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13.11.10 / »Feuer unterm Arsch« – der Terror braucht die Medien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Moment mal!
»Feuer unterm Arsch« – der Terror braucht die Medien
von Klaus Rainer Röhl

Während der Innenminister warnt, dass Deutschland seit kurzem im Fadenkreuz des Terrornetzwerks Al-Kaida stünde, und Experten des Kanzleramts die griechische Mini-Bombe an Angela Merkel ausgerechnet mit einem Wasserwerfer unschädlich machen (ein Schelm, wer da nicht an Gorleben denkt), raten uns die Filmkritiker aller großen Zeitungen, unbedingt den „sensationell guten“ Film über den Terroristen Carlos anzusehen, der soeben in den Kinos angelaufen ist.

Unbedingt sehen, schreiben unsere gut ausgeschlafenen Filmkritiker, sollte man die Fünfeinhalb-Stunden-Fassung, allerdings sei auch die Drei-Stunden-Version zu empfehlen – die Kollegen Filmexperten haben also mindestens acht Stunden mit Carlos verbracht und sind noch ganz hin und weg. Carlos, der Schakal. Was für eine Karriere! Andreas Baader war dagegen ein Waisenknabe. Nach mindestens acht, manche vermuten über 80 Morden revisionssicher lebenslänglich in Frankreich einsitzend, war der Venezolaner Carlos, eigentlich Ilich Ramirez Sánchez, schon von seinem Vater für etwas Großes vorgesehen. Vater Ramirez war Rechtsanwalt und Kommunist und nannte aus Begeisterung für die gute Sache seine Söhne nach Wladimir Iljitsch Lenin. Da es drei waren, hießen sie kurzerhand Lenin, Wladimir und Iljitsch, in Venezuela verkürzt zu Ilich, weil man das dort ohnehin wie Iljitsch ausspricht. Ilich studierte in Moskau, flog aber 1970 wegen „ausschweifenden Lebens“ von der stalinistischen Vorzeige-Uni. Da haben wir den zweiten Grund, den wunderbar ausgeleuchteten Film zu sehen: Carlos war Playboy. Aber er wollte auch Bomben legen. Er flog nach Jordanien und fand Aufnahme im Palästinenser-Lager der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), wo Terroristen aus aller Welt ausgebildet wurden. In einem anderen Landesteil herrschte die El Fatah, der militärische Arm der PLO von Jassir Arafat. Dort sollten 1970 Andreas Baader und seine Genossen von der Rote Armee Fraktion (RAF) militärisch ausgebildet werden, doch verkrachte sich der deutsche Auszubildende mit den Arabern und die Gruppe wurde alsbald zurückgeschickt. Ilisch war erfolgreicher. Der in Moskau noch „ausschweifende“ Kommunistensohn erhielt im PFLP-Lager bald Aufträge und wurde sogar Vertrauter des Terroristenchefs George Habasch. Ilich erhielt als Südamerikaner den Decknamen Carlos. Nach einem Buch, das ihn als Kind begeistert hatte, Carlos, der Schakal. Er bemühte sich, ein guter Schakal zu sein, machte alles, was gewagt und teuer war, und vergaß auch die Frauen nicht, ein echter Top-Terrorist. Der Höhepunkt seiner Karriere war der Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien und die Geiselnahme ihrer Teilnehmer – ein wahres Husarenstück: Vier Tote und eine gelungene Freipressung von 37 inhaftierten Terroristen. Carlos hatte gesiegt, aber die Welt hatte gelernt.

Kurz war die Freude, und lang ist der Knast. Und der Film, der nun Premiere hat.

Wie viel armseliger dagegen die neu aufgetretene griechische Gruppe „Feuerzellen“, die nicht nur die Polizei, sondern die Fahnder in ganz Europa in Atem hält: Die Päckchenbomber von Athen: Zwei wurden kurz nach dem Aufgeben ihrer unscheinbaren Bücher-Päckchen gefasst, fünf werden noch gesucht. Blutjunge Leute alle, sie kommen vermutlich aus dem Umfeld der Terrororganisation „17. November“, die 23 Menschen ermordet hatte, bevor sie seit acht Jahren mit der Verhaftung ihrer führenden Mitglieder als zerschlagen galt. Die „Feuerzellen“ haben bisher kein Bekennerschreiben veröffentlicht. Sind es Intellektuelle? Jedenfalls Bücherfreunde: Sie höhlen jeweils ein wertvolles Buch aus und versenden die handlichen Päckchen an Ämter und Personen in aller Welt, darunter auch unsere Bundeskanzlerin. In den Büchern war eine Röhre mit Schwarzpulver und ein Zünder, die beim Öffnen eine Stichflamme auslösten, eigentlich mehr ein Silvesterscherz – wenn nicht zur gleichen Zeit im Jemen echte Knaller in den Westen verschickt worden wären, die beim richtigen Zünden Hunderte – oder Tausende Menschen umgebracht hätten.

