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04.12.10 / Die ostdeutsche Eigentumsfrage ist offen / Klare Rechtslage, begrenzte Durchsetzungsmöglichkeiten: Das Symposium zum Enteignungsunrecht in Bad Pyrmont (Teil I)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010

Die ostdeutsche Eigentumsfrage ist offen
Klare Rechtslage, begrenzte Durchsetzungsmöglichkeiten: Das Symposium zum Enteignungsunrecht in Bad Pyrmont (Teil I)

Ende Oktober fand in Bad Pyrmont eine außergewöhnliche staats- und völkerrechtliche Fachtagung zum Thema „Eigentums-recht und Enteignungsunrecht“ statt. Wie bereits berichtet, haben sich die insgesamt neun Experten, darunter Vertreter aus Polen und der Tschechischen Republik, damit einem wichtigen Aspekt der Vertreibung der Deutschen gewidmet. Auch die SBZ-Enteignungen waren Gegenstand dieser Tagung.

Es war das dritte Symposium der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen mit der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht zu diesem Thema. Die hochkarätigen Referenten analysierten die neueren Entwicklungen in Politik, Gesetzgebung und Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene zu diesem Themenkreis, trugen grundlegende Feststellungen vor und machten richtungsweisende Vorschläge. Wir dokumentieren wichtige Ergebnisse.

Am ersten Tag untersuchten Professor Otto Depenheuer (Köln) und Dr. Hans-Peter Folz (Augsburg) zunächst die grundsätzlichen Rahmenbedingungen bzw. Rechtsquellen für den Umgang mit Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht im Hinblick auf die Wiedergutmachung der Eigentumskonfiskationen am Ende des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit. Konkret analysierte dann Rechtsanwalt Albrecht Wendenburg aus Celle die Probleme in den richtungsweisenden Verfahren sogenannter Alteigentümer zur Wiedergutmachung der kommunistischen Konfiskationen in der SBZ bzw. DDR. Auch am zweiten Veranstaltungstag wurde in den ersten beiden Referaten (Ministerialrat Dr. Hermann Rodenbach, Berlin, und Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth, München) die Wiedergutmachung der Folgen des kommunistischen Vertreibungs- und Enteignungsunrechts in der SBZ und der ehemaligen DDR in den Blick genommen. Schließlich wurde mit den Referaten von Prof. Dr. Jan Filip aus Brünn und Prof Dr. Andrzej Wróbel vom Obersten Gericht in Warschau der Stand und die Perspektiven der Restitutionspolitiken in der Tschechischen Republik und Polen betrachtet.

Die wissenschaftliche Vorbereitung und Leitung lag wider bei Prof. Gilbert H. Gornig und Prof. Dr. Hans Detlef Horn von der Universität Marburg. Wie Horn in seiner Einführung betonte, sollte sich dieses dritte Symposium nicht nur mit einer Erinnerungskultur begnügen, sondern auch Impulse geben, Unerledigtes und Unbewältigtes anzupacken. Wolle Recht auf Dauer gerecht regeln, müsse es auch an die Vergangenheit anknüpfen; ein demokratischer Staat müsse insofern Vergangenheit bewältigen. Doch zeige die rechtsstaatliche Aufarbeitung des Eigentumsverlustes durch Vertreibung weiterhin unverkennbar Defizite. Für die Bewältigung dieser Vergangenheit könne sich der Staat nicht auf fehlende Zurechnung berufen. Bei der Bewältigung komme es nicht auf die Verantwortlichkeit des Staates für die Geschehnisse an, sondern darauf dass er aktiv für die Beendigung und Beseitigung des defizitären Zustandes sorgt.

Eigentlich eröffnet wurde die Fachtagung vom Vorsitzenden der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Hans-Günther Parplies. Er bedauerte, dass es für diese Tagung, deren Hintergrund massive Menschenrechtsverletzungen sind, keine Zuschüsse aus öffentlichen Kassen gab. Dem Bundesvorstand der Landsmannschaft Ostpreußen gebühre deshalb großer Dank, die Fachtagung dennoch ermöglicht zu haben. In seiner Begrüßung erinnerte er an die Gedenkveranstaltungen im Herbst diesen Jahres zum 60. Jahrestag der Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Den Vertriebenen habe es weh getan, wenn vom ungetrübten Erfolg gesprochen wurde. „Es gibt noch wichtige ungelöste Probleme. Zum Heimatrecht ist erschreckend wenig gesagt worden.“ Dazu gehöre auch die ungelöste Eigentumsfrage und das Enteignungsunrecht.

