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13.11.10 / Überraschungsfund beim U-Bahnbau / Vor dem Roten Rathaus wurden bei Erdarbeiten Reste von Berlins ältestem Profanbau entdeckt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Überraschungsfund beim U-Bahnbau
Vor dem Roten Rathaus wurden bei Erdarbeiten Reste von Berlins ältestem Profanbau entdeckt

Bei einem Bau einer U-Bahn wurden bedeutende Reste des Alten Rathauses von Berlin entdeckt. Bis zu seinem Abriss im Jahre 1860 war das geschichtsträchtige Haus der älteste weltliche Bau der Stadt. Nun diskutieren die Stadt, die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Architekten, wie sie den Überraschungsfund in die weitere U-Bahn-Planung einbeziehen sollten.

Erst waren es nur ein paar Steine, dann fanden die zuständigen Archäologen vom Landesdenkmalamt sogar alte Silbermünzen. Ganze 100 Jahre ruhten die Reste des mittelalterlichen Berliner Rathauses in der Erde. So lange hatten hier keine größeren Erdarbeiten stattgefunden. Nun werden die Relikte im Rahmen der Bauarbeiten an der U-Bahn 55 (Verlängerung der U 5) freigelegt. Denkmalpfleger bergen dabei stets neue Klein­ode und überlegen, wie sie diese der Öffentlichkeit präsentieren.

Das Ausmaß des Fundes direkt vor dem Eingang des heutigen Roten Rathauses ist eine echte Überraschung. Der verwinkelte Vorgängerbau aus dem 13. Jahrhundert musste ab 1860 dem Roten Rathaus weichen, nachdem er komplett kartiert worden war. Lange galt der Park des Schlosses Babelsberg bei Potsdam als einziger Ort, an dem sich ein Eindruck des Alt-Berliner Rathauses gewinnen lässt. 1871 hatte der Architekt Heinrich Strack die Gerichtslaube des Alten Rathauses in Babelsberg neu errichten lassen – unter Nutzung von Originalteilen.

Nun förderten Archäologen in Berlins Zentrum den Boden einer Markthalle des 13. Jahrhunderts zu Tage. Sogar ein Brunnen, der nach wie vor Grundwasser sammelt, kam zum Vorschein. Es sind Überbleibsel des alten Ratsgemäuers. Ganze Säulen und gotische Maßwerkbögen kommen ans Tageslicht. Der gute Erhaltungszustand ist der Lage der mittelalterlichen Stadt zu verdanken: Sie befand sich ein bis zwei Meter unterhalb des aktuellen Straßenniveaus. Als das Alte Rathaus weichen musste, blieb mehr im Boden als bisher angenommen, vom aufgehenden Mauerwerk fast anderthalb Meter.

Die aktuellen Ausgrabungen geben so einen besonderen Einblick in Berlins Frühzeit: 1307 gründen Berlin und Cölln eine Union und bauen ein gemeinsames Rathaus. Es bildet ein erstes Zentrum, lange bevor die Preußenkönige Berlin zur Residenz erheben. Hier war im Mittelalter der Markt. Hier wurde gefeiert, aber auch Recht gesprochen und bis ins ausgehende 17. Jahrhundert vollzogen – die letzte Todesstrafe 1694 unter dem Spottbild des „Kaak“.

Die deutsche Literatur der Romantik sog Inspiration aus dem Bau: Der in Könisgberg geborene Dichter E.T.A. Hoffmann (1776–1822) fing in seiner Novelle „Die Brautwahl“ (1819) den geschichts­trächtigen Atem des verfallenden Architekturzeugnisses ein. Hoffmann stellt den Geheimen Kanzleisekretär Tusmann in den Mittelpunkt einer nächtlichen Schauerszene: „Unten an dem Turm des alten Rathauses wurde er in dem hellen Schimmer der Reverberen [mit Reflektor versehene Lampen] eine lange hagere, in einen dunkeln Mantel gehüllte Gestalt gewahr, die an die verschlossene Ladentüre des Kaufmanns Warnatz, der dort bekanntlich seine Eisenwaren feilhält, stark und stärker pochte, zurück­trat, tief seufzte, hinaufblickte nach den verfallenen Fenstern des Turms.“ Als Tusmann den Unbekannten anspricht, verkündet der: „Es ist heute das Herbst-Äquinoktium und da will ich die Braut schauen. Sie hat schon mein sehnsüchtiges Pochen, meine Liebesseufzer vernommen, und wird gleich oben am Fenster erscheinen.“ Der Turm ist da bereits nur von Ratten und Mäusen bewohnt, so Tusmann, doch „der erste Schlag der eilften Stunde dröhnte von dem Marienkirchturm herab, in dem Augenblicke klirrte und rauschte es an dem verfallenen Fenster des Rathausturms und eine weibliche Gestalt wurde sichtbar. Sowie der volle Laternenglanz ihr ins Antlitz fiel, wimmerte Tusmann ganz kläglich: ,O du gerechter Gott im Himmel, o all ihr himmlischen Heerscharen, was ist denn das!‘ Mit dem letzten Schlage, und also im selbigen Augenblick, wo Tusmann, wie sonst, die Schlafmütze aufzusetzen gedachte, war auch die Gestalt verschwunden.“

Damit nun die aktuellen Funde nicht wie üblich, nach Vermessung und Ablichtung verschwinden, sondern auch die nicht beweglichen Funde erhalten bleiben, sind bei allen Bau-Beteiligten Ideen gefragt. Die 2,2 Kilometer lange U-Bahnlinie kostet rund 430 Millionen Euro. In der Kalkulation bleibt wenig Raum für Extras wie den Erhalt der Bodenfunde hinter Glas in der vor Ort geplanten U-Bahn-Station. „Anders als etwa am Petriplatz können die ausgegrabenen ortsfesten Funde nicht an Ort und Stelle verbleiben“, so Berliner Denkmalpfleger. Im Januar ist die Zeit der Grabungen abgelaufen, sagt die BVG. „Die Ausgrabungen sind daher immer nur für kurze Zeit sichtbar. Sie werden wissenschaftlich erfasst und dokumentiert; Teile davon sollen in die Gestaltung der neu entstehenden Bahnhöfe am Berliner Rathaus und bei der Museumsinsel integriert werden“, informiert das Landesdenkmalamt. Bisher kommen die Funde noch regelmäßig zum Restaurieren in die Werkstatt des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Wenn die Grabungen dem Baufortschritt weichen, ist damit Schluss. Ausgerechnet an dieser Stelle plant das zuständige Architektenbüro „Collignon“ den Eingang der Station „Berliner Rathaus“ – in offener Bauweise. Immerhin will die BVG nun Fenster im Bauzaun anbringen, auch sei man für Ideen zur dauerhaften Bewahrung offen, doch das sei schließlich auch eine Kostenfrage.    Sverre Gutschmidt


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