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20.11.10 / Berlusconi ohne Rückhalt / Nach Sexskandal und Koalitionsstreit muss Italiens Regierungschef Vertrauensfrage stellen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-10 vom 20. November 2010

Berlusconi ohne Rückhalt
Nach Sexskandal und Koalitionsstreit muss Italiens Regierungschef Vertrauensfrage stellen

Lange währte die Ruhe vor dem nächsten Sturm für Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nicht. Nachdem das Parlament ihn und seine Mitte-Rechts-Koalition erst im September bei einem Misstrauensvotum im Amt bestätigt hatte, muss er sich nun erneut der Vertrauensfrage stellen. Grund dafür sind die öffentliche Kritik an Berlusconi wegen seines jüngsten Sexskandals sowie die unsicheren Mehrheitsverhältnisse nach dem Bruch mit dem ehemaligen Bündnispartner Gianfranco Fini.

Die oppositionelle Demokratische Partei (PD) und die Antikorruptions-Partei „Italien der Werte“ (IDV) des ehemaligen Staatsanwaltes Antonio Di Pietro reichten vergangene Woche den Misstrauensantrag gegen die Regierung ein. „Die Stunden von Berlusconi sind gezählt“, sagte der IDV-Abgeordnete Leoluca Orlando. „Bald wird sich Italien von einem Krebsgeschwür befreien, das die nationale Wirtschaft zerstört, die Institutionen mit Dreck bedeckt und die moralischen Werte in den Schmutz zieht.“ Orlando bezog sich nicht nur auf die Verwicklung des Medienmoguls in zahlreiche Betrugs-, Steuer- und Bestechungsskandale, sondern auch auf die Berichte um die sogenannte Bunga-Bunga-Affäre. Der vermeintlich afrikanische Ausdruck steht für die freizügigen Privatpartys des „Cavaliere“ in seiner Villa bei Mailand. Neben Showgirls, Escortdamen und Ministerinnen soll auch eine damals 17-jährige Prostituierte bei mehreren solcher Feiern zu Gast gewesen sein und teure Geschenke von Berlusconi erhalten haben. Als die aus Marokko stammende Frau im Frühjahr wegen Diebstahlverdachts festgenommen wurde, bemühte sich der Ministerpräsident persönlich um ihre Freilassung.

Besonders scharf rügte die Kirche das Verhalten des Regierungschefs. Der Erzbischof von Mailand, Diogini Tettamanzi, warnte vor einer „Verrohung der Sitten“. Die auflagenstarke Wochenzeitschrift „Famiglia Cristiana“ bezeichnete Berlusconi als „krank“, „unkontrollierbar“ sowie als schlechtes Vorbild.

Die Opposition warf dem 74-Jährigen Amtsmissbrauch vor und auch in den eigenen Reihen des „Volkes der Freiheit“ (PDL) regte sich Widerstand. Gleichstellungsministerin Mara Carfagna und drei weitere PDL-Politikerinnen kritisierten Berlusconis Bemerkung, seine Schwäche für junge schöne Frauen sei „besser als schwul zu sein“. Anfang November kündigten zwei Abgeordnete ihren Parteiaustritt an und wechselten in das Lager von Berlusconis einstigem Weggefährten Gianfranco Fini. Der italienische Parlamentspräsident hatte eine eigene Fraktion „Zukunft und Freiheit für Italien“ (FLI) gegründet, die liberal-konservative und zentristische Werte vertritt. Ihr Programm beinhaltet den Einsatz für mehr Legalität und Gesetzestreue in der Politik, Wirtschaftsreformen, die Senkung der Staatsausgaben sowie ein liberaleres Einbürgerungsrecht.

Fini forderte Berlusconi vergeb-lich dazu auf, die Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen und zurückzutreten. Nach dem gescheiterten Vermittlungsversuch des Chefs der rechtspopulistischen Koalitionspartei Lega Nord, Umberto Bossi, zog Fini am vergangenen Montag seine Gefolgsleute aus der Regierung ab. Neben dem Minister für Europapolitik, Andrea Ronchi, und dem stellvertretenden Minister für Außenhandel, Adolfo Urso, legten auch zwei Staatssekretäre ihr Amt nieder. Die Rücktritte verstärken die politische Krise Italiens, denn ohne Finis Anhänger verfügt der Premier über keine gesicherte Mehrheit im Parlament mehr.

Berlusconi kündigte an, sich sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat der Vertrauensfrage zu stellen. Zuvor will er aber den Haushalt für 2011 verabschieden lassen. Sollten die FLI und die Opposition das Vorhaben bewilligen, würden die Abstimmungen über die Zukunft der Regierung nicht vor Mitte Dezember stattfinden. PD-Chef Pierluigi Bersani warnte vor Berlusconis Verzögerungstaktik und verlangte eine Übergangsregierung: „Das Land braucht ein regierungsfähiges Kabinett, das die Probleme des Landes in Angriff nehmen kann. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.“

Nach einer Umfrage des „Corriere della Sera“ begrüßen nur 20 Prozent der Italiener eine Übergangsregierung, während 45 Prozent Neuwahlen bevorzugen. Laut der Erhebung könnten PDL und Lega Nord zusammen mit 39 Prozent der Stimmen rechnen. Das würde ausreichen, um eine Regierung zu bilden, da das aktuelle Wahlgesetz das stärkste Bündnis mit 55 Prozent der Abgeordnetensitze begünstigt. Die Demokraten kämen nur auf 24 Prozent. Finis Partei und ihr potenzieller Partner, die christdemokratische UDC, würden gemeinsam knapp 14 Prozent erzielen.             Sophia E. Gerber


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