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11.12.10 / Die Rechtslage in Polen ist heute »zu« / Prof. Wróbel: Chance auf Restitution nur für Aussiedler mit polnischem Pass – Die Lage könnte sich auch wieder ändern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-10 vom 11. Dezember 2010

Die Rechtslage in Polen ist heute »zu«
Prof. Wróbel: Chance auf Restitution nur für Aussiedler mit polnischem Pass – Die Lage könnte sich auch wieder ändern

Die Preußische Allgemeine Zeitung setzt hiermit die Dokumentation über die internationale staats- und völkerrechtliche Fachtagung zum Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht Ende Oktober 2010 im Ostheim in Bad Pyrmont fort (Schlussteil II).

Rechtsanwalt Albrecht Wendenburg aus Celle, der 1990/91 richtungweisende Verfahren sogenannter Alteigentümer in der ehemaligen DDR als Prozessanwalt durchführte, wies darauf hin, dass sich 1990 noch zwei Drittel der 1945/49 konfiszierten Flächen in Staatsbesitz befanden.

Der Referent schilderte den Verlauf der Verfahren, angefangen von dem Wunsch der Sowjet-union, die Gesetzlichkeit der Enteigungsmaßnahmen nicht in Frage zu stellen bis hin zu der politischen Entscheidung, die Enteigungen in der SBZ/DDR bis 1949 nicht zu revidieren, aber im Übrigen den Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ zu beachten. Letztlich habe dies im Einigungsvertrag dazu geführt, dass das Restitutionsverbot quasi Verfassungsrang bekommen habe, nicht aber der Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“. Wendenburg berichtete, dass die Verhandlungsführer der DDR sogar versucht hätten, das umstrittene Grundvermögen auf  Bürger der untergehenden DDR zu verteilen.

Im Verfahren der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht habe der damalige Präsident des Gerichts, Roman Herzog, der selbst an dem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt hatte, Druck auf den erkennenden Senat ausgeübt, so dass eine denkbar knappe Entscheidung mit der Stimme des Präsidenten gegen die beschwerdeführenden Enteigungsopfer getroffen worden sei. Im Verfahren selbst waren von den beteiligten Staatssekretären Klaus Kinkel (FDP) und Dieter Kastrup (SPD) „außenpolitische Zwänge“ gegen die Rückgabe von Eigentum  behauptet worden, wohingegen die Sowjetunion klargestellt hatte, dass ein Rückgabeverbot keineswegs Voraussetzung für eine Zustimmung zur staatlichen Einigung gewesen sei. Strafanzeigen wegen der im Raum stehenden Aussagedelikte von Kinkel und Kastrup seien von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft nicht angenommen worden mit der Begründung, es habe sich nicht um Zeugenaussagen gehandelt. Nach Ablauf der strafrechtlichen Verfolgungsfrist sei dann aber vom Bundesverfassungsgericht im Kostenverfahren doch entschieden worden, dass es sich um eine Beweisaufnahme, mithin bei den Aussagen der Staatssekretäre doch um Zeugenaussagen gehandelt habe.

Es gebe noch mehr Ungereimtheiten. So wurde in späteren Entscheidungen des Verfassungsgerichts die Auffassung vertreten, dass die Bundesregierung die Rechtslage hinsichtlich des behaupteten Rückgabeverbotes wie vorgetragen einschätzen durfte, auch wenn diese Einschätzung sich als unzutreffend erwiesen habe. Abschließend ging Wendenburg noch auf die nun mit Einschränkungen geschaffene Möglichkeit des begünstigten Eigentumserwerbs für Alteigentümer ein. Fast alle Rückübereignungs- und Entschädigungsverfahren dauerten unvertretbar lange. Dies eröffne die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung.

Ministerialrat Dr. Hermann Josef Rodenbach, Berlin, war verhindert, doch sein Referat zum Entstehungsprozess und der praktischen Anwendung des Ausgleichsleistungs- und Entschädigungsgesetzes (EALG) und des NS-Verfolgten-Entschädigungsgesetzes (NS-VEntschG) lag schriftlich vor. Prof. Hans-Detlef Horn zitierte ausführlich daraus.

