24.04.2024

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11.12.10 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,           
liebe Familienfreunde,

Advent heißt Erwartung, bedeutet Hoffnung, beinhaltet Vorfreude – ich wünschte, unsere Ostpreußische Familie könnte einen Teil zur Erfüllung der Wünsche beitragen, die uns übermittelt werden. Aber das wird immer schwieriger, wenn es um die Aufklärung des Schicksals von Vermissten geht, vor allem, wenn alle Nachforschungen bisher vergeblich waren wie in dem Fall, mit dem wir heute beginnen wollen. Er führt wieder in die Elchniederung, wieder in den Raum Rauterskirch/Lappienen – der Name taucht ja in diesem Jahr öfters in unserer Kolumne auf – und betrifft eine dort ansässige Familie, von der einige Angehörige als vermisst gelten und von deren Verbleib es trotz intensiver Nachforschungen keine Spur gibt. Herr Peter Westphal hat uns als Kirchspielvertreter von Rauterskirch den Fall übergeben und ihn mit gut aufbereiteten Unterlagen versehen, die auf dem neuesten Stand sind. Dafür sage ich schon einmal Herrn Westpfahl vielen Dank, das erleichtert uns die Suche sehr, und ich hoffe mit ihm, dass wir etwas Licht in die Angelegenheit bringen können.

Der Suchende ist unser Landsmann Erich Sperber aus Bergen/Dumme, bei den Vermissten handelt es sich um seine Schwester Helene Suttkus geborene Sperber und ihre beiden Töchter Erika und Sieglinde. Die Eltern der Geschwister waren der Zimmermann Otto Sperber, *1901 in Klemenswalde/Kreis Elchniederung, und Emma Sperber, geborene Rogar, *4. Januar 1891 in Warskillen, Kreis Elchniederung, von Beruf Schneiderin. Sie heirateten im Februar 1922, aus der Ehe gingen die Tochter Helene *20. Mai 1922 und der Sohn Erich,*11. Juni 1926, hervor. Da beide Kinder in Kussenberg, Kreis Elchniederung geboren wurden, muss die Familie dort gewohnt haben. Erich besuchte die Schule in seinem Heimatort, später die Volksschule in Rauterskirch und begann 1943 eine Lehre bei Tischlermeister Kuckuck in Seckenburg. Helene arbeitete ab 1936 auf dem Hof des Landwirts Böttcher in Kussenberg. Dort half auch Mutter Emma bei der Ernte aus. Fotos zeigen sie und ihre Tochter Helene mit anderen Arbeitern bei der Kartoffelernte. Es ist ein fröhliches Bild und lässt noch nichts von dem schweren Schicksal erahnen, das die Abgebildeten einige Jahre später erleiden mussten. Helene verließ ihre Arbeitsstelle durch Heirat mit Bruno Suttkus und zog nach Groß Friedrichsdorf, Kreis Elchniederung. Die Ehe wurde 1941 oder 1942 geschlossen. Aus ihr gingen zwei Töchter hervor: Erika, *11. Juli 1940, und Sieglinde Suttkus, *13. August 1941.

Erich Sperber sah seine Schwester Helene zum letzten Mal Weih­­nachten 1943, als er sie in Groß Friedrichsdorf besuchte. Sie lebte mit ihren Kindern alleine und war bereits verwitwet, ihr Mann Bruno war am 5. April 1943 an der Ostfront gefallen. Es war das letzte Mal, dass Erich Sperber seine Schwester sah. Im Oktober 1944 ging Helene mit ihren Töchtern auf die Flucht und fand im Kreis Heiligenbeil Aufnahme. Von da an gibt es keine konkreten Angaben über den Verbleib von Mutter und Töchtern. Erst 1949, nach Kriegs­­ende und Vertreibung, teilte eine aus russischer Gefangenschaft entlassene Verwandte Emma Sperber mit, dass sie Helene Suttkus und ihre Töchter in einem russischen Lager in Seckenburg gesehen hatte. Näheres hat man nie erfahren, so wie die Suche nach den Vermissten bei deutschen und russischen Institutionen ohne Erfolg blieb. Immerhin konnten jetzt durch den Kirchlichen Suchdienst HOK die Namen und Geburtsdaten der Töchter geklärt werden.

