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06.11.10 / Die Pleite leichter machen / Zahl der Insolvenzen nimmt zu − Das deutsche Recht macht es Unternehmen und Verbrauchern unnötig schwer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

Die Pleite leichter machen
Zahl der Insolvenzen nimmt zu − Das deutsche Recht macht es Unternehmen und Verbrauchern unnötig schwer

Ob selbst verschuldet oder unverdient − das deutsche Insolvenzrecht baut einige Hürden für einen Neustart auf. Diese sollen nun reduziert werden.

Karstadt-Quelle war der spektakulärste Insolvenzfall des letzten Jahres, aber auch andere bekannte Firmen wie Schiesser, Märklin und Rosenthal gerieten im Lauf der letzten 24 Monate in Zahlungsschwierigkeiten. In all diesen Fällen konnten zumindest Teile der Unternehmen gerettet werden. 2009 meldeten laut Justizministerium 33000 Unternehmen Insolvenz an, was einem Anstieg von zwölf Prozent entsprach, aber nur etwa zwei Prozent der zahlungsunfähigen Unternehmen nutzten die Chance der Plansanierung.

Auch die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stieg 2009 um drei Prozent auf über 100000 Personen. Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen rechnet für dieses Jahr gar mit 110000 Verbraucherinsolvenzen. Angesichts der Tatsache, dass im letzten Jahr wegen der internationalen Wirtschaftskrise steigende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit viele Arbeitnehmer in Zahlungsschwierigkeiten brachten und inzwischen bei vielen die finanziellen Reserven aufgebraucht sind, überrascht die steigende Zahl nicht. Das Problem liegt vielmehr in dem Umstand, dass die Zahl der dauerhaft überschuldeten Haushalte kontinuierlich zunimmt. Aktuell wird davon ausgegangen, dass mehr als drei Millionen Haushalte überschuldet sind. Vor allem junge Menschen würden durch hohe Konsumausgaben, schlechte Vorbilder, zu wenig Wissen und mangelnde Eigenverantwortung immer öfter in die Schuldenfalle laufen. „Die Lage ist seit Jahren prekär“, klagt Marius Stark von der Arbeitsstelle Sozialberatung für Schuldner in der verbandlichen Caritas gegenüber der PAZ. Nur etwa zehn bis 15 Prozent der betroffenen Privatpersonen würden überhaupt eine Schuldnerberatung aufsuchen. Ein Grund dafür sei die Hemmschwelle, die mit so einem Gang verbunden ist. Doch: „Wir sind RTL-Schuldnerberater Peter Zwegat dankbar, denn der zeigt jede Woche rund vier Millionen Zuschauern, dass es Lösungen gibt“, so Stark. Ein weiterer Grund, warum so wenige Betroffene bei der Schuldnerberatung Hilfe suchen, sei schlicht jener, dass es zu wenig öffentliche Beratungsstellen gebe. Zwar gibt es auch private Schuldnerberatungen, doch die wollen Geld verdienen und zocken häufig die sowieso schon Armen zusätzlich ab.

„Das Geschäft mit der Armut ist ein sehr lukratives Geschäft“, so Joachim Niering von den „Anonymen Insolvenzlern“ auf PAZ-Anfrage. In einigen Regionen müssten Schuldner bis zu elf Monate auf ein erstes Gespräch bei der öffentlichen Schuldnerberatung warten und würden daher Hilfe bei privaten Beratern suchen. Im Internet werben Schuldnerberater, aber auch Rechtsanwälte damit, dass Schuldner sich in England insolvent melden sollten. Dort würde das Verfahren schneller gehen und die Wohlverhaltensphase, die in Deutschland sechs Jahre beträgt, dauere dort nur zwölf Monate.

Wie schnell und unbürokratisch Unternehmen und Verbraucher insolvent gehen können, hat Auswirkungen auf die Wirtschaft eines Landes. Dass das deutsche Insolvenzrecht zahlreiche Schwächen aufweist, dessen ist sich auch die Bundesregierung bewusst. Bereits im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, hier einige Verbesserungen vorzunehmen. Derzeit arbeiten Mitarbeiter von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an der ersten Stufe der drei geplanten Veränderungen. Noch in diesem Jahr sollen die Verbesserungen bei Unternehmensinsolvenzen Gesetz werden. Ziel ist es, dass Insolvenzen mehr als Chance für die Sanierung denn als Todesstoß betrachtet werden. Derzeit würden Unternehmen überwiegend erst in letzter Minute einen Insolvenzantrag stellen, doch dann seien meist bereits die letzten Reserven verbraucht und selbst der beste Sanierungsplan helfe nichts mehr. Dem Insolvenzverwalter bliebe dann häufig nur noch, die Rolle des Bestatters statt die des Lebensretters zu übernehmen, so Leutheusser-Schnarrenberger. Künftig soll es Unternehmen leichter möglich sein, in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan zu erstellen. Auch sollen Schuldner und Gläubiger Einfluss bei der Wahl des Insolvenzverwalters erhalten, der bilang vom Richter ausgesucht wird. Und da gerade Unternehmensinsolvenzen eine komplizierte Materie darstellen, die neben juristischen, auch wirtschaftlichen Fachverstandes bedarf, soll künftig nur noch ein hierfür spezialisiertes Insolvenzgericht pro Landgerichtsbezirk die Aufgabe übernehmen. Von politischer Seite erhofft man so eine sachgerechtere und zügige Abwicklung des Verfahrens, schließlich geht es bei Unternehmensinsolvenzen stets auch um Arbeitsplätze.

Ein wenig hinderlich ist für das Justizministerium, dass es die Vorgabe von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erfüllen muss, durch die Änderungen im Insolvenzrecht dem Staat Ersparnisse von jährlich 500 Millionen Euro einzubringen. Dies ist besonders kompliziert, weil die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger Schäubles Anliegen, dass die Forderungen des Staates und der Sozialversicherungen bei der Insolvenz vorrangig bedient werden, verhindert hat. Ihr Argument: Für die Sanierung bliebe weniger Kapital übrig, wenn zuerst der Staat bedient würde. Außerdem wären andere Gläubiger dann möglicherweise weniger bereit, ihrerseits auf Teile ihrer Forderungen zu verzichten.

Im nächsten Jahr will das Ministerium vor allem bei den Verbraucherinsolvenzen die sechsjährige Wohlverhaltensperiode bei der Restschuldbefreiung halbieren. „Es erweist sich relativ schnell, ob jemand in der Lage ist, seine Schuld zu begleichen“, so Niering. Die Wohlverhaltensphase trägt zwar den Erziehungsgedanken in sich, doch letztendlich würden die allerwenigsten aus Bösartigkeit in die Insolvenz geraten. Ihnen würde Aufklärung in Finanzfragen und die Chance eines schnellen Neustarts viel mehr helfen. Auch Stark von der Caritas meint, dass das Gros der Menschen unter seinen Schulden leide und es gar nicht so geschickt sei, sich auszurechnen, wie es am besten seine Gläubiger prelle.

Zudem steht der Gläubigerschutz keineswegs im Mittelpunkt des deutschen Insolvenzrechts. Als erstes bedient sich immer der Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse. Das hat aktuell im Fall Karstadt für Verärgerung bei den Gläubigern gesorgt, die Einspruch gegen die 34 Millionen Euro erhoben haben, die sich Insolvenzverwalter Klaus Görg zugesprochen hat.

Die Festlegung des Anforderungsprofils an Insolvenzverwalter und andere damit verbundene Fragen sollen dann auch in einer dritten Gesetzesänderung zusammen mit Regelungen zur Konzerninsolvenz behandelt werden. Rebecca Bellano


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