19.04.2024

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04.12.10 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-10 vom 04. Dezember 2010

Schundkrimi / Warum US-Diplomaten so gern in Berlin sind, wie uns Erdogan das Gruseln lehrt, und wie wir uns die Euro-Krise schönlügen
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Die Untiefen der modernen Datenverarbeitung erschüttern derzeit die ganze Welt. Da sind massenhaft Daten aufgetaucht, die ganz und gar nicht für die Zeitung bestimmt waren. Peinlich für die USA. Andernorts tauchen Daten, die sehr wohl für die Zeitung gedacht waren, für diese hier nämlich, einfach ab. Weg, aus, keiner weiß, wohin. „Wie, wo, wann geht’s weiter?“, fragt Martin K. aus Karlsruhe, der wie alle Leser der PAZ-Druckausgabe in einer verstümmelten Schlusspointe des vergangenen Wochenrückblicks hängen gelassen wurde. Peinlich für uns, zumal bis zur allerletzten Korrektur noch alles zu stimmen schien.

Hier noch einmal der Schluss in ganzer Länge: „Wer die Geschichte des Euro, Frau Merkels Spaß-Offensive bei den Soldaten und die grüne Steuerpolitik zusammennimmt, der könnte gut den Eindruck gewinnen, in einem schrägen Lustspiel gelandet zu sein. Den passenden Titel für das Radaustück hat Frau Merkel bereits gefunden: No risk, no fun.“

Wir bitten um Entschuldigung und verlassen uns darauf, dass die Sache unter uns bleibt und nicht durch ein preußisches Wikileak auf die große Glocke tropft. Wir wollen schließlich nicht wie Hillary Clinton wochenlang am Telefon hängen und der Welt erklären, warum wir unsere Technik nicht im Griff haben.

Wie alle anständigen Menschen hassen wir Indiskretion. Andererseits können wir den fiesen kleinen Heckenlauscher, der in uns allen steckt, nur schwer im Zaum halten, wenn uns so herrliche Petzereien aufgetischt werden. Wer an den Ursprung der „Wikileaks“-Enthüllungen zurückgeht, der traut seinen Augen nicht: Die Medien zeigen uns das Gesichtchen einen 23-jährigen US-Obergefreiten, das genauso gut zu einem 14-Jährigen passen könnte. Bradley Manning war im Irak stationiert, wo er sich langweilte und außerdem von den Kameraden gehänselt fühlte. So vertrieb er sich die saure Zeit am Rechner. Mit einem simplen Lausbubentrick lud er sich die vertraulichen Daten des US-Außenministeriums herunter. War ganz einfach, wie er betont.

Über Deutschland gab’s leider nicht viel Neues. Dass Angela Merkel nicht vor Kreativität platzt, ist nun nicht gerade eine sensationelle Entdeckung. Und dass Guido Westerwelle immer etwas zu aufgekratzt wirkt und mit Gedanken um sich wirft, die in Sachen Tiefe mit dem Wattenmeer konkurrieren, war auch schon rum. Man möchte meinen, die US-Dip­lomaten betteln sich ihre hochbrisanten „Einschätzungen“ in deutschen Fußgängerzonen zusammen.

Tun sie aber nicht, sie haben einen richtigen Spitzel angezapft, einen von der besonders ekligen Sorte sogar: Ein Kerl, der aus reiner Wichtigtuerei vermutlich sogar den Ort des Familienschatzes verraten würde. Laut dem ehemaligen US-Botschafter John Kornblum ist Berlin voll von solchen Kröten, voll wie keine andere ihm bekannte Hauptstadt. „Deshalb gehen US-Diplomaten so gern nach Deutschland“, verriet er bei Anne Will: „Zu den Deutschen muss man nur ein bisschen nett sein und schon verraten die einem alles, was man wissen will.“

Die Labertasche soll für die FDP am Verhandlungstisch von Schwarz-Gelb gesessen haben. Das sei natürlich vollkommen abwegig, bügelt FDP-Chef Westerwelle den Bericht ab. „Ich habe nach wie vor großes Vertrauen in die Mitarbeiter der FDP.“ Klar doch. Deshalb ist bei den Liberalen ja auch so ein Alarm zurzeit. Alles, was laufen kann, ist mit der Taschenlampe hinter dem Verräter her. Rainer Brüderle wollte allen Verdächtigen gar eine eidesstattliche Versicherung abpressen. So schmeckt Panik. Warum nicht eine peinliche Befragung im Folterkeller der Parteizentrale?

