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25.12.10 / "Die Aufklärung hat erst begonnen" / Neuer Bericht zum sexuellen Kindesmissbrauch an der Odenwaldschule - 122 Opfer und 18 Täter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

"Die Aufklärung hat erst begonnen"
Neuer Bericht zum sexuellen Kindesmissbrauch an der Odenwaldschule - 122 Opfer und 18 Täter

Das schlimme Thema sexueller Kindesmissbrauch, das seit Januar fast jede Woche Schlagzeilen gemacht hat, holt die Deutschen auch zu Weihnachten wieder ein. Die Schlüsselfrage lautet: Waren an linken "Vorzeigeinstituten" wie der Odenwaldschule wirklich nur Einzeltäter am Werk, oder gab es Querverbindungen zur Politik und in die Justiz

Der "vorläufige Abschlussbericht" über den sexuellen Kindesmissbrauch an der Odenwaldschule ("OSO") bei Heppenheim ist eine bittere Lektüre. Zwischen 1965 und 1998 sind an dieser einst gefeierten Institution der linken "Reformpädagogik" insgesamt 115 Jungen und 17 Mädchen Opfer von sexuellem Missbrauch geworden. Darunter seien, so die ehemalige Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Brigitte Tilmann und die Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller bei der Präsentation des Berichts am 19. Dezember auch Vergewaltigungsopfer.

Der Bericht spricht von insgesamt 18 Tätern: 13 Lehrer und Mitarbeiter, eine Lehrerin und vier Mitschüler - und er ist unvollständig: Es werde "weitere Fälle geben", hieß es bei der Präsentation, denn: Immer noch meldeten sich Einzelne, die "schwerstgeschädigt" seien. Vom Bild der gefeierten Institution ist nichts mehr übrig. An der Odenwaldschule habe es ein "Pädophilennest" gegeben. Haupttäter sei kein anderer als der frühere Schulleiter Gerold Becker gewesen, der von 1969 bis 1985 an dem Internat lehrte und es von 1972 bis 1985 leitete. Ihm seien 86 männliche Opfer zuzurechnen, vorwiegend im Alter von elf bis 14 Jahren. Das jüngste Opfer sei sieben Jahre alt gewesen.

Als weitere Täter nennt der Bericht die Lehrer Wolfgang Held (1966-1989), Jürgen Kahle (1968-1992) und Gerhard Trapp (1966/1968). Tilmann und Burgsmüller beklagten das Versagen der vier zwischen 1962 und 2007 amtierenden Schulleiter. Alle vier hätten von den sexuellen Übergriffen gewusst.

Nach Darstellung der neuen Odenwald-Schulleiterin Margarita Kaufmann haben fast alle Missbrauchsopfer über Drogen- und Alkoholmissbrauch berichtet. Die beiden Juristinnen führten dies nun auch auf den sexuellen Missbrauch zurück. "Die Aufarbeitung der Übergriffe hat erst begonnen", räumte Kaufmann unterdessen ein. "Wir sind am Anfang der Aufklärung."

Erst vorige Woche war ein weiterer Missbrauchsfall bekanntgeworden. Der "Stern" berichtete unter Berufung auf einen ehemaligen Schüler der Odenwaldschule, dass der bekannte Reformpädagoge Martin Bonhoeffer als Begleiter einer Klassenfahrt ihn 1976 sexuell belästigt habe. Der 1989 gestorbene Neffe des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer war ein Freund von Gerold Becker.

Die über 30-jährige Dauer des offenbar systematisch angelegten Missbrauchs an einer Institution, an der sehr prominente Eltern ihre Kinder lernen ließen (darunter Richard v. Weizsäcker seinen Sohn Andreas) und die im Fokus einer interessierten Fachöffentlichkeit stand, wirft gravierende Fragen auf.

