25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.11.10 / Gewaltsame Öffnung Kleinasiens / Schwarzer Tag für Europa: Die Schlacht vom 26. August 1071 – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 4)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-10 vom 20. November 2010

Gewaltsame Öffnung Kleinasiens
Schwarzer Tag für Europa: Die Schlacht vom 26. August 1071 – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 4)

Im 8. Jahrhundert gründeten Oghusen nicht nur das Großreich der Uiguren, sondern siedelten sich auch in der Region zwischen dem Kaspischen Meer, dem Aralsee und dem in diesen See mündenden Fluss Syrdarja an. Im Jahre 955 entzog sich der Häuptling Seldschuk aus dem oghusischen Stammesverband der Kinik seinem Oberherren und machte sich mit seinem Clan im Nordosten des Aralsees auf die Suche nach besseren Weidegründen für die Herden. Schließlich tauchte er in der Nähe der Stadt Cand (Cend) auf. Cand befand sich noch auf oghusischem Territorium, hatte aber bereits eine überwiegend islamische Bevölkerung. Scheldschuk befreite die Stadtbewohner von Abgaben und ließ sich mit seinem Stamm dort nieder. 970 trat er mit seinen Leuten zum Islam über. Mit der Bekehrung der Kinik zum Islam war eine Grundentscheidung für die Herausbildung des späteren Osmanenstaates und die heutige Türkei getroffen.

Als die Macht der hochkultivierten Samaniden 999 durch die Karachaniden gebrochen wurde, entstand ein Machtvakuum, das die Seldschuken, wie sich die Nachfahren des wohl 1007 verstorbenen Reichsgründers Seldschuk nun nannten, zu füllen wussten. Seldschuks Sohn Arslan (Löwe) geriet 1025 in die Gefangenschaft Mahmud von Ghaznas, die er nicht überleben sollte. Seldschuks Enkel Cagri und Togrul, beides heißt so viel wie Falke oder Sperber, sollten erfolgreicher sein. An der Spitze ihrer nomadischen Reitertruppen eroberten sie blitzartig riesige Gebiete. 1034 brachten die Seldschuken Chorasan unter ihre Herrschaft. 1037 zog Cagri in die turkmenische Oasenstadt Merw ein, wo er sich mit dem altiranischen Titel Schahinschah (König der Könige) schmückte. Drei Jahre später rächten die Seldschuken Arslan, den Sohn ihres Reichsgründers. Unweit von Merv schlugen sie in der dreitägigen Schlacht um die Festung Dandanakan die Ghaznawiden, die mit Sultan Masud von einem Sohn Mahmud von Ghasnas befehligt wurden.

Wichtig für die Geschichte der Türkei sind Togruls Kriegszüge gen Westen. Nach und nach fielen in die Hand der von ihm befehligten Nomaden: Nischapur (heute Neyshabur), eine Hochgebirgsstadt in der nordostpersischen Provinz Razavi-Chorasan; Choresm, eine heute teilweise zu Usbekistan, teilweise zu Turkmenistan gehörende Großoase am Unterlauf und der Mündung des Amudarjas, die einerseits im Norden durch den Aralsee, andererseits von den Wüsten Karakum und Kysylkum sowie dem Ustjurt-Plateau begrenzt wird; die westpersische Stadt Hamadan sowie schließlich Isfahan im Zentrum Persiens. Nachdem Togrul 1043 Merw zu seiner Hauptstadt gemacht hatte, wurde diese Ehre 1049 erst dem heutigen Teheraner Vorort Ravy und zwei Jahre später Isfahan zuteil.

Diese Machtausbreitung in Richtung Westen machte Togrul zum Hoffnungsträger des sunnitischen Kalifen al-Kaim in Bagdad. Der Kalif war der Bevormundung durch die aus dem Iran stammenden schiitischen Bujiden überdrüssig, die 945 in Bagdad die Macht übernommen hatten. Er rief deshalb die sich zur sunnitischen Richtung des Islam bekennenden Seldschuken zur Hilfe. Ohne Blutvergießen zog Togrul daraufhin 1055 in Bagdad ein und beendete die über 100-jährige „Schutzherrschaft“ der Bujiden. Der dankbare Kalif pries Togrul als „Sultan des Ostens und Westens“ sowie „Stütze des Glaubens“. Erstmals übernahm damit eine türkische Dynastie die Herrschaft über das arabisch-islamische Kernreich. Fortan spricht man vom Reich der Großseldschuken.

