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27.11.10 / Anatolien wird türkisiert / Das Sultanat der Rumseldschuken – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 5)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Anatolien wird türkisiert
Das Sultanat der Rumseldschuken – PAZ-Serie über die Geschichte der Türken (Teil 5)

Im Jahre 1071 hatten sich die Großseldschuken mit einem Sieg über die Byzantiner bei Manzikert Kleinasien gewaltsam geöffnet. Die Rumseldschuken, eine Abspaltung der Sieger, übernahmen dann die Türkisierung Anatoliens.

Der großseldschukische Sultan Alp Arslan war aus Ägypten herbeigeeilt, um den in sein Reich einmarschierten Byzantinern bei Manzikert eine entscheidende Niederlage zu bereiten. Und so schnell, wie er gekommen war, entschwand er auch wieder, um nun gegen den Schah von Chwarezm, einer Landschaft am Ostufer des Aralsees, zu Felde zu ziehen. Als Befehlshaber für die Nordwestfront ließ er Sulaiman zurück. Der mit Alp Arslan verwandte Prinz und Heerführer brach nun auf Richtung Konstantinopel mit dem Ziel, die Byzantiner als Herrscher Anatoliens abzulösen.

In den folgenden Jahren zog er quer durch Kleinasien bis ans Marmarameer. Dort eroberte er 1075 das so wichtige Nikäa (Iznik) und Nikomedia (Izmit). Nach diesen Erfolgen begründete er 1077 sein eigenes Sultanat der Rumseldschuken. „Rum“ bedeutet Rom. Die Rumseldschuken nahmen also direkten Bezug auf das (ost)römische Reich der Byzantiner, deren Nachfolge sie antreten wollten. Zu seiner Hauptstadt erkor Suleiman Nikäa an der Nordwestecke seines Sultanats und am Tor zum europäischen Kontinent.

Das Ereignis machte auf die Christenheit großen Eindruck. Davon zeugt die häufige Erwähnung Sulaimans in den Ritterepen, die zu jener Zeit in Westeuropa Verbreitung fanden. Die Einwohner Kleinasiens erfasste ein nahezu panischer Schrecken. Ein Flüchtlingsstrom von griechischen Christen und turkmenischen Nomaden suchte dem Machtbereich der Großseldschuken zu entkommen. Die Armenier flohen nach Kleinarmenien.

Doch Sulaimans Vorliebe galt Syrien und Ägypten, deren Religion und seit dem 7. Jahrhundert islamische Oberschicht ihm vertraut waren. Diese Region hatte für ihn Priorität. 1086 zog er gegen Antiochia (Antakya). Dank eines Verräters in den gegnerischen Reihen gelang ihm die Eroberung der nahe dem Mittelmeer und der heutigen türkisch-syrischen Grenze liegenden Stadt.

Als Sulaiman dann weiter Richtung Osten auf Aleppo marschierte, suchte der Gouverneur dieser syrischen Stadt beim Statthalter der Großseldschuken in Syrien, Tutusch, um militärischen Beistand nach. Da Sulaiman sich von den Großseldschuken losgesagt hatte, kam der Bruder des großseldschukischen Sultans Malik Schah I. der Bitte nach und stellte den rumseldschukischen Sultan etwa auf halbem Wege zwischen Antiochia und Aleppo. Sulaiman unterlag und entzog sich der Gefangennahme, indem er sich sein Schwert in die Eingeweide stieß.

Sulaimans Sultanat wurde in das großseldschukische integriert und sein Sohn Kilidsch Arslan in Geiselhaft genommen. Nachdem 1092 Malik Schah gestorben war, entließ dessen Sohn und Nachfolger Barkiyaruk Kilidsch Arslan, der noch im selben Jahr das Sultanat seines Vaters mit sich als Sultan und Konya als Hauptstadt restaurierte. Nach einer Niederlage gegen den großseldschukischen Sultan Mohamed und Radwan von Aleppo ertrank Kilidsch Arslan I. 1107 im Fluss Chabur.

