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06.11.10 / Zu viel des Schlechten / Spannender Mordfall in konstruierter Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-10 vom 06. November 2010

Zu viel des Schlechten
Spannender Mordfall in konstruierter Geschichte

Die erfolgreiche norwegische Krimi-Autorin Anne Holt (Jahrgang 1958) hat ihren aktuellen Krimi ganz dem Stil alter Meister des Genres verschrieben: Ein Berghotel an der Bahnstrecke Oslo–Bergen gibt die Kulisse für die Hatz nach dem Mörder ab. Nur eine begrenzte Zahl Verdächtiger kommt in Frage, immer neue Perspektiven auf die Personen und mitunter recht schrägen Persönlichkeiten sorgen für anhaltende Spannung. Erst kurz vor Schluss wird der Mörder aufgedeckt, es ist – nun, jedenfalls nicht der Gärtner. „Der norwegische Gast“ ist jetzt als Taschenbuch erschienen.

Hanne, eine nach dramatischer Schussverletzung im Dienst aus der Polizei ausgeschiedene Rollstuhlfahrerin, ermittelt. Ein Unfall hat sie und die Fahrgäste eines Zuges im abgelegenen Berghotel „Finse 1222“ Zuflucht nehmen lassen. Dort sitzen sie fest, während draußen ein Sturm aufzieht.

Menschen in Ausnahmesituationen und ihr Verhalten sind Teil dieser betont modernen Krimi-Studie. In Gesprächen nähert sich Hanne der Erkenntnis um die menschlichen Abgründe vor ihr. Sie lernt den jungen Ausreißer und ersten Mordverdächtigen Adrian genauso beobachten wie die Mitglieder der Staatskirchenkommission, die ebenfalls unfreiwillig im Hotel am Bergpass Quartier beziehen. Die recht bunten Charaktere sind Holt dabei durchaus gelungen. Allerdings ist der bemüht zeitgeistige bis politisch korrekte Blickwinkel etwas anstrengend und mitunter willkürlich: „,Berit Tverre‘, sagte sie ernst. Chefin hier im „Finse 1222“. Ihre Hand war eiskalt und die Haut rau. Sie trug eine blaue Kniebundhose, militärgrüne Strümpfe mit Zopfmuster und einen weiten beigen Wollpullover. Ihre blonden Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihre Augen waren so blau wie auf einem Werbeplakat für Nazideutschland.“ So begegnet der Leser der Hoteldirektorin. Die entwickelt sich später dankenswerterweise anders, als es diese Beschreibung vermuten ließe. Dass mehrere Figuren auf recht originelle Weise ableben, verkommt in diesem Krimi angesichts solcher und anderer Klischees leider zeitweilig zur Nebensache. Hanne, die sich aufgrund ihrer beruflichen Vergangenheit genötigt sieht, Nachforschungen anzustellen, ist lesbisch. Sie lebt in Partnerschaft mit einer jungen Muslima, die ihr aus der Ferne Kraft zum lösen der Mordfälle vermittelt.

Das Buch zelebriert die harte, menschlich gebrochene Ermittlerin. Wer so etwas mag, hat mit „Der norwegische Gast“ eine Krimi-Lektüre mit Knobel-Potenzial – Hüttenzauber inklusive.           SV

Anne Holt: „Der norwegische Gast“, Piper, München 2009, 318 Seiten, 9,95 Euro


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