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27.11.10 / Wie starb Kirsten Heisig? / Journalist sät neue Zweifel an Suizid – Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer Darstellung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Wie starb Kirsten Heisig?
Journalist sät neue Zweifel an Suizid – Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer Darstellung

Um den Tod der Jugendrichterin Kirsten Heisig ranken sich Legenden. Oder stimmte wirklich etwas nicht? Davon jedenfalls ist der Journalist Gerhard Wisnewski überzeugt.

Seltsam mutet es an, wenn die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Staatsanwaltschaft anweisen muss, dem Informationsverlangen von Journalisten nachzukommen. Geht es gar um den mysteriösen Tod einer prominenten Person wie der Jugendrichterin Kirsten Heisig, gibt das den vielerorts geäußerten Vermutungen, ihr Ableben könnte andere als die offiziell benannten Gründe haben, neue Nahrung.

Am 28. Juni verschwand Kirsten Heisig und wurde fünf Tage später tot aufgefunden. Selbstmord hieß es schnell – allzu schnell. Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) ging bereits zweieinhalb Stunden nach dem angeblichen Fund der Leiche an die Öffentlichkeit und erklärte, Frau Heisig habe „offensichtlich Suizid“ begangen. Erstaunlich, denn der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, Michael Tsokos, hatte da den Leichnam noch gar nicht obduziert. Manch einer hat die Selbstmorderklärung nicht geglaubt – inzwischen werden es mehr. Die Geheimniskrämerei der Staatsanwaltschaft trägt nicht zur Glaubwürdigkeit der offiziellen Version bei. Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowski (SPD), der Heisig gut kannte, war einer der ersten, der Zweifel äußerte: „Die Frau war Lebenslust pur. So jemand bringt sich doch nicht um!“

Kaum war Kirsten Heisig tot, hatte sie nur noch Freunde. Tatsächlich war sie jedoch bei ihren Vorgesetzten keineswegs beliebt. Erst nachdem sie einige öffentliche Aufmerksamkeit erlangt hatte, ließ der Druck auf sie nach. Schließlich wurde bekannt, sie wolle ein Buch über ihre Erfahrungen als Richterin schreiben. Da läuteten an vielen Ecken die Alarmglocken. Mitten in der Sarrazin-Debatte auch noch eine Heisig-Kontroverse?

Gerhard Wisnewski befasst sich seit einiger Zeit mit mysteriösen Todesfällen in Deutschland. Er recherchierte auch in der Angelegenheit Heisig. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich jedoch wenige auskunftsfreudig. Trotz hartnäckiger Nachfragen verweigerte sie jegliche Auskunft über die näheren Todesumstände. Nicht einmal, dass sich die Richterin – wie von den Medien berichtet – erhängt hatte, mochte die Behörde bestätigen, „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes“, wie es hieß. Ein Antrag Wisnewskis beim Verwaltungsgericht auf Auskunft hatte zunächst keinen Erfolg.

Erst bei der übergeordneten Instanz, dem Oberverwaltungsgericht (OVG), bekam der Buchautor am 11. November sein Recht. Die Presse habe einen Anspruch auf Informationen. Die Begründung der Richter: Heisig sei bundesweit bekannt gewesen, daher bestehe ein „legitimes öffentliches Interesse an Informationen über ihren unerwarteten Tod“.

Wisnewski findet die Vorgehensweise verdächtig. Bereits jetzt hat er eine DVD „Kirsten Heisig − Geheimsache Selbstmord“ produziert. In dem von ihm verfassten Jahrbuch „Verheimlicht, Vertuscht, Vergessen“ ist der Richterin ein Kapitel gewidmet. Und weil so vieles nicht zusammenpasst, wie Wisniewski findet, will er weiter bohren. Aber da tun sich neue Schwierigkeiten auf. Die Staatsanwaltschaft weigert sich, dem Gerichtsbeschluss in der festgesetzten Frist nachzukommen. Obwohl der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 11. November datiert ist, schreibt Generalstaatsanwalt Ralf Rother, ihm sei der Beschluss erst am 17. November vorgelegt worden, und er sei nicht in der Lage, innerhalb der geforderten Frist der Forderung nachzukommen. Rother gibt an, er wolle zunächst eine „differenzierte Auswertung“ des Akteninhalts vornehmen.

Wisnewski dazu gegenüber der PAZ: „Das Verhalten der Staatsanwaltschaft Berlin grenzt in meinen Augen an eine offene Missachtung des Oberverwaltungsgerichts und eines rechtswirksamen Gerichtsbeschlusses. Aus meiner Sicht kann man im Zusammenhang mit dem Ableben von Kirsten Heisig nur noch von einem Justizskandal sprechen. Das Fax erweckt bei mir den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft Berlin auf Zeit spielt und auch sieben Tage nach dem Beschluss des OVG vom 11. November 2010 nicht willens oder in der Lage ist, der Öffentlichkeit Beweise für einen Selbstmord von Kirsten Heisig vorzulegen.“

Am 19. November gab die Justizbehörde die Informationen schließlich doch heraus. Dort heißt es: „Die Tote hat sich anscheinend nach vorne in die um ihren Hals liegende Schlinge fallen lassen und sich vor dem Erhängen nicht auf einen Gegenstand gestellt.“ Heißt das, dass Frau Heisig nicht frei am Strick hing, sondern sich durch Aufrichten oder Hinstellen dem Erdrosselungstod hätte entgehen können? Die immer wieder von den Medien beschriebene Einnahme von Antidepressiva konnte bestätigt werden. Die Akte selbst bekam der Buchautor allerdings nicht zu sehen.

Für Gerhard Wisnewski bleiben noch viele Fragen offen: „Wo ist der Hund (von Frau Heisig)? Welches Antidepressivum? Was ist überhaupt mit ,‘Überdosis“ gemeint? Was ist eine Überdosis von Antidepressiva? Wurden Fingerabdrücke an den Flaschen gesichert, wenn nein, warum nicht?“ Die Staatsanwaltschaft hat jetzt die Flucht nach vorn angetreten und die bisher gehüteten Informationen auch an einige Presseorgane herausgegeben. Nur der „Focus“ hat indes die oben geschilderten Details veröffentlicht, während die Berliner Tagespresse einen Schlussstrich zog: An der Selbstmordthese bestehe nun kein Zweifel mehr, hieß es unisono.     Hans Lody


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