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08.01.11 / Mit Bomben die Welt retten / Anarchisten bekennen sich zu Anschlägen in Rom – Verbindungen nach Griechenland und Spanien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Mit Bomben die Welt retten
Anarchisten bekennen sich zu Anschlägen in Rom – Verbindungen nach Griechenland und Spanien

Radikale Ökoaktivisten versuchen von Italien aus ihren Kampf zu internationalisieren. Schon jetzt haben Sie in zahlreichen Ländern Mitkämpfer.

Statt in besinnliche Festtagesstimmung versetzten mehrere Bombenanschläge kurz vor und nach Weihnachten die Italiener in Alarmbereitschaft. Einen Tag vor Heiligabend detonierten Sprengsätze in der italienischen Hauptstadt in der Schweizer und der chilenischen Botschaft, wobei zwei Menschen schwer verletzt wurden. Kurz zuvor hatte in einer römischen U-Bahn eine defekte Bombe für Aufregung gesorgt. Unmittelbar nach den Feiertagen setzte sich die Attentatsserie fort mit einem Paketbombenfund in der griechischen Botschaft in Rom und der Explosion zweier Sprengkörper vor der Parteizentrale der rechtspopulistischen Lega Nord in der Nähe von Mailand. Auch die Vertretungen Venezuelas, Monacos, Dänemarks, Albaniens sowie die finnische und die amerikanische Vertretung für den Vatikan meldeten verdächtige Sendungen, die sich jedoch als ungefährlich herausstellten. Italiens Außenminister Franco Frattini sprach von einem „beklagenswerten Akt der Gewalt“ sowie von einer „schweren Bedrohung“ und versicherte dem Botschaftspersonal die Unterstützung seines Landes. Als Drahtzieher gelten Anhänger der anarchistischen Organisation FAI, die Bekennerschreiben an verschiedenen Tatorten hinterließen.

Zunächst vermuteten diverse Medien unter dem Kürzel fälschlicherweise das „Italienische Anarchistische Bündnis“. Tatsächlich handelt es sich um das „Informelle Anarchistische Bündnis“. In Italien haben anarchistische Bewegungen eine lange Tradition. Die FAI ist seit Jahren bekannt und besonders im Norden aktiv. Erstmals trat sie 2003 hervor – seinerzeit noch mit dem Zusatz „Handwerkergenossenschaft Feuerwerkskörper und Ähnliches“ – mit explosiver Post an den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi. In beigefügten Erklärungen prangerten die Absender den Kapitalismus sowie den bürokratischen Machtapparat an und verlangten mehr internationale Solidarität. Auch Sprengstoffsendungen unmittelbar vor dem G-8-Gipfel 2001 in Genua, Attentate auf mehrere Polizeistationen, Kasernen, Ministerien, Abschiebelager und eine Mailänder Privatuniversität sollen auf das Konto der FAI gehen. Aus Mangel an Beweisen mussten Polizei und Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit die Verdächtigen immer wieder auf freien Fuß setzen.

Behörden zufolge setzt sich die Gruppe lose aus „revolutionären Zellen“ zusammen, besitzt weder strenge Hierarchien noch einen Anführer und hat keine bestimmte Ideologie. Gerade das macht sie für Alfredo Mantovano, Staatssekretär im römischen Innenministerium und Experte für organisierte Kriminalität, so gefährlich. Gegenüber der Tageszeitung „Il Giornale“ erklärte er: „Sie sind nicht die Roten Brigaden und nicht al-Kaida, sie sind irgendetwas dazwischen, aber wir müssen sie ernstnehmen.“ Seit 2008 beobachtet der Staatsschutz die rund 300 Mitglieder zählende Vereinigung.

Die chilenische und die schweizerische Botschaft seien nach Mantovano keine zufälligen Ziele der Anarchisten gewesen. In Chile war 2009 der Aktivist Maricio Morales bei einem missglückten Sprengstoffattentat ums Leben gekommen. Vor der Schweizer Botschaft war bereits im Oktober ein Sprengsatz gefunden worden. Ein beiliegender Brief enthielt die Forderung, die Kameraden „Costa, Silvia und Billy“ freizulassen, die die Polizei im Frühjahr bei Zürich wegen des Verdachts von Attentatsvorbereitungen auf ein Forschungsinstitut des Computerkonzerns IBM festgenommen hatte. Die mutmaßlichen Täter gehören der italienischen Szene des Öko-Anarchismus an, in der sich militante Gegner von Tierversuchen, Atomkraft sowie von Gen- und Nanotechnologie sammeln. Zwei der Gefangenen protestierten im Dezember mit einem Hungerstreik und ließen verlauten: „Wir handeln, weil unsere Erde stirbt.“

Der Schweizer Botschafter in Rom, Bernardino Regazzoni, spekulierte ferner in einem Radio-Interview über einen Zusammenhang mit der Inhaftierung Marco Camenischs. Der linksradikale Schweizer Terrorist mit Verbindungen nach Italien verbüßt eine langjährige Freiheitsstrafe wegen mehrerer Anschläge auf Einrichtungen der Stromindustrie Ende der 1970er Jahre und der Ermordung eines Grenzbeamten.

„Von den Alpen zu den Anden über Rom“, hieß es in der Botschaft zum chilenischen Paket. Nach Erkenntnissen der Polizei unterhält die FAI enge Kontakte zu gewalttätigen Gruppen aus Griechenland und Spanien. Sie gehen von einer neuen Generation radikaler italienischer Anarchisten aus, die ihren Kampf zu internationalisieren versuchen. Die in Rom entdeckten Sprengkörper wiesen Ähnlichkeiten mit den Briefbomben auf, die Anhänger der griechischen linksextremistischen Untergrundorganisation „Verschwörung der Feuerzellen“ an mehrere Botschaften in Athen und europäische Regierungschefs wie Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi geschickt hatten. Die Verbindung zu Griechenland geht auch aus den jüngsten Bekennerschreiben der FAI hervor, die mit „Revolutionäre Zelle Lambros Fountas“ unterzeichnet sind. Fountas starb im März bei einer Schießerei mit der Polizei im Alter von 35 Jahren und gilt als Vorbild für den anarchistischen Widerstand.

Ebenso bekannten sich Anarchisten zu dem Angriff auf das Lega-Hauptquartier, unweit der Wohnung des Parteichefs Umberto Bossi, und sprayten auf eine Mauer des Gebäudes „Antifa, zweiter Akt“. Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord nannte die Aktion einen „feigen Akt, von dem wir uns ganz bestimmt nicht einschüchtern lassen werden“. Der Staatsschutz warnt noch bis zum Prozessauftakt gegen zwei Autonome in Griechenland Mitte Januar vor einer akuten Gefahr. Doch auch danach dürften die Spannungen infolge der Wirtschaftskrise für mehr Gewaltbereitschaft bei militanten Gruppen in Europa sorgen. Sophia E. Gerber

Foto: Schweizer Botschaft: Versuchter Anschlag wegen Festnahme eines linksradikalen Terroristen?


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