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11.12.10 / Schwarz-grüner Kuppler / Folgen der S21-Schlichtung: Die SPD hat spät erkannt, dass sie die große Verliererin ist – Heikle Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Schwarz-grüner Kuppler
Folgen der S21-Schlichtung: Die SPD hat spät erkannt, dass sie die große Verliererin ist – Heikle Folgen

Nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat: Was sind die Lehren des Streits um Stuttgart 21? Die Umsetzung des Schlichterspruchs kann teuer werden, dennoch sind die Befürworter des Vorhabens politisch eindeutig die Gewinner der Schlichtung. Größter Verlierer sind nicht etwa die Grünen, sondern die SPD, die in dieser Frage nun völlig im Abseits steht.

In einem Punkt ist der Schlichterspruch von Heiner Geißler sonnenklar: Eine „nachgeschobene“ Volksabstimmung – nach vollzogenen Parlamentsbeschlüssen und Gerichtsurteilen – kann es nicht geben. Obwohl dieser Teil seiner Empfehlung am wenigsten überraschend gekommen ist, hat sich die SPD ausgerechnet an diesem Punkt festgebissen. Noch zu Anfang dieser Woche erklärte ihr Bundestags-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, angesichts der Massenproteste brauche das Projekt eine „zusätzliche Legitimation“: „Die Volksbefragung zum Bau des Bahnhofs bleibt auf dem Tisch.“

Beobachter aller Seiten in Berlin und Stuttgart rätseln, wieso Steinmeier sich ausgerechnet auf diese unwahrscheinlichste aller Varianten versteift hat, zumal der letzte „Massenprotest“ nur noch von einem Häuflein von 3000 Bahnhofsgegnern getragen wurde. Die wohl einzige Erklärung: Nachdem die SPD bereits einmal in der S21-Frage eine Kehrtwende hingelegt hat – vom „Ja“ zum „Jein mit Volksabstimmung“, wäre ein zweiter Positionswechsel schlicht unmöglich.

Dass nicht etwa die Grünen, sondern die SPD die ganz große Verliererin des Tauziehens in Stuttgart ist, wurde vielen Sozialdemokraten erst nach einigen Tagen klar. Zwar machten die Grünen in der Öffentlichkeit zunächst lange Gesichter angesichts des bedingten „Ja“ Geißlers zum unterirdischen Bahnhof in Stuttgart. Doch auf den zweiten Blick hatte das Ergebnis auch für sie seine guten Seiten. Angesichts der erheblichen Kostensteigerungen, die Geißlers Nachbesserungsforderung bedeuten, können die Grünen sogar inhaltlich mit dem Schlichterspruch durchaus argumentieren. Vor allem aber: Der Ökopartei wäre wohl – gerade nach einem Wahlerfolg im März 2011 – angesichts der eindeutigen Rechtslage gar nichts anderes übrig geblieben, als den Bahnhof weiterbauen zu lassen. Da ist es doch komfortabler, wenn nicht etwa ein erträumter grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, sondern der CDU-Veteran Geißler der Überbringer dieser, aus Sicht der grünen Anhängerschaft schlechten Nachricht ist.

So sieht man es unterdessen auch bei der SPD. „Die Aussagen von Heiner Geißler machen klar, dass er nicht nur als Schlichter unterwegs war, sondern sich auch noch als schwarz-grüner Kuppler verstanden hat“, fauchte SPD-Landeschef Nils Schmid zu Wochenbeginn. Der zweite Herausforderer von Ministerpräsident Mappus nannte Geißler denn auch einen „Paartherapeuten“ für die „schwarz-grüne Beziehung“.

Jeder in Stuttgart und Berlin weiß, dass CDU und Grüne weiterhin als Koalitionspartner füreinander in Frage kommen, seit Ende November sogar mehr als zuvor. Kretschmann hat auf einem Landesparteitag ausdrück-lich vor „Ausschließeritis“ mit Blick auf die CDU gewarnt. Mappus seinerseits hat schwarz-grünen Ideen zwar eine schroffe Absage erteilt, aber eben nicht wirklich „Nein“ gesagt: „Die Grünen sind Populisten und fallen gerade zurück in ihre Vergangenheit als Protestpartei“, erklärte Mappus. Mit so jemandem könne man Baden-Württemberg nicht regieren. So entschlossen das klingt: Mappus schließt ein Bündnis damit nicht aus – denn vielleicht „muss“ er ja mit den Grünen regieren, falls einfach das Wahlergebnis nichts anderes mehr zulässt.

Jenseits der Parteitaktik hat die Schlichtung auch das Meinungsbild zu S21 bedeutend verändert: Waren vorher noch 47 Prozent gegen Stuttgart21, so sind es jetzt nur noch 43 Prozent. Die Zahl der Befürworter dagegen stieg von 37 auf ebenfalls 43 Prozent. Nur elf Prozent der befragten Baden-Württemberger sehen die Bahnhofsgegner als Sieger der Schlichtung, und vor allem: Vor der Schlichtung fühlten sich nur 25 Prozent genügend informiert, jetzt sind es 48 Prozent.

Auch die Parteipräferenzen haben sich verändert: Anfang Ok-tober, auf dem Höhepunkt der Hysterie und unter dem Eindruck des harten Polizeieinsatzes vom 30. September stand die CDU bei 34 Prozent, die Grünen bei 32 Prozent. Aktuell kann die CDU auf 39 Prozent hoffen, während die Grünen bei etwa 27 Prozent liegen. Die SPD krebst unterdessen bei rund 18 Prozent. Der Politologe Frank Brettschneider erwartet jetzt ein weiteres Abflauen der Proteste: „Die Kritiker lassen sich für Demonstrationen nicht mehr so leicht mobilisieren.“ Die Menschen fühlten sich nun besser informiert, zumal die Bahn „auf Druck Geißlers einiges an Daten“ habe zugänglich machen müssen.

Apropos Daten: Natürlich versuchen die Beteiligten längst, den Schlichterspruch weitestmöglich in ihrem Sinne zu interpretieren. Die CDU will das Votum erklärtermaßen akzeptieren, rechnet aber dennoch die Mehrkosten klein und vermeidet in diesem heiklen Punkt letzte Festlegungen.

Damit ist ein sensibler Punkt berührt, der ans „Eingemachte“ der Demokratie geht: Das Budgetrecht der gewählten Parlamente. Faktisch war die Folge der Schlichtung in Stuttgart nämlich die, dass Heiner Geißler ohne echtes demokratisches Mandat Wünsche auflisten konnte, die dann nach Lage der Dinge erfüllt werden mussten. Das empfohlene „Umtopfen“ alter Bäume ist hier eher ein Kuriosum, aber richtig teuer wären die beiden zusätzlichen Gleise, die Geißler ebenfalls empfiehlt.

An dieser Stelle beginnt ein Grundsatzproblem: Selbst wenn Geißler inhaltlich Recht hätte, werden hier die ureigenen Rechte des Landtags, aber auch Gerichts-urteile im Grunde offen in Frage gestellt. Das Thema könnte bald zurückkehren: Umfragen ergaben 74 Prozent Zustimmung zu weiteren Schlichtungsverfahren bei Großprojekten. Nur noch 24 Prozent der Bürger wollen die Landtage über solche Projekte entscheiden lassen, 72 Prozent bevorzugen Volksabstimmungen. Die Schweiz zeigt, dass dabei sehr vernünftige Ergebnisse erzielbar sind. Andernfalls allerdings droht eine weitere „Talkshowisierung“ der Politik.             Konrad Badenheuer


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