragde funkeln die Dächer von Kirchen und Bauwerken, überstrahlt vom goldenen Glanz der Kuppeln.

Das wie Rom auf sieben Hügeln erbaute Kiew ist eine Stadt voller Parks. Die ausladenden Kronen alter Kastanienbäume beschatten Straßen und Plätze. Historische Bedeutung erlangte der Madjdan. Hier begann im Winter 2004 die „Orangene Revolution“. Hunderttausende Ukrainer protestierten seinerzeit friedlich gegen den Betrug bei der Präsidentschaftswahl. „Leider alles für die Katz“, seufzt Irina, eine Frau in den Vierzigern. „Heute ist alles wieder beim alten. Aber das Leben geht weiter.“ So sehen es wohl auch die meisten ihrer Mitbürger, die fröhlich plaudernd auf dem Rand des plätschernden Brunnens mitten auf dem riesigen Platz Bier und Mlynzi (mit Schinken gefüllte Pfannkuchen) genießen. Junge Leute auf Inline Skates umrunden das Monument der Unabhängigkeit, eine Art ukrainische „Goldelse“, die von ihrer 38 Meter hohen Marmorsäule auf das Leben und Treiben zu ihren Füßen herabblickt.

Die Stadt weist eine beträchtliche Zahl von mehr oder minder geliebten Skulpturen und Statuen auf. Während die Heilige Olga im Zentrum der Stadt von der Bevölkerung verehrt wird, ist die Rodina Mat (Mutter Heimat), eine martialische, in Eisen gegossene Frau mit Schwert und Schild, Gegenstand harscher Kritik.

„Breschnews Tochter“, spotten die Kiewer, weil der einstige sowjetische Präsident damals dieses Denkmal in Auftrag gab. Die Russen schätzt man hier nicht sehr, und die Menschen bestehen darauf, dass sie nicht Russisch, sondern Ukrainisch sprechen und schreiben.

Ein Abenteuer ist die Fahrt in der ratternden Metro, in der sich der Fahrgast fühlt wie in einer Sardinenbüchse. Hier wird vor Taschendieben gewarnt, die besonders aktiv werden, wenn das Licht in schönster Regelmäßigkeit ausfällt und der Zug mitten auf der Strecke stehen bleibt. Nein, zu Aggressionen mit Fäusten und Messern kommt es selten. Denn, so zitiert ein Alteingesessener: „Wir Ukrainer besitzen ein hohes Maß an über Jahrhunderte praktizierter Leidensfähigkeit.“ Wen wundert es! Wie ein Spielball wechselten sie in ihrer langen Geschichte von einer fremden Hand in die nächste. Mongolen, Osmanen, Tartaren – die ganze Palette. Und schließlich fiel die Westukraine unter die Herrschaft der Habsburger, während der Osten von den russischen Zaren vereinnahmt wurde.

Kiew prunkt mit seinen vielen Kirchen, von denen jede ihren eigenen Charakter besitzt. Wer die vielen Stufen zur Andreaskirche erklommen hat, ist geblendet von der grün-goldenen Pracht ihrer filigranen Zwiebeltürme. Auch die fünfschiffige Sophienkathedrale sowie die reich mit Blattgold verbrämte Michajlow-Kirche schlagen jeden Besucher in ihren Bann. Sehr sehenswert ist das am Westufer des Dnjepr gelegene Höhlenkloster Lawra. Unter der Erde befinden sich winzige Mönchszellen und viele kleine Kirchen. Mönche huschen mit flackernden Kerzen an den Nischen vorbei, in denen mumifizierte Heilige in steinernen Särgen aufgebahrt sind.

Zurück aus der Unterwelt, ist ein buntes Kontrastprogramm angesagt. Also auf zur Chreschtschatyk, die von wunderschönen Häusern aus der Belle Epoque und protziger Zuckerbäckerarchitektur gesäumte Prachtstraße. An lauen Tagen wird sie zu einem Laufsteg unter freiem Himmel. Ein Défilé bildschöner langbeiniger Mädchen in knalligen kurzen Hosen und gewagten Kreationen aus Leder und Latex stöckelt auf schwindelerregend hohen Absätzen über das Pflaster. Böse Zungen behaupten, der Frauenüberschuss im Lande zwinge die jungen Damen, ihre Reize vor möglichst wohlhabenden Ehekandidaten ins rechte Licht zu rücken.

An reichen Männern mangelt es hier wahrlich nicht. Wo hat man je so viele Porsches, Touaregs, Bentleys und Mercedes Cabriolets gesichtet? Der Turbokapitalismus feiert in Kiew fröhliche Urständ. Schicke Boutiquen und hochpreisige Hotels sind stark frequentiert. Und an den Tischen der feinen Restaurants wird echter Kaviar serviert. Der wird auch in der berühmten

Bessarabischen Markthalle angeboten, und zwar zu attraktiven Preisen. Doch Hände weg davon – es handelt sich hier laut Aussagen von Insidern um raffiniert in Kaviardosen abgefüllten einfachen Fischrogen, der auch bei uns nicht viel kostet.

Aber muss es wirklich immer Kaviar sein? In einem jener lauschigen Straßencafés, an denen die Stadt reich ist, wird für wenig Geld leckerer Borschtsch serviert. Und um den zu bestellen, muss man nicht einmal der Landessprache mächtig sein. Uta Buhr


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