Dieses Großseldschukische Reich mit seinen Kernländern Persien und Irak stieß bei seiner Expansion an die Grenze des Byzantinischen Reiches. Bereits 1018 hatte der Chronist Matthäus von Edessa über eine barbarische Nation namens „Türk“ geklagt, die in ein armenisches Fürstentum eingefallen sei und die Bevölkerung massakriert habe. Zum ersten Mal habe das armenische Heer berittenen, langhaarigen Bogenschützen gegenübergestanden. In den folgenden Jahrzehnten häuften sich Grenzüberfälle der Seldschuken auf christliches Gebiet. Hinzu kam, dass zunehmend islamische Nomaden aus dem Reich der Seldschuken – teils auf der Flucht vor Zentralisierungstendenzen Togruls, teils auf der Suche nach neuem Weideland – aus dem Reich der Seldschuken in die byzantinischen Ostgebiete migrierten. Durch den ständigen Zustrom militanter Muslime und plündernder Türken war die christlich-islamische Grenze bedroht.

Die Bindung starker seldschukischer Kräfte durch einen Feldzug in Ägypten nutzten die Byzantiner unter ihrem Kaiser Romanos IV. Diogenes 1069 für einen Präventivschlag. Der Feldzug ließ sich gut an und so wagte es Romanos Diogenes im heutigen Türkisch-Kurdistan sein Heer zu teilen, um mit der einen Hälfte Ahlat und mit der anderen Manzikert, das heutige Malazgirt, anzugreifen. Als die Nachricht vom byzantinischen Vormarsch den Sultan des Großseldschukischen Reiches in Ägypten erreichte, übertrug er die Leitung des dortigen Feldzuges einem Vasallen und eilte an der Spitze eines starken Heeres nach Norden, wo er nördlich des Vansees bei Manzikert auf Romanos Diogenes stieß. Dem Byzantinerkaiser war es bis dahin nicht gelungen, die von ihm geführte Armeehälfte mit den nach Ahlat entsandten Truppen zu vereinen. Und er erlitt am 26. August 1071 eine vernichtende Niederlage, die Anatolien den Türken öffnete.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Seldschuken schon nicht mehr durch Togrul geführt. Dieser war bereits 1063 im Alter von etwa 70 Jahren an einem Blutsturz gestorben, am Vorabend seiner Vermählung mit einer Tochter des Kalifen. Seitdem stand Cagris Sohn Alp Arslan als Sultan an der Spitze des Großseldschukischen Reiches, das unter ihm seine Blüte erreichte.

Dem mächtigen Sultan waren nach dem Sieg von Manzikert nur noch knappe eineinhalb Jahre beschieden. Am 15. Dezember 1072 saß er über Gefangene zu Gericht. Als einer von diesen das Todesurteil mit wüsten Beschimpfungen quittierte, befahl der Sultan, dem Mann die Fesseln zu lösen und beiseite zu treten, um den Delinquenten höchstpersönlich mit Pfeil und Bogen zu töten. Der Sultan, der als einer der besten Schützen seiner Zeit galt, verfehlte jedoch wider alles Erwarten sein Ziel. Während die anderen noch total verdutzt waren, stürzte sich das verfehlte Ziel auf Alp Arslan und tötete ihn mit einem Dolchstoß.

Das Großseldschukische Reich hatte seinen Höhepunkt überschritten. Es zerfiel in einzelne Seldschukenreiche, weil es auf eine starke Führungspersönlichkeit an der Spitze ausgerichtet und die Nachfolge des Sultans nicht eindeutig geklärt war.

Trotz des Niedergangs der großseldschukischen Zentralmacht fing die Türkisierung Anatoliens nach der Schlacht von Manzikert erst richtig an. Sie wurde jedoch nicht mehr von den Großseldschuken, getragen, sondern von den Rumseldschuken, einer Abspaltung.  M.R.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren