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11.12.10 / Die verspätete Aufarbeitung / Erst 20 Jahre nach der Vereinigung bekam Brandenburg nun eine eigene Stasi-Beauftragte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Die verspätete Aufarbeitung
Erst 20 Jahre nach der Vereinigung bekam Brandenburg nun eine eigene Stasi-Beauftragte

In Brandenburg, wo seit gut einem Jahr Rot-Rot regiert, hat Ulrike Poppe als erste Stasi-Beauftragte im März dieses Jahres den Dienst angetreten. Stolz verweist sie schon jetzt auf erste kleine Erfolge.

Ulrike Poppe (57) war als Bürgerrechtlerin in der DDR inhaftiert. Seit März ist sie „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD)“ in Brandenburg. Ähnlich lang wie der offizielle Titel ist die Liste ihrer Aufgaben. „In Brandenburg gibt es offenbar mehr Nachholbedarf bezüglich der Aufarbeitung der DDR-Geschichte als in den anderen neuen Bundesländern“, so Poppe. Ganze 20 Jahre haben sich SPD wie Linkspartei gegen die Einsetzung einer „Stasi-Beauftragten“ gesperrt.

Aufgabe und Begriff „Stasi-Beauftragte“ sind in den meisten neuen Ländern inzwischen fester Bestandteil staatlichen Umgangs mit der Vergangenheit, auf Bundesebene wurden viele Erkenntnisse gewonnen – nicht so in Brandenburg. Poppe hört die Kurzform nicht gern. Wenn, dann passe „Aufarbeitungs-Beauftragte“ besser, sagt sie. Die Ausgangslage: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) setzt sich seit dem Start der rot-roten Koalition für eine „Versöhnung“ mit der Linkspartei und den für die DDR-Vergangenheit Verantwortlichen ein. In Brandenburgs Landtag sitzen gleich mehrere Abgeordnete, die auf verschiedene Weise für die Stasi gespitzelt haben. Platzeck ging die aktuelle Koalition mit der Linkspartei 2009 trotzdem ein. So verwundert es nicht, dass Poppe zum Auftakt ihrer Arbeit Forderungen stellte: sieben Mitarbeiter, Dienstsitz im Zentrum Potsdams und Unabhängigkeit.

Seit dem Zusammenbruch der DDR habe sich in der Mark wenig in Sachen Aufarbeitung von SED-Unrecht getan, kritisieren Opferverbände. „In Brandenburg ist es eine verspätete Institution“, kommentierte die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) die Berufung Poppes. Es war die CDU, die gegen Ende der Großen Koalition im Juli vergangenen Jahres das Amt durchsetzte.

„Ich habe bisher eher gute Erfahrungen mit der Fraktion gemacht“, sagt Poppe zur Linkspartei. „Nach meinem Eindruck ist seitens der Politik inzwischen die Bemühung erkennbar, bisher Versäumtes nachzuholen.“ Nachholbedarf gibt es viel, besonders an den Schulen, wo die Stasi und die SED lange kaum Thema waren. Seit Poppes Amtsantritt zeigen sich positive Entwick­lungen: „In den Rahmen-Lehrplänen sind in letzter Zeit Veränderungen aufgenommen worden, die ein intensiveres Befassen mit DDR-Geschichte ermöglichen“, so Poppe. Die einst selbst mit „Zersetzungsmaßnahmen“ des DDR-Geheimdienstes Belegte hat sich ein umfassendes Ziel gesetzt: „Es kommt darauf an, mit einer differenzierten Aufarbeitung der DDR-Geschichte das Wesen einer Diktatur zu beschreiben, einschließlich des systembedingten Unrechts.“ Als Maßstab für die Bewertung des politischen Systems müssten dabei die Menschenrechte gelten. Von einem „Unrechtsstaat“ will sie indes nicht sprechen – dies sei „unfruchtbar“. Sie sagt stattdessen: „Da sich die kommunistische Herrschaft nur durch permanente Verletzung von Grundrechten halten konnte, gehörte staatliches Unrecht zu ihrem politischen Programm.“ Seit Ende November ist Poppe ihrem Ziel der Aufarbeitung etwas näher. Eine vom Landtag berufene Kommission zur Überprüfung von Abgeordneten auf ihre Stasi-Vergangenheit kann jetzt mit der Arbeit beginnen. „Alle Unterlagen und Stellungnahmen der Betroffenen liegen vor“, stellt die neue Beauftragte zufrieden fest.

Es bleibt ein später Start. Die bisherige Überprüfung gilt in vieler Hinsicht als unbefriedigend und unvollständig. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die ruhige Rostockerin. Poppe reist viel, hält Vorträge, sucht den Kontakt zu den Bürgern und spricht von einem „breiten Interesse an DDR-Themen“. Abwehr herrsche nur „gegen oberflächliche Pauschalisierungen“. Sie begegnet diesen mit dem Hinweis, „dass es auch vielfältige Formen der Verweigerung und der Opposition gab, dass trotz des repressiven Systems viele Menschen ein durchaus integeres Leben gelebt haben“. Auf einer Vortragsreihe „Brandenburgs Weg zur Demokratie“ im Oktober sprach sie sich dafür aus, neben der offiziellen Geschichte die Empfindungen der Menschen nicht zu kurz kommen zu lassen, und nannte die Erfahrungen der Grenzstreifen-Anwohner und die Ohnmacht nach dem Mauerbau.

Derzeit beraten zwei Mitarbeiter ihrer Behörde Opfer der Diktatur „und haben sehr viel zu tun“, so die Landesbeauftragte. Schon in den ersten Wochen meldeten sich Hunderte bei ihr – „Menschen, die Unterstützung in ihrem Rehabilitierungsverfahren erwarten, die Haftentschädigung oder Ausgleichzahlungen beanspruchen, die versuchen, ihr zu DDR-Zeiten entwendetes Eigentum zurückzuerhalten oder psychosoziale Hilfen brauchen“.

Neben den Anliegen der Opfer von DDR-Unrecht ist sie auch mit alten Seilschaften konfrontiert: Stasi-Täter, die sich öffentlich zu ihren Taten bekennen, gebe es zwar, aber nicht viele. „Ich habe gehört, dass ehemalige Angehörige der Stasi unter Druck gesetzt werden, wenn die Gefahr gesehen wird, dass sie von ihrer damaligen Tätigkeit berichten“, so Poppe. Sie setzt dem gern ihr Motto entgegen: „Letztlich können Beziehungen nur Bestand haben, die auf Wahrheit aufbauen.“  Sverre Gutschmidt


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