Für den verhinderten Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen begrüßte der stellvertretende Sprecher Dr. Wolfgang Thüne die Teilnehmer. Er wies darauf hin, dass das ungelöste Thema der Landsmannschaft Ostpreußen am Herzen liege im Gegensatz zum BdV, der es gern ausklammere und sich insofern dem Zeitgeist anpasse. Durch die finanzielle Unterstützung dieser staats- und völkerrechtlichen Fachtagung wolle die Landsmannschaft Ostpreußen auch wissenschaftlichen Freiraum sichern. Das Thema Enteignungsunrecht und Eigentumsrecht im Zuge der Vertreibungen werde politisch totgeschwiegen. Durch wissenschaftliche Analyse und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung soll das Thema der Tabuisierung entrissen werden und im freien wissenschaftlichen Dialog die Gerechtigkeit der Eigentumsordnung in Europa erörtert werden.

Prof Dr. Otto Depenheuer, Köln, stellte in seinem Referat „Altes Eigentum’ und Eigentumsgarantie – zwischen Vergessen, Erinnern und Wiedergutmachung“ grundsätzliche Betrachtungen aus rechtsphilosophischer und sozialpolitischer Sicht an. Bezüglich des Anspruches auf einen rechtsstaatlich einwandfreien Umgang mit dem Privateigentum sei das Verhältnis zwischen dem „Alten Eigentum“ und der Eigentumsgarantie moralisch und politisch nicht befriedigend. Die juristischen Schlachten um die Wiedergutmachung des Unrechts durch die sogenannte Boden- und Industriereform in der SBZ und durch die Konfiskation des deutschen Privateigentums durch Polen und die Tschechoslowakei seien aber durch die abschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte geschlagen. Justitia locuta causa finita!

„Die Verbitterung vieler Betroffener aber bleibt, der Glauben an Recht und Gerechtigkeit ist verloren gegangen angesichts der Doppelmoral eines Staates, der noch heute, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung 350000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche aus der sogenannten Bodenreform entschädigungslos sein Eigen nennt.“ Auf Dauer werde sich diese Doppelmoral nach dem Motto „Was man nicht regelt, gibt es nicht mehr“ nicht durchhalten lassen, erklärte Depenheuer zuversichtlich. Gegenwärtig werde man aber mit dem Unrecht leben müssen. Aus der Position moralischer Stärke könne viel erreicht werden, wenn der Staat als Nutznießer fremden Unrechts sich ein schlechtes Gewissen machen müsse. Die Betroffenen seien gut beraten, das politische Umfeld – auch der Gegner – „mitzunehmen“. Zu bedenken sei, dass Politiker viel Zeit zur Bewältigung sozialpsychologischer Blockaden bräuchten, wie Sebastian Hafner (und ähnlich auch Max Planck) gemeint hätten.

Privatdozent Dr. Hans-Peter Folz (Augsburg) untersuchte, ob die von der „International Law Commission“ zusammengestellten Völkerrechtregeln zur Staatenverantwortlichkeit als Rechtsquelle effektiver Restitutions- und Rehabilitierungspolitik dienen können. Diesbezüglich sei aber maßgeblich, dass diese Normen nur als Recht zwischen Staaten anwendbar sind. Kommt es zu einer völkerrechtlichen Rechtsverletzung, so hat der Verursacherstaat zunächst sein rechtswidriges Verhalten zu beenden. In einem weiteren Schritt kann dieser sein Verhalten wiedergutmachen, etwa durch Naturalrestitution oder Ersatz des ökonomischen Schadens. Problematisch sei dies bei immateriellen Schäden wie dem Verlust der Heimat. Hier sind die Restitutionsmöglichkeiten eingeschränkt: Neben der einfachen Anerkennung eines Schadens durch den Verursacherstaat kann dieser den Schaden bedauern oder mittels förmlicher Entschuldigung „beheben“.

