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25.12.10 / "Fürchtet euch nicht!" / Engel: Den Mittlern zwischen Himmel und Erde ist in Freising eine einzigartige Schau gewidmet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

"Fürchtet euch nicht!"
Engel: Den Mittlern zwischen Himmel und Erde ist in Freising eine einzigartige Schau gewidmet

Mit der Posaune an den Lippen bereitet ein vom Scheitel bis zur Sohle goldener Engel den Besuchern einen triumphalen Empfang im Diözesanmuseum von Freising. Er kündigt eine einzigartige Schau von über 550 mehrheitlich geflügelten himmlischen Wesen an, die in den vergangenen 4000 Jahren geschaffen wurden.

Die frühesten Vertreter stellen sich in Form von Statuetten und anderen Zeugnissen der Kleinkunst als die heidnischen Ahnen der christlichen Engel vor. Die gefährlichen Mischwesen aus Mesopotamien und Ägypten sowie die der griechisch-römischen Welt entstammende Siegesgöttin Victoria und die wie kleine Kinder aussehenden Eroten haben eines gemeinsam: Sie tragen Flügel.

Auf die mussten die frühchristlichen Boten Gottes noch verzichten. Erst seit rund 1600 Jahren werden sie geflügelt dargestellt. Eines der ältesten ausgestellten Beispiele ist ein bronzener Fingerring (um 500), den ein mit Kreuzstab ausgestatteter Engel ziert. Sylvia Hahn, Direktorin des Diöze-sanmuseums, erklärt dazu: "Flügel sind Zeichen der Zugehörigkeit zum überirdischen Bereich, Ausweis göttlicher Herkunft und symbolisieren die Fähigkeit, große Entfernungen in kürzester Zeit zurückzulegen und so die Aufträge Gottes erfüllen zu können."

Den ersten Auftrag am Anfang der Zeiten hat Johann Carl Loth auf seinem Gemälde "Schutzengel und Erzengel Michael" (1691) so gemütvoll wie bombastisch dargestellt. Unter den beifälligen Blicken der Heiligen Dreifaltigkeit lässt der das Flammenschwert schwingende Michael den abtrünnigen Engel Luzifer und dessen Anhänger in die Hölle fahren. Derweil hat ein Schutzengel einen betenden Knaben unter seine Fittiche genommen. Dessen Urtyp ist der Erzengel Rafael, den Gott als Reisegefährten von Tobias aussandte. Das wundervolle altniederländische Gemälde "Tobias und der Engel" (um 1460) zeigt sie Hand in Hand. Der dritte im Bunde der namentlich bekannten Erzengel ist Gabriel. Ein goldenes Medaillon (6. Jh.) zeigt ihn bei der Erfüllung seiner vornehmsten Aufgabe: der Verkündigung an Maria.

Deren Folgen illustriert die Schau mit prachtvollen Kunstwerken. Das von einem anonymen altdeutschen Meister geschaffene Gemälde "Anbetung des Jesuskindes" (um 1460) zeigt im Hintergrund zwei Hirten, die sich vom göttlich golden leuchtenden Himmel abheben. Das lässt an die Bibelworte denken: "Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Im Vordergrund erstrahlt das Jesuskind in der Krippe, von Maria angebetet, von Josef andächtig betrachtet, von Ochs und Esel mit ihrem Atem erwärmt. Die über der Gruppe schwebenden fünf Engelchen haben den himmlischen Lobpreis angestimmt: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."

Ein mittelrheinischer Zeitgenosse dieses Malers hat mit seinem "Weltgerichtsaltärchen" (um 1475) der letzten großen Aufgabe der Engelsscharen packende Bildgestalt verliehen. Die Mitteltafel zeigt Christus als Vorsitzenden des Jüngsten Gerichts. Ihn umgibt eine goldene Lichtaureole, gerahmt von den beiden ranghöchsten Engelsgruppen: den ganz in Rot gemalten Seraphim und den blaufarbigen Cherubim. Als Beisitzer und Fürbitter der Menschheit fungieren Maria, Johannes und die zwölf Apostel, während zwei Engel mit mächtigen Posaunenstößen die Menschen aus den Gräbern auferstehen lassen. In der oberen Zone der Seitentafeln des Altärchens schweben Engel, die dem Weltenrichter Bücher und gesiegelte Urkunden entgegenhalten, in denen die guten und bösen Taten der Menschen verzeichnet sind. Die von Engeln geleiteten Seligen treten den Weg ins Paradies an. Teuflische Ungeheuer sorgen hingegen dafür, dass die Verdammten in die Hölle fahren.

Beim weiteren Rundgang wird einem die erstaunliche Vielgestaltigkeit der Engelsdarstellungen bewusst. Dabei haben die Kirchenväter doch immer wieder betont, dass die Boten Gottes reine Geistwesen, reines Licht, ohne Materie und Geschlecht seien. Etwa 1000 Jahre lang wurden sie als Jünglinge wiedergegeben. Seit dem 13. Jahrhundert jedoch treten die Engel auch in androgyner, weiblicher und kindlicher Gestalt auf.

Sylvia Hahn begründet das in ihrem Katalogaufsatz so: "Gerade weil es sich um unsichtbare Geistwesen handelt und sich die Kirche mit offiziellen Lehraussagen über Engel stets zurückgehalten hat, konnten Künstler ihre vielseitige Bildwelt entfalten." Das veranschaulicht die Ausstellung mit hochrangigen Kunstwerken, denen Beispiele der Alltagskultur zur Seite gestellt sind. Das Heer der sentimentalen Friedhofsengel vertritt die Kupferstatue (um 1900) einer geflügelten jungen Dame im langen Gewand, einen Palmzweig als Symbol der Auferstehung und des ewigen Lebens in der Hand. So eindrucksvoll wie befremdlich wirkt hingegen Ernst Barlachs horizontal ausgerichtete Skulptur des "Schwebenden des Güstrower Ehrenmahls" (Vormodell, 1927).  Geschaffen zum Andenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, weist die flügellose Gestalt mit den geschlossenen Augen die ernsten Gesichtszüge der Künstlerin Käthe Kollwitz auf, deren Sohn Peter als Soldat ums Leben kam.

Niedlich geht es dagegen in der Abteilung der Kinderengel zu. Ausnehmend fidel und bewegungsfreudig turnen die von Christian Jorhan geschnitzten vier Putti (1763) herum. Die "Zwei Englein, den Engelssturz spielend" (1743) stammen vom Bildschnitzer Franz Xaver Schmädl. Dass zuweilen auch Gottvater als Engel erschienen ist, zeigt uns eines der eindrucksvollsten Gemälde der Schau: "Abraham bewirtet die Engel" (1680-1685). Gemalt hat es der Rembrandt-Schüler Arent de Gelder. Demütig verneigt sich Abraham vor seinen am Tisch sitzenden Gästen: zwei geflügelten Jünglingen, welche die würdevolle Erscheinung eines alten Herrn flankieren, der in seinen weißen Gewändern wie aus sich selbst heraus zu leuchten scheint.           

            Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung ist bis 1. Mai 2011 im Diözesanmuseum Freising, Domberg 21, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Der Katalog aus dem Deutschen Kunstverlag kostet 39 Euro.


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