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06.11.10 / Einigkeit im Stiftungsrat / Die »Eckpunkte« für das Vertriebenenzentrum haben überzeugt – Interview mit Stephan Grigat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

Einigkeit im Stiftungsrat
Die »Eckpunkte« für das Vertriebenenzentrum haben überzeugt – Interview mit Stephan Grigat

Der Stiftungsrat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin hat über die „Eckpunkte“ für die Arbeit der Stiftung und insbesondere für die geplante Dauerausstellung beraten. Die Preußische Allgemeine sprach darüber mit Stephan Grigat, der in diesem Gremium die Landsmannschaft Ostpreußen vertritt.

PAZ: Um die personelle Besetzung des Stiftungsrates hat es ein langes und erbittertes politisches Tauziehen gegeben. Waren die von Stiftungsdirektor Manfred Kittel vorgestellten inhaltlichen Eckpunkte genauso umstritten?

Stephan Grigat: Die Inhalte des geplanten Zentrums sind in der interessierten Öffentlichkeit in der Tat umstritten. Erkennbar ist das schon daran, dass noch bevor Professor Kittel die Eckpunkte für die Arbeit der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und die geplante Dauerausstellung auch nur dem Stiftungsrat präsentieren konnte, von politisch interessierter Seite ein als Gegenkonzept aufzufassendes „Alternativkonzept“ vorgelegt wurde.

Manfred Kittel ist es aber mit großer Sachkenntnis gelungen, ein Konzept vorzulegen, das von allen Mitgliedern des Stiftungsrates trotz abweichender Ausgangs- und Standpunkte als brauchbare Arbeitsgrundlage angesehen worden ist.

PAZ: Das aber noch nicht beschlossen wurde?

Grigat: Der Stiftungsrat hat sich bei seiner Sitzung am 25. Oktober zunächst einmal erst in seiner neuen Zusammensetzung konstituiert. Der Stiftungsrat – genauer: dessen 19 anwesende Mitglieder – hat diese Konzeption dann eben einmütig als gute Beratungsgrundlage begrüßt.

PAZ: Wie geht es jetzt weiter?

Grigat: Die Eckpunkte wurden zunächst veröffentlicht, denn der Stiftungsrat ist der Auffassung, dass die Diskussion über die endgültige Fassung der Eckpunkte − auch – öffentlich geführt werden soll. Jeder gutwillige Interessierte ist aufgefordert, seine Meinung einzubringen. Im Übrigen soll sich vor der weiteren Beratung und Beschlussfassung im Stiftungsrat der Wissenschaftliche Beraterkreis der Stiftung mit dem Papier beschäftigen.

PAZ: Der Beraterkreis selbst ist momentan nicht komplett.

Grigat: Über die Besetzung dieses Gremiums muss der Stiftungsrat noch entscheiden. Es wird noch über Vorschläge zu beraten sein, weil das Gremium durch das Gesetz vom 14. Juni von neun auf 15 Mitglieder erweitert wurde.

PAZ: Zu den Inhalten: Was sind aus Ihrer Sicht die kritischen Punkte in der Konzeption?

Grigat: Fangen wir mal mit den positiven Punkten an: Alle Stiftungsratsmitglieder wollen eine Dauerausstellung, die die Vertreibung der Deutschen als Kernanliegen der Stiftung in den Mittelpunkt rückt. Hierüber herrscht große Einmütigkeit.

Vielfach ist außerhalb der Gremien versucht worden, den Fokus der Dauerausstellung auf die NS-Verbrechen als Ursache der Vertreibung zu verengen. Wichtig ist mir aber vor allem, den Blick auf das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen zu richten. Natürlich müssen auch Anlass und Ursachen der Vertreibungsverbrechen beleuchtet werden. Kernanliegen sollten aber Weg und Schicksal der Vertriebenen sein und bleiben. An deren Schicksal soll die Ausstellung vor allem dauerhaft erinnern. Ohne ihr furchtbares Schicksal hätte es die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ nicht gegeben, die ja Ausformung des vielzitierten „sichtbaren Zeichens“ sein soll. Wir müssen bedenken: Es gibt Denkmale und Gedenkstätten für fast alle Opfergruppen, außer eben für die deutschen Heimatvertriebenen. Diese Lücke soll die Stiftung schließen.