Da nur ein Staat völkerrechtsfähig sein könne, stärke das Völkerrecht Individuen nur mittelbar. Ein Einzelner könne seine Ansprüche gegen einen Schädigerstaat nicht selbst einfordern. Die Regeln der Naturalrestitution fänden aber durchaus Anwendung, etwa bei erbeutetem Kulturgut oder bei politisch Verfolgten.

Es bestehe trotz des Rechts auf diplomatischen Schutz faktisch keine Pflicht eines Staates, Rechte seiner Bürger beim Schädigerstaat einzufordern. Vielmehr komme dem Heimatstaat ein außenpolitischer Ermessensspielraum zu. Hier wird die Schwäche des Individuums im Völkerrecht deutlich erkennbar: Das allgemeine Völkerrecht der Staatenverantwortlichkeit ist nur dann effektiv, wenn der Heimatstaat des Enteigneten machtpolitisch in der Lage ist, seine Rechte durchzusetzen.

Als brisant stufte Folz die Möglichkeit der Verjährung von völkerrechtlichen Ansprüchen ein, wodurch auch die Rechte von Individuen verlorengehen könnten. Wenn Staaten wie zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland ihr Recht nicht geltend machten, bestehe die Gefahr einer Verwirkung der Ansprüche durch Verjährung.

Die Dokumentation über diese Tagung wird fortgesetzt.

Rechtsanwalt Wendenburg aus Celle, der 1990/91 richtungweisende Verfahren zum Eigentum sogenannter Alteigentümer in der ehemaligen DDR als Prozessanwalt durchführte, wies zu Beginn seiner Ausführungen daraufhin, dass es in allen von ihm betreuten Fällen um Rückgabe von Immobilien gegangen sei. Zwei Drittel der konfiszierten Flächen hätten sich noch 1990 in Staatsbesitz befunden. Der deutsche Staat habe sich plötzlich im Besitz der Beute der kommunistischen Enteigungen befunden. Der Referent schilderte den Verlauf der Verfahren, angefangen von dem Wunsch der Sowjetunion, die Gesetzlichkeit der Enteigungsmaßnahmen nicht in Frage zu stellen bis hin zur politischen Entscheidung, die Enteigungen bis 1949 nicht zu revidieren und nur im Übrigen den Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ zu beachten. Letztlich habe dies im Einigungsvertrag aber dazu geführt, dass zwar das Restitutionsverbot Verfassungsrang bekommen habe, nicht aber der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“. Wendenburg berichtete, dass die Verhandlungsführer der DDR sogar versucht hätten, das enteignete Grundvermögen auf die Bürger der untergehenden DDR zu verteilen.

Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht habe der damalige Präsident des Gerichts, Prof. Roman Herzog, der selbst an dem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt hatte, Druck auf den erkennenden Senat ausgeübt, so dass eine denkbar knappe Entscheidung mit der Stimme des Präsidenten gegen die beschwerdeführenden Enteigungsopfer getroffen worden sei. Im Verfahren selbst waren von den beteiligten Staatssekretären Kinkel und Kastrup „außenpolitische Zwänge“ gegen die Restitution behauptet worden, wohingegen die Sowjetunion klargestellt hatte, dass ein Rückgabeverbot keineswegs Voraussetzung für ihr Zustimmung zur staatlichen Einigung gewesen sei. Strafanzeigen wegen der im Raum stehenden Aussagedelikte von Kinkel und Kastrup seien von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft nicht angenommen worden mit der Begründung, es habe sich nicht um Zeugenaussagen gehandelt. Später, nach Ablauf der strafrechtlichen Verfolgungsfrist, sei dann aber vom Bundesverfassungsgericht im Kostenverfahren doch entschieden worden, dass es sich um eine Beweisaufnahme, mithin bei den Aussagen der Staatssekretäre doch um Zeugenaussagen gehandelt habe.

