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20.11.10 / Weckruf an die Nation / Autorin wirft der politischen Klasse mangelnde Streitkultur vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-10 vom 20. November 2010

Weckruf an die Nation
Autorin wirft der politischen Klasse mangelnde Streitkultur vor

Die Karikatur des Deutschen Michels mit seiner Zipfelmütze symbolisiert die Deutschen, wie die Marianne die Franzosen, John Bull die Briten und Uncle Sam die US-Amerikaner. Im Vormärz des 19. Jahrhunderts wurde er in der politischen Auseinandersetzung zur Spottbezeichnung für den gutmütigen, aber einfältigen und verschlafenen Deutschen, der sich seiner Machthaber nicht zu erwehren weiß und wachgerüttelt werden sollte. Deutschland aus seinem Dornröschenschlaf erwecken, das will auch Thea Dorn mit ihrer Essay-Sammlung „Ach Harmonistan!“. Die Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin, die mit bürgerlichem Namen Christiane Scherer heißt, studierte Philosophie und Theaterwissenschaften in Frankfurt am Main und in Berlin. Ihren Künstlernamen wählte sie in Anspielung auf den Philosophen Theodor W. Adorno. Damals suchte sie gemeinsam mit ihrer Lektorin in einer Berliner Kneipe nach einem markigen Pseudonym für ihr erstes Buch. Seitdem hat Dorn zahlreiche Kriminalromane, Theaterstücke und Drehbücher veröffentlicht und moderiert eine Literatursendung.

In ihrem neuen Buch liefert die Autorin jede Menge Zündstoff zu Diskussionen über Integration und Zuwanderung, über Islam und Fundamentalismus, über Emanzipation und Gleichberechtigung, über Umweltschutz und Atompolitik oder über Kanzlerin Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition. Letzterer wirft Dorn einen zu seichten Politikstil vor, den sie überspitzt „Eiskrem für alle“ nennt. In Zeiten der Wirtschaftskrise und des Sozialstaatabbaus würden sich jedoch die Töpfe der „demokratischen Eisdiele“ leeren und statt Süßem gebe es Saures. Die Autorin plädiert daher für eine neue Streitkultur in der Politik mit klaren Positionen, Entscheidungen und Konfliktfähigkeit. Im Parlament werde zwar viel gezankt, aber kaum gestritten. Im Gegenteil: Polemische Zwischenrufe wie die von Thilo Sarrazin würde die konturenlose Konsenskultur sofort verbannen. Doch nicht der rechthaberische Kampf um Kleinigkeiten, sondern die engagierte Auseinandersetzung um Grundsatzfragen bringe die Debatte voran.

Den bundesdeutschen Bürgern lastet Dorn gesellschaftspolitische Gleichgültigkeit und Leidenschaftslosigkeit vor. Sie trauert der Protestbewegung der 60er und 70er Jahre nach, die einem Spießbürgertum auf Kuschelkurs gewichen sei. Besonders die Generation unter 40 würde zu einer ausgeprägten Konformität in Familie und Beruf neigen und sich in ihrem Bedürfnis nach sozialer Sicherheit von „Mutti Staat die Butterstulle schmieren“ lassen. Selbstverantwortlichkeit und eigenständiges Denken gingen mit staatlich verordneten Energiesparlampen, Rauchverbot und Gesundheitsvorsorge verloren.

In ihren scharfsinnigen Analysen deutscher Zustände nimmt Dorn kein Blatt vor den Mund. Ironisch und eloquent geschrieben regen ihre Thesen zum Nachdenken und zum Widerspruch an. Streitbar sind etwa ihr Bild des aufgeklärten, zivilisierten Westens, der seine Werte und Rechte gegen Angreifer von außen zu verteidigen habe, sowie ihre Ablehnung eines strikten Pazifismus. Protesten gegen Globalisierung und

Neoliberalismus erteilt die Autorin schließlich eine klare Absage. Dabei sind es gerade die Kernkraft- und G8-Gegner, die sich mit jener Leidenschaft und Streitlust engagieren, die Dorn selbst fordert, auch wenn sie nicht einer Meinung mit ihr sind.      S. E. Gerber

Thea Dorn: „Ach, Harmonistan − Deutsche Zustände“, Knaus, München 2010, geb., 256 Seiten, 19,99 Euro


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