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27.11.10 / Der Macho und der Eisbär / Satirischer Roman über einen exzentrischen Umweltforscher

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-10 vom 27. November 2010

Der Macho und der Eisbär
Satirischer Roman über einen exzentrischen Umweltforscher

„Das einzige, was aus einer Konferenz herauskommt, sind die Leute, die hineingegangen sind“, heißt es im Volksmund. Das gilt auch für den Weltklimagipfel, den die Vereinten Nationen jährlich zum Schutz des Klimas veranstalten. Ziel ist es, Maßnahmen zur Eindämmung der globalen Erwärmung festzulegen. Seit dem Beschluss des Kyotoprotokolls 1997, in dem sich die Industrieländer zur Reduktion ihrer Treibhausgase verpflichten, ist jedoch nicht viel passiert. Auf der Klimakonferenz von Kopenhagen 2009 konnten sich die Teilnehmerstaaten nur auf einen rechtlich unverbindlichen Minimalkonsens einigen, die maximale Klimaerwärmung nicht über zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau steigen zu lassen. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund spielt der neue Roman „Solar“ des britischen Erfolgsautors Ian McEwan. 

Michael Beard, der Held der Geschichte, hat in seinem Leben alles erreicht – zumindest beruflich. Der Mitfünfziger ist Nobelpreisträger der Physik und leitet das renommierte Institut für Erneuerbare Energien. Tatsächlich hat er seine besten Zeiten hinter sich. Seit Jahren hat er keine neuen Forschungsergebnisse mehr präsentiert und hält auf Konferenzen immer wieder die gleichen Vorträge. Auch Beards Privatleben sieht wenig rosig aus. Seine fünfte Ehe geht gerade in die Brüche, weil seine Gattin ihn mit einem Handwerker betrügt. In der Vergangenheit war der Wissenschaftler selbst kein Kind von Traurigkeit und hatte etliche Affären. Die Frauen liegen dem kleinen, kahlköpfigen Mann mit dem Alkoholproblem zu Füßen und halten ihn für ein verkanntes Genie.

Als Beard von einer Dienstreise in der Antarktis heimkehrt, erwischt er einen weiteren Liebhaber seiner Frau, ausgerechnet einen seiner Mitarbeiter. Beim Versuch, sich mit dem Chef zu versöhnen, stolpert der Assistent unglücklich über den Eisbärenvorleger im Wohnzimmer und ist auf der Stelle tot. Mit dem Tod des zweiten Widersachers schlägt

Beard gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen gelingt es ihm, durch eine falsche Spur den Handwerker als vermeintlichen Mörder hinter Gitter zu bringen. Zum anderen reißt er sich die Unterlagen des Assistenten unter den Nagel, die die Entdeckung einer revolutionären, sauberen Energieform enthalten. Plötzlich steht der Forscher wieder im Rampenlicht der Öffentlichkeit und treibt Fördergelder für das innovative Projekt ein. Sogar auf der Klimakonferenz in Kopenhagen soll er sein Modell vor den Außenministern vorstellen. Doch es kommt anders.

„Solar“ ist eine bitterböse Abrechnung mit dem Wissenschaftsbetrieb, der internationalen Politik und mit dem männlichen Ego. McEwan spart kein Politikum aus, von der Erderwärmung und dem Abschmelzen der Polkappen über den erbitterten Kampf zwischen Umweltschützern und Industrie bis hin zur Bankenkrise. Das ist zwar ein interessanter Versuch, gesellschaftspolitische Themen durch Literatur ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und zur Dis-kussion anzuregen. Allerdings schweifen die fachwissenschaftlichen Debatten des Autors häufig aus und bereichern die Handlung kaum. Auch sein Humor ist Geschmackssache, etwa wenn die Hauptfigur im ewigen Eis zu der Erkenntnis gelangt, menschliche Bedürfnisse nie bei minus 30 Grad gegen den Wind zu verrichten, oder bei einer Rede mit der Übelkeit kämpft, weil er zuvor neun Lachsbrötchen verzehrt hat. Sophia E. Gerber

Ian McEwan: „Solar“, Diogenes, Zürich 2010, gebunden, 405 Seiten, 21,90 Euro


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