Was bleibt nun für uns zu tun? Der einzige konkrete Hinweis ist der von der Verwandten und der bezieht sich auf Seckenburg. Gab es dort ein Lager und leben noch Zeitzeugen, die ebenfalls dort interniert waren? Wenn es stimmt, dass Helene Suttkus mit ihren Töchtern in dem Lager war, müssten sie nach dem Russeneinfall, den sie vermutlich im Kreis Heiligenbeil erlebten, in die Elchniederung zurückgekehrt sein. Wer war 1945 und später mit Helene Suttkus und ihren damals vier- und fünfjährigen Töchtern Erika und Sieglinde zusammen? Wo und bei wem lebten sie im Kreis Heiligenbeil? Gingen auch andere Elchniederunger in ihre Heimatorte zurück? Was wurde aus den Töchtern, falls die Mutter in Gefangenschaft verstarb? Sie könnten noch leben – aber wie und wo? Das sind einige Fragen, deren auch nur teilweise Beantwortung uns schon weiterhelfen könnte. Auf dem Foto, das Helene mit ihrem Mann Bruno Suttkus zeigt, ist ersichtlich, dass sie einen Fehler am linken Auge hatte. Vielleicht erinnern sich aufgrund dieser Fehlsichtigkeit ehemalige Bekannte an die blonde Frau? (Zuschriften an den Kirchspielvertreter Rauterskirch, Herrn Peter Westphal, Obere Wiesenbergstraße 26 in 38690 Vienenburg, Telefon 05324/798228, oder Herrn Erich Sperber, Banzauer Straße 6 in 29468 Bergen/Dumme, Telefon 05845/437.)

In jene Zeit führen auch die Erinnerungen von Herrn Werner Nagel aus Hohenwestedt zurück, die wir in Folge 41 veröffentlichten. Er schildert darin seine Erlebnisse in den Jahren 1945 bis 1947, die er teils „unter polnischer Verwaltung“, teils in russischer Gefangenschaft verbrachte, und berichtet vor allem über die medizinische Versorgung an seinen jeweiligen Aufenthaltsorten. Dazu gehört auch das Johanniter-Krankenhaus in Preußisch Holland, das im Mai 1945 unter russischer Kommandantur stand. Dort war auch der ehemalige Chefarzt der Königsberger Kinderklinik, Herr Professor Bamberger, tätig. Der Arzt wurde auf seinen jungen Patienten aufmerksam, als dieser von seiner Tätigkeit als Rendant auf Gut Kallen und damit auf die Familie von der Goltz zu sprechen kam, der auch das Gut Compehnen gehörte, auf dem Professor Bamberger oft zu Gast gewesen war. Nicht lange nach diesem Gespräch verließ der Arzt Preußisch Holland. Sein weiteres Schicksal blieb Herrn Nagel unbekannt – bis jetzt. Denn nun meldete sich auf diesen Bericht hin Frau Eve-Maria Ludwig aus Hamburg, die uns Folgendes mitteilen konnte:

„Professor Bamberger ist danach Professor in Heidelberg geworden. Wie ich von meiner verstorbenen Freundin weiß, die aus Jena kommend ab 1947 in Heidelberg studieren konnte, hat Professor Bamberger dort Studenten der Königsberger Albertina zur Immatrikulation in Heidelberg verholfen. Um diese Zeit – und besonders als Frau – die Zulassung für eine deutsche Universität zu erhalten, war schwierig.“ Das wird Herr Nagel gerne lesen. Frau Ludwig konnte ich persönlich für ihre Auskunft danken, als ich ihr auf der Adventsfeier der Königsberger in Hamburg begegnete. Dort traf ich auch Herrn Mannke aus Elmshorn, der immer noch die Lieblingskonditorei aus seiner Kindheit am Schlossteichufer in Königsberg sucht und bisher keine Zuschrift auf seine Frage erhalten hat. Wir einigten uns dann auf meine Vermutung, dass es sich wohl um den Sommergarten der Konditorei Zappa aus der Französischen Straße handeln müsste. Ja, die „Ostpreußische Familie“ ist immer dabei, und auch aus diesem Treffen wird sich mehr ergeben, denn neue Wünsche wurden an mich herangetragen. Und dann war da in Folge 45 die Sache mit Eichmedien gewesen. Mit der Brautentführung und als Margrietsch-Zugabe hatte ich dann noch die Sage von der Krügerschen angehängt, die wegen ihrer Betrügereien dem Teufel verfallen war, eine der bekanntesten Sagen aus unserer Heimat. Eine Leserin meinte, sie sei doch auch in Gedichtform erschienen – stimmt, die Schriftstellerin Erminia von Olfers-Batocki hat diesen Sagenstoff als Ballade im heimatlichen Platt verfasst. Sehr viel konkreter geht es da in Erinnerungen zu, die Frau Ilse Conrad-Kowalski aus Lübeck an Eichmedien hat. Ihre Mutter war als Mädchen, wohl um das Jahr 1910, bei der Familie von Redecker Hauslehrerin. „Sie hat leider nicht viel aus ihrer Jugend erzählt, obwohl wir Kinder oft „pranzelten“, schreibt Frau Conrad-Kowalski. „Einmal aber, ich mag wohl fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, erzählte sie in aller Breite von der ,eingemauerten Nonne‘ in Eichmedien und wie sie in Zusammenhang mit dieser Sage einem ,Scherz‘ der Hausgenossen zum Opfer gefallen war. Die Spukgestalt stand nämlich leibhaftig mit wehenden Röcken in der Bodentür, als meine Mutter in ihr Zimmer gehen wollte. Mir kleinem Gnoss hat sich die Geschichte so fest eingeprägt, dass ich heute – nach fast acht Jahrzehnten – noch feste Vorstellung von der Situation habe und von dem Schloss, wie es vor meinem inneren Auge entstand.“ Das ist wirklich eine Erinnerung, durch die unsere Heimat wieder so lebendig bleibt, und ich sage dafür Frau Conrad-Kowalski unsern herzlichsten Dank.

