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13.11.10 / Agent wechsel dich / Autor über seine Arbeit bei drei Geheimdiensten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Agent wechsel dich
Autor über seine Arbeit bei drei Geheimdiensten

Als Werner Stiller, Oberleutnant unter Markus Wolf im Ostberliner „Ministerium für Staatssicherheit“, am 18. Januar 1979 die Fronten gewechselt hatte und zum „Klassenfeind“ nach West-Berlin übergelaufen war, soll Minister Erich Mielke mehrere Wutanfälle erlitten haben. Schließlich war die Verhaftung des um Haaresbreite Entkommenen schon für den 20. Januar angesetzt gewesen, wie er Jahrzehnte später in den Akten lesen konnte. Der abtrünnige Nachrichtenoffizier, nach dessen Angaben rund 70 DDR-Agenten in Westdeutschland und im Ausland verhaftet oder durch Enttarnung nach ihrer überstürzten Flucht neutralisiert werden konnten, tat gut daran, mit CIA-Hilfe 1981 in die USA überzusiedeln und dort unter falschem Namen ein Wirtschaftsstudium zu absolvieren. Von 1983 bis 1990 arbeitete er bei der 1869 gegründeten Investment-Bank Goldman Sachs in New York und London, nach der Wiedervereinigung war er Börsenmakler in Frankfurt am Main, seit 1996 lebt er als Immobilien-Makler und Geschäftsmann in Budapest.

Im Sommer 1982, während er noch in St. Louis/Missouri studierte, begann Werner Stiller mit der Niederschrift seines ersten Buches „Im Zentrum der Spionage“ (1986) über die knapp sieben Jahre 1972/79, die er als Leiter des Referats „Physikalische Grundlagenforschung und Nukleartechnik“ im Sektor „Wissenschaft und Technik“ der „Hauptverwaltung Aufklärung“ verbracht hatte, zuständig für die Ausspähung westdeutscher Kernforschungsinstitute. Angeworben worden war der am 24. August 1947 in Weßmar bei Merseburg geborene Physiker („Arbeiterkind aus Sachsen-Anhalt“) während seines Leipziger Studiums 1966/71, zunächst als inoffizieller (1970), dann, ab 1972, als hauptamtlicher Mitarbeiter. Dieses erste Buch, an welchem der Bundesnachrichtendienst mitgeschrieben hatte, um Spuren zu verwischen, wies zahlreiche Schwächen auf. Einmal sollte verständlicherweise die Ausschleusungsaktion Werner Stillers anders als verlaufen dargestellt werden, um die „Hauptverwaltung Aufklärung“ des Markus Wolf zu desinformieren, dann aber sollte das stille Wirken des Pullacher Dienstes bei Anwerbung und Führung des Agenten in günstigstem Licht erscheinen, eine Legende, mit der Stiller im zweiten Buch gründlich aufräumt.

Kennern beider Geheimdienste, die auf deutschem Boden vier Jahrzehnte gegeneinander arbeiteten, dürfte das vergleichende Studium der Bücher Stillers ein hohes Vergnügen bereiten. Schließlich hatte die „Hauptverwaltung Aufklärung“ damals eine empfindliche Niederlage erlitten, die sie 1985 mit dem Überlauf des BND-Beamten Hansjoachim Tiedge zu kompensieren suchte.        J. B. Bilke

Werner Stiller: „Der Agent – Mein Leben in drei Geheimdiensten“, Links, Berlin 2010, 256 Seiten, 19,90 Euro


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