Doch wie gesagt: Außer der blaugelben Wühlmaus war für uns Deutsche nichts wirklich Delikates dabei. Die Türken dagegen haben dieser Tage eine Menge Gesprächsstoff. Wer die Berichte aus Ankara liest, der wähnt sich mitten im Stahlnetz des Dr. Mabuse. Wie heißt es in der Kurzbeschreibung des Gruselknüllers von 1961: „Der wahnsinnige, nach der Weltherrschaft strebende Dr. Mabuse hat sich als Zuchthausdirektor etabliert und hält mit Hilfe einer absolut willenlos machenden Rauschdroge eine Reihe von Verbrechern unter seiner Kontrolle.“

In Ankara herrscht laut den angeblichen US-Depeschen ein bedenklich paranoider Chef, der sich mit ebenso willen- wie ahnungslosen Hofschranzen umgeben hat, die seinen verwackelten Geist voll und ganz teilen.

Aber Weltherrschaft? Na ja, nicht ganz. Was nicht heißen soll, dass es Dr. Erdogan und seinen Adepten an Größenwahn gebricht. Ganz nah am Ohr des Chefs hängt sein Außenminister Davutoglu. Der will nach den Berichten das Osmanische Reich neu errichten: „Wir werden den osmanischen Balkan wiederherstellen“, zitieren ihn die Amis.

Und warum? Das hat den US-Diplomaten ein anderer „Vordenker“ der Erdogan-Partei AKP geflüstert: „Wir wollen uns für die Niederlage bei der Belagerung von Wien 1683 rächen.“ Das Heyne-Filmlexikon nennt „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ einen „Schundkrimi mit Gruseleinlagen und Gangstertypen, die jeder Beschreibung spotten“. Ja, trifft es doch recht genau.

Derselbe AKP-Stratege, der nochmal nach Wien will, möchte übrigens auch Andalusien „zurück“. Nebenbei: Spanien ist einer der entschiedensten Freunde eines türkischen EU-Beitritts.

Eine Haltung, welche die Spanier mit unseren amerikanischen Freunden teilen. Unsere Freundschaft zu den USA wird nicht leiden durch die Veröffentlichungen. Das hörten wir Anfang der Woche mindestens einmal zu jeder vollen Stunde aus Berlin.

Nun, die Enthüllungen vielleicht nicht, das Enthüllte hingegen streut schon ein wenig Schneegriesel auf unser inniges Band nach Übersee. Die Türkei strebe den EU-Beitritt aus „finsteren und verwirrenden“ Motiven an, glauben die USA von ihren türkischen Quellen zu wissen. Ankara wolle vor allem den Islam nach Europa tragen, schließlich sei Premier Erdogan wie der (Erdogan ansonsten herzlich abgeneigte) Präsident Gül nicht von ungefähr Mitglied einer sinisteren islamischen Bruderschaft.

Aha. Und so ein Kuckucksei wollen die Amerikaner ihren europäischen Freunden auf Biegen und Brechen ins Nest legen. Herzlichen Dank auch, das schafft Vertrauen! Also mal Klartext: Geschenke erhalten die Freundschaft, richtig. Zeitbomben waren damit aber nicht gemeint.

Davon haben wir jetzt schon genug in der EU. Seit zehn Jahren ticken sie, nun geht eine nach der anderen hoch. Mittlerweile macht sich an den Finanzmärkten sogar Nervosität darüber breit, ob Deutschland dauerhaft zahlungsfähig bleibt.

Wie weit sich die Schlinge schon zugezogen hat, können wir an den jüngsten Äußerungen prominenter europäischer Politiker ablesen. Manche nennen die Krise euphorisch einen „Quantensprung der Gemeinschaft“. Sie verkünden, dass höhere Vernunft am Werke sei, welche die Euro-Völker durch dieses Fegefeuer jagt, damit sie darin auf immer aneinander festschmelzen mögen. Anders gesagt: Der Kettenzusammenbruch von Euro-Staaten ist gar kein Desaster! Das soll so! Der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, flötet gar pathetisch, dieser Kladderadatsch werde zu einer „unvergesslichen Erfahrung“ für uns reifen.

Das war der Zweite Weltkrieg auch. Es ist offenbar ein Merkmal völliger Ausweglosigkeit, dass die Parolenmacher und Machthaber am Ende ins Luftschloss schillernder Sinngebungen aufsteigen. Dann rieselt es plötzlich von überall Schicksal und Vorsehung, in dem die Katastrophe zur „List der Vernunft“ verklärt wird. Klingt ja auch recht tröstlich, nicht wahr. Ja, aber nur auf den ersten Blick, denn: Wer garantiert, dass die „Vernunft“ immer nett zu uns ist? Was, wenn sie entschieden hat, dass die Europäer für ihren monetären Leichtsinn wirtschaftlich einen Kopf kürzer gehören? Bislang ist kein Fall überliefert, in welchem die Vernunft mit Hasardeuren, Ideologen und Träumern zimperlich umgegangen wäre.


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