Erinnerungen hat auch der kürzlich im Ostpreußenblatt erschienene Bericht über ein vom Verein der Deutschen in Memel veranstaltetes Martinsfest ge­weckt, obgleich die Leserin nicht aus dem Memelland stammt, sondern aus dem südlichen Ostpreußen. Frau Hildegard Roloff aus Rostock kann immer den Freitag kaum erwarten, wenn das Ostpreußenblatt erscheint, weil es ihr ein vertrautes Heimatgefühl vermittelt, und so geschah es auch diesmal. Die 1933 in Grünfließ, Kreis Neidenburg geborene Masurin schreibt: „Schon als Kind habe ich vieles über Sankt Martin gelesen und gehört, auch haben wir Martinslieder gesungen. Vor einem Jahr fand ich in der Zeitung eine Abbildung mit Sankt Martin auf einem Schimmel, er war in einen großen Umhang gehüllt, auf der Erde saß ein Bettler. Und da ist dann noch die Erinnerung, dass der Heilige verfolgt wurde, er versteckte sich in einem Gänsestall, die Gänse hielten natürlich nicht still, dadurch wurde Martin entdeckt und verurteilt. Ich habe nun immerfort gesucht, aber ich finde diesen Zeitungsausschnitt nicht mehr, und ich möchte doch so viel über Sankt Martin wissen. Ich hatte auch schon einmal ein Buch, da stand so viel über ihn drin, aber das musste ich zurück­geben. Vielleicht besitzt nun jemand aus unserer ostpreußischen Familie ein Buch über den Heiligen Martin und kann es mir überlassen, auch leihweise.“ Ein bescheidener Wunsch, aber er erscheint mir verständlich, denn in der früheren DDR waren Heilige ja nicht gerade gefragt. Um den im Jahre 397 auf einer Missionsreise verstorbenen Bischof von Tours, der als erster Nichtmärtyrer heiliggesprochen wurde, ranken sich viele Sagen und Legenden. Das Bild, das Frau Roloff so bewegt hat, zeigt wohl die Mantelteilung, die am Stadttor von Amiens geschehen sein soll. Der 11. November hatte als Martinstag im alten Ostpreußen noch eine ganz besondere Bedeutung: Es war der Tag, an dem das Gesinde wechselte. Wer mit seiner bisherigen Arbeitsstelle unzufrieden war oder aus anderen Gründen einen neuen Arbeitsplatz suchte, „machte „Märtin“ – so nannte man den Stellenwechsel. Üblich war es auch, dass die Zugezogenen auf dem neuen Hof mit einer kross gebratenen Martinsgans bewirtet wurden. Ja, so geschah es noch vor 100 Jahren in unserer Heimat. (Hildegard Roloff, Südring 716, 18059 Rostock, Telefon 0381/200689.)

Ein erster Weihnachtswunsch erreichte mich schon früh, obgleich er von weither kam: Aus Amerika, genauer aus Dallas/Texas, ganz genau von Frau Irmgard C. Pomper Gilliland. Die in Cranz geborene Ostpreußin hatte mich am letzten Tag ihrer Deutschlandreise in Hamburg besucht, und so kam eine persönliche Verbindung zustande. Das abgebrochene Plachanderstundchen holt sie nun nach, und dabei kam sie auf eine eigenartige Angelegenheit zu sprechen. Als Irmgard nach der Flucht an der Unterelbe lebte, wurde sie 1948 Zeuge eines eigenartigen „Kuhhandels“. Es ging um 30 Kühe, die auf dem elterlichen Hof ihrer Schulfreundin Elisabeth in Basbeck standen und die in die USA gebracht werden sollten. Die „Auswanderung“ klappte mit menschlicher Begleitung – alles Ostpreußen –, denn wenige Tage später waren die Kühe und ihre Begleiter fort. Später ging dann ja auch Irmgard in die USA. Sie konnte diesen Kuhhandel aber nie vergessen, denn mitten in Dallas gibt es eine riesige Skulptur von 30 Longhorn Steers, die fast den ganzen Hügel einnimmt. Sie gilt als Sehenswürdigkeit von Dallas. Wenn Irmgard heute die Skulptur sieht, muss sie immer an die 30 Kühe von Basbeck denken. So hat wohl jeder seine Fixpunkte, die ihn in die Vergangenheit zurückbringen. Und unsere Leserinnen und Leser finden ja viele in unserer Zeitung, wie sie es uns auch wieder bestätigt haben.

Eure Ruth Geede


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