Was ist das Gemeinsame von Carlos, dem Schakal, und den Feuerzellen?

Es ist die Ungeduld. Die Ungeduld junger Weltveränderer beim Erreichen ihrer Ziele. Ändere die Welt, sie braucht es. Aber: In unserer Parteien-Demokratie muss man unter Umständen 20 Jahre lang ackern, jede Woche Wahlkampf machen, Reden schreiben, Reden halten, Wähler überzeugen, in der eigenen Partei für sein Programm werben, Aufsehen erregen und Ansehen gewinnen und, wenn es ein muss, jeden zweiten Abend ein Bier zusammen mit den Genossen trinken. Das ist die Ochsentour, Karriere machen und die Karriere nutzen zur Durchsetzung seiner Ziele. Am Ende steht das neue Gesetz, das ein Parlament annimmt, die Änderung der Wirklichkeit, die Ausmerzung der Fehler und die Abschaffung der Missstände, der Drei-Stufen-Katalysator oder die gleiche Krankenversicherung für alle. Fast alles geht langsam und erfordert viel Geduld, um Mehrheiten dafür zu finden und es dann zu verwirklichen. Den 68ern wollte das anfangs nicht einleuchten. Bis Rudi Dutschke, der Moses der Studentenbewegung und weitsichtiger als seine Mitkämpfer, zu ahnen begann, dass die Bewegung ohne Basis in der Arbeiterschaft nicht siegen könne, gab er, in einem rororo-Buch vom Mai 1968, die bis heute folgenreichste Parole aus: die vom „langen, mühevollen Marsch durch die Institutionen“, den man antreten müsse, um seine Ziele zu erreichen.

Die Antwort der revolutionären Ungeduld kam prompt: „Feuer unterm Arsch – verkürzt den langen Marsch!“ schrieb damals „Agit 883“, ein etwas wirres und unregelmäßig erscheinendes Sprachrohr der „um­her­schwei­fen­den Hasch­rebellen“. Mit „Feuer unterm Arsch“ war damals noch nicht viel mehr gemeint als ein gelegentlicher Molotowcocktail auf ein Springer-Auto oder dergleichen. Bomben kamen erst später. Und die Wirklichkeit der RAF überbot zwei Jahre später alle Diskussionen.

Die „revolutionäre Ungeduld“ derer, die sich als Libertäre, Anarchisten oder Autonome verstehen, beschränkt sich nicht auf Deutschland. Ähnlich wie die Kommunisten verfügt auch die Gruppe der gewaltbereiten Weltveränderer über eine Menge Theorien und Gebrauchsanweisungen, von Bakunin über Blanqui bis zur „Propaganda der Tat“ des französischen Anarchisten Paul Brousse von 1877.

Propaganda durch Terror, das ist bis heute das Konzept. Attentate, Entführungen, Sprengstoffanschläge. Neu und fast ausschließlich dem islamischen Umfeld vorbehalten ist das Selbstmordattentat, die Opferung des eigenen Lebens zur Erreichung möglichst großer Ziele. Terror gehört dazu.

Angst und Schrecken soll verbreitet werden und soll – seltsame Illusion aller Terroristen – Sympathie und Unterstützung in der Bevölkerung erzeugen. Das ist das Ziel aller terroristischen Anschläge, auch der islamistischen Selbstmordattentate: Daher braucht jede Art von Terrorismus die Öffentlichkeit, das heißt die Massenmedien, wie die Luft zum Atmen. Ob Mord oder andere Gewalttat: Ohne Medienecho stirbt die Aktion sang- und klanglos. Terrorismus ist eine „Kommunikations-Strategie“ und ohne mediales Echo hilflos. Warten wir also nicht auf die Bekennerschreiben der Terroristen mit ihrer Propaganda, sondern bekennen wir unsere Abneigung gegen die Tat.


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