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27.11.10 / Geschäft mit dem Elend / Wie internationale Hilfsorganisationen Spendengelder versickern lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Geschäft mit dem Elend
Wie internationale Hilfsorganisationen Spendengelder versickern lassen

Knapp 20 Millionen Menschen leiden noch heute an den Folgen der Flutkatastrophe, die Pakistan vor einem halben Jahr heimsuchte. Neben Obdachlosigkeit, Hunger und Durst drohen ihnen nun auch lebensgefährliche Seuchen wie die Cholera. Es fehlt an sauberem Trinkasser, Kleidung, Nahrung und Medizin. Internationale Hilfsorganisationen wie Unicef, Oxfam, das UN-Welternährungsprogramm und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind  vor Ort und rufen zu Spenden auf. Dramatische Fernsehbilder von verzweifelten Menschen und zerstörten Häusern sollen an die Wohltätigkeit der Zuschauer appellieren.

Weltweit verfügen die Hilfsorganisation über mindestens 120 Milliarden Dollar im Jahr, die sie von Staaten und Privatpersonen erhalten. Dass die Gelder nicht nur den Bedürftigen, sondern auch Militärs und Rebellen zugute kommen, enthüllt die niederländische Autorin Linda Polman in ihrem Buch „Die Mitleidsindustrie“. Sie war jahrelang Korrespondentin bei den Truppen der UN-Friedensmission in Somalia, Haiti, Ruanda und Sierra Leone und weiß, wovon sie spricht.

Im Falle Pakistans – so Polman in einem Interview – seien die Regierung sowie die Armee völlig überfordert. Korrupte Beamte würden versuchen, sich an den finanziellen Zuwendungen zu bereichern. Die radikal-islamischen Taliban nutzen zudem die defizitäre Krisenhilfe aus und präsentieren sich als schnelle Helfer vor Ort, um ihren Einfluss im Land und in der Bevölkerung auszuweiten.

In ihrem Buch nennt die Journalistin das erschreckende Beispiel Ruandas. Nach den Massakern an der Tutsi-Bevölkerung 1994 wurde im angrenzenden Goma ein riesiges Flüchtlingslager errichtet. Dort kamen neben Zivilisten auch die Hutu-Milizen unter, die den Völkermord begangen hatten und nun selbst vor der Rache nehmenden Tutsi-Armee geflohen waren. Polman berichtet: „Tatsächlich hat die internationale Gemeinschaft die Mörder durchgefüttert. Und schlimmer noch, ihnen ermöglicht den Krieg fortzusetzen.“ Die Hutu-Milizen übernahmen in den Lagern das Kommando und erpressten Gelder von den westlichen Helfern. Als die französische Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“ aus Protest Goma verließ, wurde sie sofort von zehn anderen Organisationen ersetzt.

„Weil es so viele Hilfsorganisationen gibt, fällt es den regionalen Kriegsherren leicht, sie zu manipulieren. Die Machthaber wissen: Wenn eine Organisation wegen des Missbrauchs geht, rücken sofort andere nach. Deshalb sind die

Hilfsorganisationen so anfällig für Erpressung und Missbrauch“, bi-lanziert die Autorin. Nach dem Tsunami 2004 in der indonesischen Provinz Aceh durften die Hilfsorganisationen ihre Güter erst verteilen, nachdem sie drei Prozent an die Armee abgetreten hatten. Im seit 1991 anhaltenden somalischen Bürgerkrieg flossen 80 Prozent der finanziellen Unterstützung an die Warlords.

Polman prangert an, die Hilfsorganisationen würden konkurrieren statt zu kooperieren: Sie „sind mehr oder weniger kommerzielle Unternehmen. Sie müssen ihr Überleben sichern, ihre großen Büros, ihre Mitarbeiter und ihre Ausrüstung finanzieren. Deshalb müssen sie besser, schneller vor Ort und sichtbarer sein als ihre Konkurrenten.“ Zudem würden sich viele Organisationen nicht nach den lokalen Bedürfnissen richten, sondern nach dem Auftrag ihrer Spender.

In Sri Lanka baute eine Organisation etwa nach dem Tsunami ein Fischerdorf zehn Kilometer vom Meer entfernt, das bis heute leer steht. Schließlich seien viele Spenden an die unmittelbare Nothilfe gebunden und stünden nicht für die langfristige Entwicklungszusammenarbeit oder andere Landesteile zur Verfügung.

Die Autorin empfiehlt daher, nur an vor Ort verankerte Organisationen zu spenden und die Zweckwidmung nicht zu eng zu fassen. Obwohl Polman keine Patentlösung parat hat, bietet sie einen fundierten und spannenden Einblick in die Arbeit der Hilfsorganisationen und regt eine kritische Debatte über die Verwendung von Spendengeldern an. Sophia E. Gerber

Linda Polman: „Die Mitleidsindustrie – Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen“, Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York, 267 Seiten, 19,90 Euro


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