19.04.2024

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13.11.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-10 vom 13. November 2010

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Gute, alte Feinde / Warum wir alle gern mal was blockieren, wie sich die Politik vor Gorleben eingegraben hat, und was Stephan Kramer nicht hört

Haben Sie auch schon was blockiert? Nein? Dann wird’s aber Zeit. In Deutschland wächst nämlich eine „neue Protestkultur“ heran. Und da wollen Sie doch wohl nicht abseits stehen. Es geht ja längst nicht bloß um Gorleben oder vielerlei große Sachen, die plötzlich alle irgendwie „21“ heißen. Nein, der Widerstand beginnt in der Nachbarschaft.

In unserem wunderschön grünen Hamburger Stadtteil sammeln sie jetzt Unterschriften gegen einen Komplex von ein paar Dutzend Neubauwohnungen. Da hab ich natürlich sofort unterschrieben. Nachdem ich meine neue Wohnung in dem 2007 fertiggestellten Neubau bezogen hatte, gelangte ich nämlich zu der sozialökologischen Überzeugung, dass in meiner Umgebung ab sofort kein Stein mehr auf den anderen gesetzt werden darf. Damit alles so hübsch bleibt, wie es jetzt ist. Klar doch, klar doch, Wohnungen werden immer knapper, in Hamburg wie in anderen Metropolen auch. Aber die kann man doch bitteschön woanders bauen, habe ich entschieden, und befand mich damit mitten im Zentrum der neuen deutschen Bloß-nicht hier-Bewegung.

Die ist viel breiter, als man denkt. Ob Gorleben geeignet ist als Endlager, das soll ja erst noch erkundet werden. Warten wir’s ab. Was wir jetzt schon sehen können ist, dass die Begeisterung für das Salzlager im Wendland mit wachsender geographischer Entfernung spürbar zunimmt.

Hinterhältig fragten NDR-Journalisten den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nach möglichen Endlagerstätten im Freistaat. Da zogen sich dunkle Wolken über dem Brillenbügel des Landesvaters a.D. zusammen. Ja, also wenn sich herausstellen sollte, dass das in Gorleben nicht gehe, dann müsse man „international“ auf die Suche gehen, so seine etwas zerknautschte Antwort. Mit anderen Worten: Hauptsache nicht in Bayern!

In gruseliger Erinnerung hat man dort den Kampf um die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Da kamen bei Auseinandersetzungen in den 80ern sogar Leute um. Ganz schlechte Presse. Drum ist München recht froh, solche Schlagzeilen an den hohen Norden los zu sein. So lautet die heimliche Losung: Gorleben – oder anderswo in der nordischen Tundra.

Der sozialdemokratische Feind hat die bundesweit nur schwer vermittelbare Heimatliebe der Südländer längst durchschaut und einen fiesen Fallstrick daraus gewunden. 2006 bot der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel an, den Stopp der Erkundungen im Wendland (den Rot-Grün 2000 verhängt hatte) aufzuheben, wenn auch andernorts gesucht würde. Für den Sozi konnte gar nichts schiefgehen bei dem Angebot: Als die anderen das mit den Alternativ­orten ablehnten, konnte er sie der Doppelbödigkeit zeihen.

Und wenn sie überraschend zugestimmt hätten? Auch kein Problem, denn Gabriel wusste: Sobald irgendwo anders der erste Kleinbus voller Geologen mit eindeutigem Suchauftrag herum gegurkt wäre, hätte er zusammen mit den Grünen die gutgeölte Protestmaschine angeworfen.

Nun liegen beide Fronten gut eingegraben voreinander wie Deutsche und Franzosen anno ’16 vor Verdun. Jeder, der einen Vorstoß wagt, gar neue Wege probiert, ist schon so gut wie platt. Ergo wird nur noch aus der Deckung gefeuert, bestens geschützt von einer kompletten Batterie eingeübter Erklärungen.

Solange sich an der Gefechtslage nichts ändert, ist das gar nicht schlimm, im politischen Gekeile sogar ziemlich bequem. Riskant wird es, wenn die Geschosse plötzlich aus einer völlig anderen Richtung kommen. Die Beschossenen reagieren darauf je nach Begabung. Die geistig Flinken stellen sich rasch um, andere bleiben angewurzelt stehen wie die Zinnsoldaten, und ballern unverdrossen aufs selbe alte Ziel.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, hat gerade erst wieder eine Probe des Metalls abgegeben, aus dem er gegossen wurde. Anlässlich des Jahrestages der NS-„Kristallnacht“ diesen Dienstag warnte er, der Antisemitismus wachse „bedrohlich“, weil er „in der Mitte der Gesellschaft salonfähig geworden“ sei.