Danach sind die Entschädigungsfragen in einem Amtsermittlungsverfahren also in einem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverfahren zu klären. Dies ist Sache der Ämter zur Regelung der offenen Vermögensfragender in den neuen Bundesländern. Die Entschädigungsverfahren seien zunächst sehr langsam angelaufen. Nach gegenwärtiger Einschätzung werden die Entschädigungs- und Ausgleichsleistungen nach dem EALG zwischen 2011 und 2015 mit einer ersten Bescheidung erledigt sein. Dagegen würden die Verfahren nach dem NS-VEntschG beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen erst 2018 erledigt sein.

Rechtsanwalt Dr. Johannes Wasmuth aus München referierte ebenfalls über das kommunistische Vertreibungs- und Enteignungsunrecht in der SBZ und DDR und analysierte dabei dessen deliktischen Charakter.

Wasmuth zeigte detailliert auf, dass es bei der Entnazifizierung beziehungsweise der Bodenreform in der SBZ und DDR von vorneherein nicht um eine bloße Enteignung zwecks gerechterer Verteilung von Privateigentum ging, sondern dass das Vorgehen vor allem auch Strafcharakter hatte. Großgrundbesitzer galten ebenso wie Inhaber großer Industrieunternehmen grundsätzlich als Klassenfeinde beziehungsweise Kriegsverbrecher. Ihnen widerfuhr schwerstes Unrecht, das mit äußerster Brutalität ausgeführt wurde. Die Beschuldigten wurden in drei Typen eingeteilt: Naziverbrecher, Naziaktivist oder Kriegsinteressent. Hierfür wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Beteiligung oder Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen in Kommissionen der entsprechende Schuldvorwurf „festgestellt“. Die Verfahren wurden oft durch Denunzianten eingeleitet. Dem Schuldvorwurf folgten neben dem Eigentumsentzug Sanktionen wie Zuchthaus, Gefängnis oder die Hinrichtung.

Die Bodenreform wurde in gleicher Weise repressiv durchgeführt, hatte also Verfolgungscharakter und war primär eine gezielte Massenvertreibung. Die Behauptung, es gehe vorrangig um eine gerechtere Eigentumsverteilung, sei ein Vorwand gewesen.

Bei der juristischen Aufarbeitung dieses Unrechtes nach 1990 habe die bundesdeutsche Justiz diesen politischen Verfolgungsaspekt nicht erkannt und die Bodenreform primär als vertretbare Enteignung angesehen, dies gelte auch für das Bundesverwaltungsgericht. Wasmuth äußerte die Auffassung, dass auch dem Verfassungsgericht Anfang der 90er Jahre der primäre Strafzweck der Enteignungen zwischen 1945 und 1949 und der Verfolgungszweck der Bodenreform schlicht unbekannt gewesen sei. Insbesondere seien dem Gericht die den Enteignungen vorausgegangenen Verfahren von Kommissionen, in denen ohne Öffentlichkeit und in Abwesenheit ein Schuldvorwurf gegen die Betroffenen festgestellt wurde, nicht bekannt gewesen. In Unkenntnis dessen hätten die Gerichte nur die bloße Konfiskation gesehen statt Rehabilitierungsrecht anzuwenden.

Zur Lage in der Tschechischen Republik schilderte Professor Dr. Jan Filip aus Brünn anhand von Verfassungsgesetzen den Stand, die Schranken und die Perspektiven der tschechischen Restitutionspolitik. Mit Blick auf die wechselvolle Geschichte Böhmens zeigte er auf, wie der Lauf dieser Geschichte immer wieder auch durch Veränderungen der Eigentums- und Staatsangehörigkeitsverhältnisse gekennzeichnet war. Er griff dabei bis zur Schlacht am Weißen Berge im Jahre 1620 zurück, als der protestantische böhmische Adel enteignet wurde, und vertrat die Ansicht, dass von den letzten 400 Jahren der böhmischen Länder nur 43 Jahre als Zeit in Freiheit anzusehen sei. (Gemeint waren offenbar die Jahre 1918 bis 1938, 1945 bis 1948 sowie 1990 bis heute.)