In späteren Entscheidungen habe das Bundesverfassungsgerichts hingegen die Auffassung vertreten, dass die Bundesregierung die Rechtslage hinsichtlich des behaupteten Rückgabeverbotes wie vorgetragen habe einschätzen dürfen, auch wenn diese Einschätzung sich als unzutreffend erwiesen habe. Abschließend ging der Referent noch auf die nun mit Einschränkungen geschaffene Möglichkeit des begünstigten Eigentumserwerbs für Alteigentümer ein. Grundsätzlich dauerten fast alle Rückübereignungs- und Entschädigungsverfahren unvertretbar lange. Dies wiederum eröffne die Möglichkeit Schadenersatzansprüchen wegen Amtshaftung geltend zu machen.

Da Ministerialrat Dr. Hermann Josef Rodenbach (Berlin), verhindert war und deshalb seine Ausführungen zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht in der Vollzugspraxis nicht selbst vortragen konnte, zitierte Prof. Horn detaillierte Angaben aus dem schriftlich vorliegenden Referat zum Entstehungsprozess und der praktischen Anwendung des Ausgleichsleistungs- und Entschädigungsgesetz (EALG) und des NS Verfolgten Entschädigungsgesetz (NS-VEntschG).

Danach sind die Entschädigungsfragen in einem Amtsermittlungsverfahren also in einem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverfahren zu klären. Dies ist Sache der Ämter zur Regelung der offenen Vermögensfrageder in den neuen Bundesländern, da vermutet wurde, dass sie einfacher auf vorliegende Akten zurückgreifen können. Die abzuwickelnden Entschädigungsverfahren liefen zunächst sehr langsam an. Nach gegenwärtiger Einschätzung werden die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen nach dem EALG zwischen 2011 und 2015 mit einer ersten Bescheidung erledigt sein. Dagegen würden die Entschädigungsverfahren nach dem NS-VEntschG beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV, vormals BARoV) erst 2018 erledigt sein.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth aus München hatte das zweite Referat des zweiten Tagungstages übernommen. Es befasst sich ebenfalls mit dem kommunistischen Vertreibungs- und Enteignungsunrecht in der SBZ und DDR und zwar mit dessen deliktischen Charakter. Rechtsanwalt Wasmuth ist beim Verlag CH Beck München im juristischen Lektorat.

Sein Vortrag war nahezu revolutionär, weil er detailliert aufzeigen konnte, dass es bei der Entnazifizierung beziehungsweise der Bodenreform in der SBZ und DDR von vorneherein nicht um eine bloße Enteignung zwecks gerechterer Verteilung von Privateigentum ging, sondern das Vorgehen vor allem auch Strafcharakter hatte. Großgrundbesitzer galten ebenso wie Inhaber großer Industrieunternehmen grundsätzlich als Klassenfeinde beziehungsweise Kriegsverbrecher gegen die strafrechtliche Sanktionen zu verhängen waren und dabei deren Vermögen enteignet wurde. Ihnen widerfuhr schwerstes Unrecht, das mit äußerster Brutalität ausgeführt wurde.

Gerechtfertigt wurde die unmenschliche Verfolgung in der SBZ mit Kontrollratsdirektiven der Alliierten. Die Praxis der Anwendung dieser Direktiven war aber anders als im Westen und bestand in einer repressiven menschenverachtenden Verfolgung. Die Beschuldigten wurden in drei Typen eingeteilt: Naziverbrecher, Naziaktivist oder Kriegsinteressent. Bei entsprechend festgestelltem Schuldvorwurf folgten strafrechtliche Sanktionen (zum Beispiel Verurteilung zum Tod, Zuchthaus, Gefängnis etc.). Hierfür war zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit ohne Beteiligung und ohne Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen in Kommissionen der Schuldvorwurf festgestellt worden. Die Verfahren wurden durch Anzeigen beziehungsweise Denunzianten eingeleitet.

Auch die Bodenreform wurde in gleicher Weise repressiv durchgeführt. Das heißt, sie hatte Verfolgungscharakter und war primär eine gezielte Massenvertreibung. Dies wurde aber verschleiert, indem der Eindruck erweckt wurde, es gehe primär um eine gerechtere Verteilung des Privatvermögens. Die Bodenreform selbst sollte bei den Neubauern eine breite Zustimmung bringen. Auf der anderen Seite wurden die Großgrundbesitzers kraft Gesetzes kollektiv diskriminiert und als primäre Klassenfeinde verfolgt mit dem Ziel des Zugriffs auf deren Vermögen.