Woran er das festmacht? An der Debatte um die Integrationsthesen von Thilo Sarrazin. Schon vor einem Jahr warf Kramer dem Ex-Senator vor, die, so wörtlich, „Sprache und Gedanken der heutigen Neonazis zu verwenden“.

Wie gut, dass bald Weihnachten ist. Da ist Zeit, sich am knisternden Kamin in ein gutes Buch zu vertiefen. Für Stephan Kramer haben wir einen guten Tipp. Das Buch kam erst dieser Tage raus und trägt den Titel „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“.

Geschrieben hat es Arye Sharuz Shalicar. Der ist 1977 als Sohn persischer Flüchtlinge in Berlin geboren. Als er 13 war, zogen die Eltern mit ihm in den „Problemkiez“ Wedding. Dass der junge Arye Jude war, interessierte ihn selbst so gut wie gar nicht. Die islamischen Nachbarsjungs, denen er es erzählt, als er 15 ist, umso mehr.

„Scheißjude, du stinkst“, grölten die jungen Muslime ihm hinterher, berichtet Shalicar. „Dann kam es dazu, dass ich verfolgt wurde auch mit aufgeklappten Messern und Schlagstöcken.“ Er wurde zum Außenseiter, zum Hassobjekt, weil er Jude war. Der Junge reagierte mit Überanpassung, wurde „Gangsta“, wie er sagt. Doch er fing sich, machte Abi und ging zur Bundeswehr. Dennoch hatte er die Nase voll von Berlin, wollte endlich frei als Jude leben können. Also ging Shalicar nach Israel, wo er es weit brachte. Heute ist er der Pressesprecher der israelischen Armee.

In Deutschland zurückgeblieben ist Stephan Kramer, der die „Mitte der Gesellschaft“ nach Antisemiten durchkämmt und all jene, welche die Zustände anprangern, vor denen Shalicar geflohen ist, als Verbreiter von Judenfeindlichkeit geißelt. Manchmal fällt es wirklich schwer, die Beweggründe eines Menschen nachzuempfinden. Gut, dass „alles immer schlimmer wird“, das ist sämtlichen Zeitgenossen aller Epochen immer schon klar gewesen. Heute ist es nicht anders. Alles wird schlimmer, die Politik, die Menschen, das Essen – vom Wetter wollen wir gar nicht reden. Logisch demnach, dass auch der Antisemitismus in der „Mitte der Gesellschaft“ stündlich bedrohlicher erscheint.

Forscher führen unseren untilgbaren Pessimismus darauf zurück, dass wir eben älter werden und den eigenen Verfall auf die Weltlage übertragen. Und da wir alle nicht nur altern, sondern auch sterben müssen, lässt sich keine Generation von apokalyptischem Format von der Gewissheit abbringen, dass spätestens kurz nach ihr der ganze Planet explodiert: „Ich sag’s euch, das geht nicht mehr lange gut!“

In dem Strudel des Niedergangs klammern wir uns zudem an alte Sicherheiten, an Sachen, die wir zu kennen glauben. Das gilt insbesondere für unsere Feindbilder. Feinde sind erfahrungsgemäß verlässlicher als Freunde, weil sie einen per se nicht verraten können. Stephan Kramer hat seinen gesamten Lebensentwurf auf die Bekämpfung des deutschen Mittelschichts-Antisemiten zugeschnitten.

Daher horcht er dessen Kreise nach jedem Knallplätzchen ab, während die krachenden Raketen von der islamistischen Seite ungehört an ihm vorbeisausen. Obwohl, wahrscheinlich hält er den islamistischen Antisemitismus in Deutschland nur für eine Folge der Diskriminierung der islamischen Minderheit durch die Deutschen, die deshalb auch daran schuld sein müssen, irgendwie.

Indes, Minderheit? Bei 50 Prozent im Viertel und 90 Prozent auf der Schule? Ab welchem Quorum fühlen sich radikale Moslems eigentlich nicht mehr als Minderheit diskriminiert? Die Antwort wird in gewissen Ländern des Orients gerade gegeben: So in etwa ab 100,0 Prozent Moslemanteil. Ab dann beschäftigen sich nur noch Sunniten mit Schiiten und umgekehrt und beide zusammen mit den Alewiten.


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