Um darzulegen, welche Probleme sich im Jahre 1989 der Aufarbeitung der Eigentums- und Staatsangehörigkeitsverhältnisse stellten, verwies er auf die komplexen Zusammenhänge mit den Stichjahren 1920, 1938, 1939, 1945, 1948 und 1968. Mit Blick auf die Benesch-Dekrete erläuterte er die verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verfassungsgericht jede Bestimmung auf ihre Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit zu prüfen hat, solange die Vorschrift noch in Kraft und noch nicht aufgehoben ist. Vor diesem Hintergrund habe das Verfassungsgericht zum Dekret 108 die Auffassung vertreten, dass dieses keine rechtliche Wirkung und Funktion mehr habe – also obsolet sei – und deshalb nicht überprüft werden müsse. Dies sei insofern bemerkenswert, da Bestimmungen zwar noch formal gelten können, aber nicht angewandt werden. Professor Filip stellte sich bereitwillig allen kritischen Fragen auch zum letztgenannten Problemkreis. Er gestand ein, dass die Rechtslage nicht für alle Seiten voll befriedigend sei und nahm Bezug auf das Bibelwort, wonach es wahre Gerechtigkeit nur bei Gott gebe.

Dass es gelungen war, neben Prof. Filip aus der Tschechischen Republik auch Prof. Dr. Andrzej Wróbel, Richter am Obersten Gericht in Warschau, als Referenten zu gewinnen, ist gewiss ein besonderer Erfolg der Organisatoren der Tagung. Allerdings zeigte das Referat von Prof. Wróbel erwartungsgemäß keine Perspektive für eine – und sei es auch nur teilweise – Wiedergutmachung für durch Polen enteignetes deutsches Vermögen auf. Der Referent betonte, dass er sich nur juristisch, nicht politisch zu diesem Thema äußern könne. Er stellte klar, dass es in Polen nach wie vor keine Restitutionsgesetzgebung gebe mit Ausnahme bestimmter Regelungen über die Rückgabe von Vermögen der Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Aus der Sicht des Völkerrechts, so Wróbel, sei Wiedergutmachung von Enteignungen primär durch Restitution, aber auch durch Schadenersatz und Genugtuung möglich. Gegen eine Restitution im deutsch-polnischen Verhältnis spreche, dass die Folgen der Restitution nicht gegen innerstaatliches Recht verstoßen dürften.

Polnische Gerichte seien unmittelbar an die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gebunden, entgegenstehendes polnisches Recht sei nicht anzuwenden. In ständiger Rechtsprechung vertrete der EMGH in Fragen von Eigentumsentzug, Restitution und Entschädigung fünf bis sechs Grundsätze. Zu diesen Grundsätzen gehöre, dass die Entziehung von Eigentum bzw. eines dinglichen Rechts eine einmalige, keine fortdauernde Handlung sei, wenn auch die Folgen bis heute andauerten. Ein Eingriff von 1945 könne nach dieser Rechtsprechung nicht gegen die erst später in Kraft getretene bzw. für Polen verbindlich gewordene EMRK und die Zusatzprotokolle verstoßen haben. Ein anderer Grundsatz laute, dass Fragen der Vermögensrückgabe dem staatlichen Ermessen unterlägen.

Restitutionsansprüche der Vertriebenen nach polnischem Recht seien nach Darstellung des Referenten nicht ersichtlich, „die Rechtslage ist zu“. Daran seien polnische Gerichte gebunden. Wróbel räumte aber ein, dass sich die Lage eines Tages auch wieder ändern könne. Die für Warschau heikle jüdische Restitutionsfrage erwähnte Wróbel nicht.

Optimistischer als Restitutionsansprüche der Vertriebenen sieht Wróbel solche der Aussiedler. Vor allem werde heute die Geltung von Artikel 38 des polnischen Gesetzes vom 14. 7. 1961 (mit Novelle von 1969) angezweifelt. Danach wurde Aussiedlern rückwirkend nach dem Gesetz vom 8. März 1946 wie allen anderen Deutschen das Vermögen entzogen, weil sie durch Abgabe ihres Personalausweises und Erhalt eines Reisedokumentes ihre ihnen nach dem Krieg zuerkannte polnische Staatsangehörigkeit wieder verloren hätten. Wer die polnische Staatsangehörigkeit durch ein Bekenntnis zur polnischen Nation erlangt hatte, solle jedenfalls nach neuerer polnischer Rechtsprechung grundsätzlich sein Eigentum wieder zurückbekommen.

Wie zu den beiden vorangegangenen Fachtagungen zur Thematik „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht“ (erschienen bei Duncker&Humblot, Berlin) soll auch zu diesem Symposium ein Tagungsband erscheinen.


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