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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010
Härter als ein stalinistisches Gericht Wie wird sich das Auswärtige Amt künftig zu seiner eigenen Vergangenheit stellen? Wird die Tätigkeit der Mitarbeiter des Amtes in der NS-Zeit künftig in Bausch und Bogen verdammt, wie es die Grünen gerne hätten? Ein zu diesem Zweck vom damaligen Außenminister Joseph Fischer bestelltes Gutachten, das diesen Schluss nahelegt, weist katastrophale Schwächen auf. Nach fünfjähriger Arbeit hat die vierköpfige Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amtes (AA) im NS-Staat und in Nachkriegsdeutschland am 28. Oktober ihr Werk vorgelegt, erschienen unter dem Titel „Das Amt und die Vergangenheit“. Auftraggeber und Außenminister a.D. Joschka Fischer präsentierte es der Öffentlichkeit wie einen persönlichen Triumph: „Jetzt haben die Herren den Nachruf bekommen, den sie verdienten!“ warf er – bildlich gesprochen – Steine auf die Gräber toter Diplomaten. Schon das war ein außergewöhnlicher Vorgang, zumal eklatante Schwächen des Buches auf den ersten Blick erkennbar waren. In der Redaktion der „FAZ“ war es über die Arbeit zu einer Art Schisma gekommen: Die Politikredaktion und wohl auch die Mehrheit der Herausgeber standen kritisch bis ablehnend dazu, das Feuilleton unter Mitherausgeber Frank Schirrmacher hingegen überwiegend positiv. Die genaue Analyse des 879-seitigen Opus bedarf einiger Zeit. Der Historiker Daniel Koerfer, ein ausgewiesener Kenner der Materie, hat sie sich genommen und in einem langen Gespräch mit Schirrmacher, erschienen in der neuesten Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, detailliert Stellung genommen. Sein Urteil fällt in vielerlei Hinsicht vernichtend aus. In dem Buch fehlten nicht nur „wichtige Zwischentöne und Nuancen“, die einfachsten Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit seien missachtet worden. „Es ist nicht, wie Tacitus einst verlangte, ,sine ira et studio‘ geschrieben, also ohne Zorn und Vorliebe, sondern mit einem hämischen, süffisanten Unterton nahezu allen handelnden und auftretenden Akteuren gegenüber, bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein.“ Koerfer moniert, dass die persönlichen Lebenssituationen der AA-Angehörigen, etwa, welchen Risiken sie und ihre gesamten Familien im Falle von Unbotmäßigkeit oder gar offenem Widerstand gegen die NS-Diktatur ausgesetzt gewesen wären, ausgeblendet würde: „Was ist dem Einzelnen an solchem Widerstand möglich? Bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens? Zum Preis der Folter von Frau und Verwandten?“ Die „nicht ganz belanglose Frage nach Handlungsspielräumen in einer Diktatur“ werde an keiner Stelle gestellt, stattdessen werde von allen Autoren der Studie „früh und nachhaltig gewertet. Mir will scheinen, dass es nicht nur eine Gnade, sondern auch eine Arroganz der späten Geburt gibt.“ Die Autoren um den Historiker Eckart Conze machten dabei den „Goldhagen-Fehler“, indem sie die heutige Zeit auf die damaligen Verhältnisse übertrügen. Nur auf diese Weise hätte namentlich Conze zu dem Resümee gelangen können, das AA sei eine „verbrecherische Organisation“ gewesen, erinnert Koerfer daran, dass kein anderes ziviles Ressort in den Kriegsjahren so viele vom NS-Regime Ermordete wie das AA zu beklagen gehabt hat. Trotz der unbestreitbar tiefen Verstrickung von Mitarbeitern des Auswärtigen Dienstes in die NS-Verbrechen weist Koerfer die Behauptung der Autoren als völlig abseitig zurück, dass das AA eine „wesentliche Rolle“ bei der „Endlösung“ gespielt habe. In „Das Amt“ werde dem AA unterstellt, direkt an der Entscheidung über die „Endlösung“ beteiligt gewesen zu sein. Das sei „schlichtweg Unsinn“. Die Rolle des AA sei insbesondere nach Kriegsausbruch stetig geschrumpft, die Entscheidung über die Ermordung der Juden sei im engsten Kreis um Hitler gefallen. Das AA habe hierauf keinen Einfluss gehabt. Daniel Koerfer wundert sich in diesem Zusammenhang darüber, dass die Autoren um Eckart Conze keine Silbe darüber verloren hätten, wie denn die NS-Organisationen und hohen NS-Repräsentanten über das Auswärtige Amt gedacht haben. Aus zahlreichen Quellen gehe nämlich hervor, dass die NS-Größen das AA als Hort von „unsicheren Kantonisten“ gesehen hätten, denen der „nationalsozialistische Geist“ fehle und die noch immer an der „alten Schule“ klebten. Goebbels’ Stoßseufzer in seinem Tagebuch vom 8. Juli 1944, das AA sei „nur an der Oberfläche reformiert worden – das Gros seiner Beamtenschaft könnte noch ebenso gut unter Stresemann Außenpolitik machen“ und zahlreiche ähnliche Äußerungen, werden in diesem „Buch der Rache“ (Koerfer) denn auch schlicht unterschlagen. Eindrucksvoll ist das unterschiedliche Bild, das Joschka Fischer und Koerfer von dem Diplomaten Dr. Franz Nüßlein zeichnen. Fischer hat den im Jahre 2003 Verstorbenen auch jetzt wieder geschmäht, er sei „verantwortlich für Hunderte von Todesurteilen“. Folgt man den Belegen Koerfers, ist das eine glatte Lüge und erfüllt womöglich den Tatbestand des § 189 StGB (Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener). Koerfer zitiert ein Urteil von 1948: Nicht einmal der damalige tschechoslowakische Volksgerichtshof habe demzufolge, in einer Hoch-Zeit von Deutschenhass und Stalinismus, Nüßlein vorgeworfen, direkt für ein Todesurteil verantwortlich zu sein, sondern ihm nur die „Mitbeteiligung an der Tätigkeit dieses deutschen Sondergerichts“ zur Last gelegt. Explizit erwähnt das Urteil „Guttaten“ Nüßleins, der laut diesem Urteil mehreren von Todesstrafe und Hinrichtung bedrohten Tschechen das Leben gerettet hat. Kein anderer als der damalige Schweizer Botschafter in Prag, Huber, habe Nüßleins Tätigkeit 1959 als „Oase des Rechtsempfindens in der sonst so rechtlosen Atmosphäre des Protektorats“ gerühmt. Was nicht einmal Koerfer erwähnt: Die tschechoslowakischen Retributionsgerichte haben teilweise wegen minimaler oder sogar frei erfundener Delikte die Todesstrafe verhängt, Hunderte sind vollstreckt worden. Aber auch er schließt, das Urteil zu 20 Jahren Arbeitslager sei „in der Stalin-Ära fast ein Freispruch“ gewesen Joschka Fischer, der resozialisierte Linksextremist, aber auch Eckart Conze, urteilen über den verstorbenen Diplomaten und praktizierenden Christ strenger als dieses stalinistische Gericht. K. Badenheuer / H. Heckel |
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