"Reicht es aus, dass vier Schulleiter nichts sehen wollten, um Straftaten dieser Größenordnung über eine so lange Zeit den Blicken von Öffentlichkeit und Strafverfolgungsbehörden zu entziehen?", fragt Andreas Späth, Autor der Preußischen Allgemeinen Zeitung und Mitherausgeber des neuen Buches "Die missbrauchte Republik - Aufklärung über die Aufklärer". Späth hat bereits vor mehreren Wochen bei der Vorlage dieser Dokumentation, die Vermutung geäußert, dass die bordell-ähnlichen Zustände an der Odenwaldschule über eine so lange Dauer nicht ohne Mitwisser auch außerhalb des Internats geheim geblieben sein können.

Von den Berichten der vergangenen Tage fühlt Späth sich bestätigt - etwa von dem nun bekannt gewordenen Brief des heute 85-jährigen Hartmut von Hentig, dem früheren Lebensgefährten Gerold Beckers. Der hatte noch im Mai dieses Jahres auf dem Höhepunkt der Enthüllungen über sexuellen Kindesmissbrauch einem sehr begrenzten Adressatenkreis eröffnet, seine "nicht leicht einzuhaltende Strategie" sei: Die Sache "aussitzen". In vier Jahren könne man dann "in Ruhe auf all dies zurück­blicken und ,lernen‘ - oder wir haben einen neuen Fundamentalismus, der auch die letzten Regungen der Aufklärung beseitigt". In einem weiteren, nun ebenfalls durchgesickerten Brief verteidigte Hentig noch im April dieses Jahres sogar den Hauptverantwortlichen für die Zustände an der "Oso", Gerold Becker. Dass Becker bis zuletzt nicht über seine Taten offen geredet habe, sei - wenn überhaupt - "ein taktischer" Fehler gewesen, schrieb Hentig. Hätte er früher von dessen Taten gewusst, so hätte er ihn "mit aller Kraft meiner Freundschaft dazu gebracht", die Opfer um Entschuldigung zu bitten und die Schule zu verlassen. So hätte Becker "leidvollen Spannungen, möglichen Erpressungen und dem Verlust seines Ansehens in der Pädagogik" entgehen können.

Späth findet diese Einlassungen zynisch. "Wie kommt von Hentig zu der Einschätzung, die systematische Aufarbeitung der Missstände an der Odenwaldschule, mit vermutlich über 3000 einzelnen Straftaten, würde einem ,neuen Fundamentalismus‘ den Weg bereiten und ,die letzten Regungen der Aufklärung beseitigen‘?" Unerträglich sei, dass von Hentig erneut davon gesprochen habe, Schüler könnten Lehrer verführt haben.

"Es ist zu befürchten, dass die Sorge von Frau Kaufmann sich als wahr erweist und wir wirklich erst am Beginn der Aufklärung stehen", erklärte Späth gegenüber der PAZ. "Gerade weil die Taten an der Odenwaldschule verjährt sind und die Justiz nicht mehr tätig werden kann, ist es umso wichtiger, dass mutige Journalisten und frühere Insider für vollständige Aufklärung sorgen." Dass das nicht längst geschehen ist, kann er sich nur durch politische Protektion erklären. "Der bundesdeutsche Pädophilie-Skandal der 60er bis 90er Jahre berührt in seinen Ausläufern Regierungen und Justiz, Kirchen und Universitäten." Dass sein zusammen mit der Hamburger Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (SWG) herausgebrachtes Buch inzwischen zu einem "Renner" geworden ist, erfüllt ihn nicht mit Stolz: "Wir hatten kein Insiderwissen, sondern nur mit viel Geduld und Fleiß im Internet recherchiert und alte Veröffentlichungen gesichtet." Das Ergebnis sei haarsträubend. "Die 68er Bewegung hat - von Ausnahmen wie Alice Schwarzer abgesehen - nie einem klaren Trennstrich zur Pädophilenszene gezogen." Das, so Späth, diskreditiere auch die 68er Bewegung in erheblichem Umfang. Konrad Badenheuer


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