Bei der juristischen Aufarbeitung dieses Enteignungsunrechtes nach 1990 wurde der politische Verfolgungsaspekt der Bodenreform nicht erkannt und primär als vertretbare Enteignungen auch vom Bundesverwaltungsgericht angesehen. Rückgabe oder ausgleichende Entschädigung für entschädigungslose Eignung stand im Vordergrund nicht aber, dass die Verfolgung der Eigentümer Hauptzweck war. Rechtsanwalt Wasmuth ist der Auffassung, dass auch dem Verfassungsgericht Anfang der Neunzigerjahre der primäre Strafzweck der Enteignungen zwischen 1945 und 1949 und der Verfolgungszweck der Bodenreform schlicht unbekannt war. Insbesondere waren die den Enteignungen vorausgegangenen Verfahren von Kommissionen, in denen ohne Öffentlichkeit und ohne Beteiligung der Betroffenen der Schuldvorwurf festgestellt wurde, nicht bekannt. In Unkenntnis dessen hätten die Gerichte nur die bloße Konfiskation gesehen und somit nicht Rehabilitierungsrecht angewandt.

Zur Situation in Tschechien schilderte Professor Dr. Jan Filip aus Brünn anhand von Verfassungsgesetzen der tschechischen Republik den Stand, die Schranken und die Perspektiven der Restitutionspolitik. Mit Blick auf die häufig wechselnde Geschichte Böhmens und des tschechischen Volkes zeigte er im Einzelnen auf, wie der Lauf dieser Geschichte immer wieder auch durch Veränderungen der Eigentums- und Staatsangehörigkeitsverhältnisse gekennzeichnet war. Er griff dabei bis zum Jahr 1620 zurück, als der protestantische böhmische Adel enteignet wurde, und wies darauf hin, dass von den letzten 400 Jahren Tschechiens nur ein Zeitraum von 43 Jahren in Freiheit anzusehen sei.

Um darzulegen, welche Probleme sich im Jahre 1989 der Aufarbeitung der Eigentums- und Staatsangehörigkeitsverhältnisse stellten, verwies er auf die komplexen Zusammenhänge mit den Stichjahren 1920, 1938, 1939,1945, 1948 und 1968 des 20. Jahrhunderts. Mit Blick auf die Benesch-Dekrete erläuterte er die verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verfassungsgericht jede Bestimmung auf ihre Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit zu prüfen hat, solange die Vorschrift noch in Kraft und noch nicht aufgehoben ist. Vor diesem Hintergrund habe das Verfassungsgericht zum Dekret 108 die Auffassung vertreten, dass dieses keine rechtliche Wirkung und Funktion mehr habe – also obsolet sei- und deshalb nicht überprüft werden müsse. Dies ist insofern bemerkenswert, da Bestimmungen zwar noch formal gelten können, aber nicht angewandt werden.

Professor Filip stellte sich bereitwillig und offen allen kritischen Fragen. Er gestand ein, dass die Rechtslage nicht für alle Seiten voll befriedigend sei und nahm Bezug auf das Bibelwort, wonach es wahre Gerechtigkeit nur bei Gott gebe.

Dass es gelungen war, neben Prof. Dr. Jan Filip aus Tschechien auch Prof. Dr. Andrzej Wróbel, Richter am Obersten Gericht in Warschau, als Referenten zu gewinnen, ist den Organisatoren der Tagung als besonderes Verdienst anzurechnen. Wer allerdings hoffte, das Referat von Prof. Dr. Wrobel werde einen Weg oder auch nur eine Chance für die Rückerlangung bei Kriegsende durch Polen enteigneten deutschen Vermögens aufdecken, wurde enttäuscht. Prof. Dr. Wrobel betonte, dass er sich nur juristisch, nicht politisch zu dem Thema äußern könne. Er stellte klar, dass es in Polen nach wie vor keine Restitutionsgesetzgebung gebe mit Ausnahme bestimmter Regelungen bezüglich der Rückgabe von Vermögen der Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Im ersten Teil seines Referats behandelte er zunächst die Frage der Wiedergutmachung aus der Sicht des Völkerrechts. Völkerrechtlich sei im Fall von Rechtsverletzungen Wiedergutmachung in drei Formen möglich, primär durch Restitution, sodann durch Schadenersatz und durch Genugtuung. Gegen eine Restitution im deutsch-polnischen Verhältnis auf dieser Grundlage spreche, dass die Folgen der Restitution nicht gegen innerstaatliches Recht verstoßen dürften, was aber im Fall des früheren deutschen Vermögen häufig der Fall sein würde – (Dieser Argumentation des Referenten ist allerdings entgegenzuhalten, dass nach Völkerrecht der zur Restitution verpflichtete Staat unter Umständen sogar zur Enteignung eines Dritterwerbers schreiten muss. )