Und wie einst Kilidsch Arslan selber wurde nun auch sein ältester Sohn Malik Schah großseldschukische Geisel. In dieser sultanlosen Zeit mussten sich die Seldschuken vor den Byzantinern nach Zentralanatolien zurückziehen. 1110 kam Malik Schah zwar frei, aber er konnte nicht verhindern, dass die Danischmenden die Rumseldschuken als stärkste türkische Kraft in Anatolien ablösten und mit ihrer Hilfe sein eigener Bruder Mas’ud ihn 1116 stürzte. 1142 wandte sich Mas’ud dann gegen seine vormaligen Verbündeten und eroberte das Reich der Danischmenden. Nach 40 Jahren, der längsten Regierungszeit aller Rumseldschukensultane, starb Mas’ud 1156. Sein Sohn und Nachfolger, Kilidsch Arslan II., ging als Sieger der Schlacht von Myriokephalon 1176 in die Geschichte ein. Diese mit Manzikert vergleichbare Niederlage der Byzantiner im Westen Anatoliens hatte zur Folge, dass die Türken aus Kleinasien endgültig nicht mehr zurückgedrängt werden konnten.

Kilidsch Arslans Sohn teilte das Reich zwischen seinen elf Söhnen auf. Letztlich konnte sich sein Jüngster durchsetzen. Kai Chosrau I. stärkte die Zentralgewalt, eröffnete dem Sultanat den Zugang zum Schwarzen Meer und annektierte Antalya, von wo aus die Rumseldschuken den Handel mit Venedig aufnahmen.

Als Chosrau 1211 starb, folgte ihm erst sein Sohn Kai Kaus I. und nach dessen Tod 1220 Kai Kobad I., der bis zu seinem Tode 1237 regierte. Die Regierungszeit dieser beiden Brüder gilt als Höhepunkt und Blüte des Sultanats der Rumseldschuken. Das seinerzeit mächtigste Reich der Region reichte vom Euphrat im Osten bis nahe an die Ägäis im Westen. Erfolgreich bemühten sich die Sultane, ihre bis dahin auf das innere Hochland beschränkte Herrschaft Richtung Nord- und Südküste zu erweitern. Das ursprüngliche Nomadenvolk hatte die Vorteile des Seehandels entdeckt und nutzte sie nun auch.

Kai Kobad hatte eigentlich einen anderen Sohn zu seinem Nachfolger bestimmt, aber Chosrau II. setzte sich gegen seinen Bruder durch. Dieser bis 1246 lebende Chosrau II. war der letzte bedeutende Sultan der Rumseldschuken.

Bereits zu Zeiten seines Vaters hatten die Mongolen Raubzüge bis tief nach Anatolien hinein unternommen. Sie trieben viele Völker vor sich her und teilweise in das Sultanat der Rumseldschuken hinein, was dieses destabilisierte. Konflikte zwischen den Rumseldschuken und den Migranten waren die Folge.

Nachdem die Mongolen den Seldschuken 1242 das heute osttürkische Erzurum entrissen hatten, kam es im darauffolgenden Jahr etwa im Scheitelpunkt zwischen Schwarzmeerregion, Ostanatolien und Zentralanatolien zur Entscheidungsschlacht zwischen Rumseldschuken und Mongolen. Kai Chosrau II. verlor mit seinem 80000 Mann starken Heer einschließlich aijubidischer und armenischer Hilfstruppen sowie fränkischer und griechischer Söldner diese Schlacht vom Köse Dag. Die unmittelbare Folge war der Niedergang des rumseldschukischen Sultanats und die Herrschaft der Mongolen über den größten Teil Anatoliens. Es war das Ende der Souveränität der Rumseldschuken. Ihre Sultane waren fortan nur noch Vasallen der Mongolen. Um 1310 beendeten die Mongolen dieses Protektorat und inkorporierten dessen mittlerweile zusammengeschrumpftes Gebiet. Manuel Ruoff


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