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25.12.10 / Die Vespa-Mentalität / Krimiautor hält seinen Landsleuten den Spiegel vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-10 vom 25. Dezember 2010

Die Vespa-Mentalität
Krimiautor hält seinen Landsleuten den Spiegel vor

In diesem Sommer erhitzte die Anwendung "What country" für das Mobiltelefon iPhone die Gemüter in Italien. Sie verspricht den Hörern "Reisen in der Welt, ohne die eigene Wohnung oder das Büro verlassen zu müssen". Während Deutschland mit den Stichworten "Bier, Disziplin und Autobahnen" wegkommt, wird Italien als das Land der "Pizza, Mafia, Pasta und Motorroller" veralbert. Tourismusministerin Michela Vittoria Brambilla drohte mit einer Klage gegen die Produzenten, die ein "beleidigendes Bild von Italien im Ausland" zeichnen würden.

Der Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur Andrea Camilleri versucht in seiner Glossensammlung "Was ist ein Italiener?", einen differenzierteren Blick auf seine Landsleute zu werfen, ohne auf die üblichen Klischees zurück-zugreifen. Hierzulande ist der 85-Jährige vor allem bekannt als der Erfinder des sizilianischen Kommissars Montalbano, der Literatur und gutes Essen liebt. Der regt sich in den Kriminalromanen ebenso über politische und moralische Missstände in seinem Vaterland auf wie sein Schöpfer. Camilleri polemisiert in seinem Buch nicht nur gegen die Zielscheibe öffentlicher Kritik Nummer eins Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sondern auch gegen die italienische Bevölkerung selbst.

Mit Sorge betrachtet Camilleri die Zunahme faschistischer Verhaltensweisen "vom Römischen Gruß in den Fußballstadien bis zu gewalttätigen Angriffen auf jugendliche Linke, auf Obdachlose und auf Ausländer". Er klagt über das geringe Bildungsniveau und mangelnde Geschichtsbewusstsein in seinem Land: "Die Italiener haben keinen Sinn für Geschichte, höchstens für Histörchen. Wenn Geschichte wirklich die Lehrmeisterin des Lebens sein sollte, ist sie es in einer Schule, die die Italiener nie besucht haben."

Ferner diagnostiziert der Autor ein tiefes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Justiz und Staat, ohne das ein Phänomen wie Berlusconi nicht zu erklären wäre. Sein Aufstieg fußt maßgeblich auf dem Zusammenbruch der christdemokratischen DC zu Beginn der 1990er Jahre infolge diverser Korruptionsskandale. Vielen imponiere Berlusconi als erfolgreicher Unternehmer und als Mann der einfachen Worte und der Tat. Häufig drückten sie beide Augen zu bei den Affären und kriminellen Machenschaften des Cavaliere. Auch die größtenteils von Berlusconi kontrollierten Medien seien ihm wohlgesonnen. Insgeheim würden die Italiener ihren Premier für sein Umgehen der Gesetze und der Strafverfolgung bewundern. Wie die Vespafahrer würden sie gern durch den Verkehr wuseln, rote Ampeln und Einbahnstraßen missachten und darauf vertrauen, dass die Polizisten sowieso wegschauen.

Camilleri ist ein humorvoller Beobachter seiner Zeit und seines Landes. Seine Texte sind ironisch, bitter und witzig. Die Vorwürfe an "die Italiener" wirken jedoch entgegen der Absicht des Autors verallgemeinernd. Hilfe zum besseren Verständnis für deutsche Leser bietet der Kommentar des Historikers und Italienkenners Peter Kammerer.     Sophia E. Gerber

Andrea Camilleri: "Was ist ein Italiener?", Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010, 75 Seiten, 9,80 Euro


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