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04.12.10 / Nichts will mehr gelingen / Steinmeier, Nahles, Gabriel: Die SPD-Spitze bietet ein beklagenswertes Bild – »Schwere Identitätskrise«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010

Nichts will mehr gelingen
Steinmeier, Nahles, Gabriel: Die SPD-Spitze bietet ein beklagenswertes Bild – »Schwere Identitätskrise«

Nach der historischen Wahlniederlage der SPD im vergangenen Herbst hat sich die Partei unter dem Vorsitz von Sigmar Gabriel zunächst ganz beachtlich wieder aufgerappelt. Doch seit Sommer gelingt der Partei nichts mehr, die Lage ist schlimmer denn je.

Das Ende des Anstiegs der SPD in den Umfragen brachte Anfang September der Streit um Thilo Sarrazin. Es war ja nicht nur ein Konflikt um die richtige Zuwanderungspolitik, sondern vor allem auch ein innerparteilicher Streit der SPD. Sarrazin diente den Genossen jahrzehntelang in wichtigen Funktionen, doch nun soll er nach dem Willen des SPD-Chefs –gegen den mehrheitlichen Willen in Bevölkerung und wohl auch SPD – aus seiner Partei ausgeschlossen werden. Ebenfalls im Sommer hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung mit einigen wichtigen Entscheidungen ihre Tätigkeit aufgenommen. Nicht alles war populär, manches sogar richtig unpopulär, doch der simple Vorwurf Gabriels, die Regierung übe sich im Nichtstun, konnte seitdem nicht mehr erhoben werden. Mit der SPD ging es in Umfragen wieder abwärts, die meisten Institute melden aktuell etwa 26 Prozent.

Der Abstieg könnte – womöglich sogar verschärft – weitergehen, denn die letzten 14 Tage haben sozialdemokratische Defizite sichtbar werden lassen, die dem Wähler die Haare zu Berge stehen lassen können. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, kaum genesen von der Nierenspende für seine Frau, hat in der Haushaltsdebatte aufs falsche Pferd gesetzt. Der Vorwurf von „Klientelpolitik“ war noch nachvollziehbar, doch die Behauptungen, die Regierung verbreite „Chaos“ und spalte das Land, war so konstruiert und wirkte so phrasenhaft, dass die meisten Medien sie kaum wiedergaben. Kanzlerin Merkel erteilte Steinmeier in der Debatte die Höchststrafe: Sie ging kaum auf ihn ein, sondern wandte sich gleich an die Grünen, in denen sie erkennbar die eigentliche Opposition sieht. Die Medien sahen es genauso und berichteten über die Debatte wie ein Duell zwischen Union und Grünen. Faktisch hatte damit die SPD nach der Rolle als Regierungspartei auch die Oppositionsrolle verloren. Zu den wenigen Vorwürfen Merkels an die Adresse der SPD in der Etatdebatte gehörte, sie würde sich in „affenartigem Tempo“ von früheren eigenen Beschlüssen abwenden, von den Arbeitsmarktreformen bis zur Rente mit 67. Diese Liste ist unvollständig, wenn man nur an die Kehrtwende der Südwest-SPD in Sachen Stuttgart 21 denkt.

Wenige Tage später geschah etwas Frappierendes. Aus den eigenen Reihen heraus hat ein prominenter Vertreter des – für SPD-Verhältnisse konservativen – „Seeheimer Kreises“ eine schonungslose Bestandsaufnahme vorgelegt, die sich weithin mit der Kritik von außen deckt. Unter dem Titel „Mut zur Sozialdemokratie“ redet der SPD-Bundestagsabgeordnete Garrelt Duin Klartext: „CDU und Grüne bestimmen die politischen Dis-kussionen, die SPD kommt kaum vor, ist und wird nicht gefragt. Das ist kein Zufall.“ Das Papier war nicht mit der Parteispitze abgestimmt und zielte erkennbar auf Sigmar Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles. „Die SPD hat keine schlüssige Antwort auf die Frage vieler Menschen, wofür sie steht. Sie steckt in einer schweren Identitätskrise“, schreibt Duin. Oft fehle der SPD „der Mut zu klaren Entscheidungen, sie spielt auf Zeit und feilt an Formelkompromissen“. Als „Nestbeschmutzer“ wurde Duin dafür sofort von Parteifreund Karl Lauterbach kritisiert, Nahles meinte spitz, Duin hätte diese Kritik doch auch im Parteivorstand äußern können. Dass Gabriel als Parteichef geschwächt sein muss, belegt seine windelweiche Reaktion. Er sagte, er „begrüße die Debatte“, die „richtig und gut“ sei.

Frau Nahles wiederum löst zur Zeit keine Probleme ihrer Partei, sondern macht den Eindruck, selbst eines zu sein. Talkshow-Auftritte wirken blass und fahrig, entschuldigend heißt es in der Parteiführung, Nahles wirke als Generalsekretärin vor allem „nach innen“. Verblüfft registrierte das politische Berlin vor wenigen Tagen die Einlassung von Frau Nahles, sie befürchte eine Art Palastrevolution: „Mein Job ist einer, der Begehrlichkeiten weckt.“ Es gebe „einige“, mit deren Solidarität sie nicht rechnen könne und noch deutlicher: „Damit meine ich nicht nur den politischen Gegner, sondern befürchte das auch in meiner eigenen Partei.“ So glaubwürdig wurde die SPD noch selten als eine Art Haifischbecken beschrieben. Absurderweise wollte Nahles am selben Tag aber noch nicht einmal Ambitionen auf das Bundeskanzleramt verneinen: „Planen von Karrieren ist zumindest in der Politik mit vielen, vielen Fragezeichen verbunden“, meinte sie über dieses Thema.

Dass die SPD-Generalsekretärin ein wenig von der Rolle ist, ist durch ihre Schwangerschaft menschlich gut verständlich und wäre weniger fatal, wenn wenigstens der Parteichef „voll im Saft“ stehen würde. Doch gerade Sigmar Gabriel hat – von den meisten Zeitungen schon nicht mehr groß beachtet – vor wenigen Tagen eine schwere Schlappe kassiert.

Die Gegner waren einmal mehr andere Sozialdemokraten. Wochenlang kämpfte Gabriel um Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als neuen Vorsitzenden der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, um diese zu einem „programmatisch-intellektuellen Kraftzentrum“ für die Partei zu machen, wie der „Spiegel“ vermeldet hatte. Doch die Stiftung, eine der großen Pfründen der Partei, gerade in Oppositionszeiten, selbst wünschte sich Ex-Verteidigungsminister Peter Struck als neuen Chef – und setzte sich damit nun nach langem Tauziehen durch. K. Badenheuer


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