Polnische Gerichte seien, wie der Referent weiter ausführte, unmittelbar an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden, entgegenstehendes polnisches Recht sei nicht anzuwenden. Gebunden seien sie auch an den hier maßgeblichen Art. 1 des Zusatzprotokolls (ZP) zur EMRK, der in Abs. 1 Satz 2 Eigentumsentziehungen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Prof. Dr. Wrobel hob die Beschwerdesache Preußische Treuhand gegen den polnischen Staat hervor, die die Enteignung und Vertreibung deutscher Staatsbürger im heutigen Polen betraf und durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGH) negativ beschieden, nämlich als unzulässig zurückgewiesen wurde. In ständiger Rechtsprechung vertrete der EMGH fünf bis sechs Grundsätze. Zu diesen Grundsätzen gehöre, dass die Entziehung von Eigentum bzw. eines dinglichen Rechts eine einmalige, keine fortdauernde Handlung sei, wenn auch die Folgen bis heute andauerten. Ein Eingriff von 1945 kann nach dieser Rechtsprechung nicht gegen die erst später in Kraft getretene bzw. für Polen verbindlich gewordene EMRK und die Zusatzprotokolle verstoßen haben. Ein anderer Grundsatz laute, dass Fragen der Vermögensrückgabe grundsätzlich staatlichem Ermessen unterliegen. Das gelte, so Prof. Dr. Wróbel, wenn wie im Falle Polens keine Restitutionsgesetzgebung vorliege, anders wenn ein Staat, so etwa Tschechien, entsprechende Gesetze habe.

Restitutionsansprüche der Vertriebenen nach polnischem Recht sind nach Darstellung von Prof. Dr. Wrobel nicht ersichtlich. Die Entscheidung des EMGH in Sachen Treuhand ergebe, „die Rechtslage ist zu“. Daran seien polnische Gerichte gebunden. Prof. Dr. Wróbel räumte aber ein, dass sich die Lage eines Tages auch wieder ändern könne.

Optimistischer als Restitutionsansprüche der Vertriebenen betrachtet er solche der „Umgesiedelten“. Hier beständen Möglichkeiten der Rückerlangung, die sich mit Hilfe eines Anwalts u. U. durchsetzen ließen. Heute werde die Geltung des Art. 38 des polnischen Gesetzes vom 14. 7. 1961 (mit Novelle von 1969) angezweifelt. Danach wurde Spätaussiedlern rückwirkend nach dem Gesetz vom 8. 3. 1946 wie allen sonstigen Deutschen das Vermögen entzogen, weil sie durch Abgabe ihres Personalausweises und Erhalt eines Reisedokumentes ihre ihnen nach dem Krieg zuerkannte polnische Staatsangehörigkeit wieder verloren. Die Frage des Staatsangehörigkeitsverlustes ist streitig und vor dem Verwaltungsgericht zu klären. Wer damals die polnische Staatsangehörigkeit durch ein Bekenntnis zur polnischen Nation erlangt hat, soll jedenfalls nach neuerer polnischer Rechtsprechung. grundsätzlich sein Eigentum wieder zurückbekommen können.

Wie zu den beiden vorangegangenen Fachtagungen zur gleichen Thematik „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht“ (erschienen im Verlag Duncker&Humblot,Berlin) wird auch zu dieser Fachtagung ein Tagungsband Teil III erstellt und herausgegeben.


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