Der BdV und seine Unterstützer haben immer Wert auf einen Beginn der Darstellung spätestens ab dem Ersten Weltkrieg gelegt, weil bereits damals – insbesondere durch die Pariser Vorortverträge – manche Ursache für die spätere Eskalation von Gewalt und Gegengewalt gelegt wurde und weil es eben schon im und nach dem Ersten Weltkrieg Vertreibungen gegeben hat...

PAZ: Etwa die der Armenier 1915 und die Verdrängung sehr vieler Deutscher aus Polen zwischen 1919 und 1924...

Grigat: ...genau, wobei in der momentanen Konzeption von diesen beiden Vorgängen bisher leider nur die Verschleppung der Armenier enthalten ist, aber auch beispielsweise der sogenannte griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch von 1922. Tatsache ist: Wenn man eine europäische Sichtweise auf die Vertreibungen im 20. Jahrhundert will, dann muss man eigentlich mit dem Ersten Weltkrieg beginnen und das ist nun auch vorgesehen.

PAZ: Aber die NS-Zeit bleibt wohl ein starker Schwerpunkt?

Grigat: Es steht ja bereits im Gesetz über die Stiftung, dass die Darstellung der Vertreibung „im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik“ geschehen soll.

Klar ist, dass jede Schilderung eines historischen Zusammenhangs lückenhaft bis zur Verfälschung ist, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen wird. Deswegen ist die Darstellung des Kontextes nicht nur richtig, sondern auch wichtig. Allerdings muss ebenso klar sein, dass die Vorgeschichte die Vertreibung weder rechtfertigt noch entschuldigt! Mord, Vergewaltigung und Raub sind für sich immer ein Verbrechen, natürlich auch dann, wenn solche Taten an den Angehörigen eines Verbrechers, umso mehr, wenn sie unterschiedslos an der Gesamtbevölkerung eines ganzen Landstrichs begangen werden.

PAZ: Zu den stärksten Kritikern des Zentrums hat sich in der letzten Zeit der Zentralrat der Juden in Deutschland entwickelt. Wie wurde die Abwesenheit der beiden Vertreter des Zentralrats bei der Sitzung aufgenommen?

Grigat: Ich stimme Ihnen nicht zu, wenn Sie sagen, der Zentralrat sei ein Hauptkritiker der Stiftung. Bislang habe ich nur Kritik an Frau Steinbach und zwei stellvertretenden Mitgliedern des Stiftungsrats vernommen. Eine Stellungnahme des Zentralrates zu den Eckpunkten oder anderen konzeptionellen Grundlagen der Stiftung selbst habe ich bislang noch nicht gehört. Den Rückzug des Zentralrats der Juden aus dem Gremium bedauere ich. Es ist schade, dass offenbar die Hürden für eine Rückkehr immer höher gehängt werden. Zuletzt ist von Herrn Korn schon öffentlich überlegt worden, den Rücktritt von Erika Steinbach als BdV-Präsidentin zur Vorbedingung zur Rückkehr des Zentralrates der Juden in den Stiftungsrat zu machen. Ich finde einerseits, dass man nicht derartige Vorbedingungen stellen kann, so etwas wird auch niemandem anderen zugemutet, andererseits wäre es sicher besser, die gewählten Stiftungsratsmitglieder würden ihre Kritik im Gremium und nicht über Interviews äußern.

PAZ: Sie sind mit Mitte 40 einer der jüngeren unter den Spitzenvertretern der deutschen Vertriebenen. Wie wurden Sie im Stiftungsrat aufgenommen?

Grigat: (lacht) …es gibt noch deutlich jüngere. Das Lebensalter spielt wohl keine so große Rolle. Die Atmosphäre im Stiftungsrat ist freundlich, kollegial und professionell. Die „alten“ Mitglieder, also diejenigen, die bereits vor der Gesetzesänderung Mitglied des Stiftungsrates waren, legten Wert auf die Feststellung, dass bislang alle Entscheidungen einstimmig gefallen sind.

PAZ: Letzte Frage. Wenn das Zentrum endlich kommt, werden sich die Vertriebenen darin wiederfinden?

Grigat: Staatsminister Bernd Neumann und Stiftungsdirektor Manfred Kittel wollen wie die übrigen Stiftungsratsmitglieder ein gutes Zentrum und sie wollen keine Verzögerungen. Damit sind zwei wichtige Voraussetzungen erfüllt, dass wir ein Zentrum bekommen, in dem dieses schwierige und komplexe Thema angemessen behandelt wird und in dem sich auch und gerade die Opfer der Vertreibung, wie Sie sagen wiederfinden.


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