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08.01.11 / Frankreichs »guter König« kehrt zurück / Gerichtsmediziner und Historiker haben das verschollene Haupt Heinrichs IV. identifiziert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Frankreichs »guter König« kehrt zurück
Gerichtsmediziner und Historiker haben das verschollene Haupt Heinrichs IV. identifiziert

Frankreich hat sein „Wintermärchen“: Der seit 217 Jahren verschollene Kopf des beliebten Königs Heinrich IV. ist wieder da und wurde für echt befunden.

Liberté, Égalité, Fraternité – noch heute sind unsere westlichen Nachbarn stolz auf die Schlagworte „ihrer“ Französischen Revolution. Und gern blenden sie aus, dass die Helden dieser Revolution es alsbald mit der Freiheit und der Brüderlichkeit nicht mehr so genau nahmen, stattdessen die Guillotine zum Symbol der Égalité machten. Wer ihnen, warum auch immer, nicht ins revolutionäre Konzept passte, wurde per Fallbeil um ein Einheits-Kopfmaß kürzer gemacht.

Bald schon war das revolutionäre Bewusstsein so entartet, dass die Akteure sich nicht mehr damit begnügten, die überlebenden Repräsentanten des „Ancien Régime“ zu enthaupten. Sie schreck­ten nicht einmal vor gekrönten Häuptern zurück, die schon seit Generationen verblichen waren.

So stürmten aufgehetzte Revoluzzer am 10. Oktober 1793 die altehrwürdige Basilika von Saint-Denis im Norden der Hauptstadt Paris, wo traditionell die französischen Könige beigesetzt wurden, schändeten die Gräber, verwüsteten das Gotteshaus.

Vor allem Heinrich IV. erregte die revolutionären Gemüter, wohl weil er dem immer noch in traditionellem Denken verhafteten Volk als der „gute König“ galt. Der Leichnam des 183 Jahre zuvor von einem Religionsfanatiker ermordeten Monarchen wurde auf makaberste Weise geköpft und zerstückelt. Heinrichs Haupt galt seither als verschollen, andere Körperteile fanden sich Jahrzehnte später in einem Massengrab in Saint-Denis.

Der Historiker Je­an-Pierre Babelon, der schon 1954 seine Diplomarbeit an der „École nationale des chartres“, einem Institut der Pariser Sorbonne, über Leben und Wirken Heinrichs IV. geschrieben hatte, gab die Suche nach des guten Königs Kopf bis heute nicht auf. Und er fand Spuren. Zunächst wiesen sie nach Deutschland: Der Kunst- und Antikensammler Franz Graf zu Erbach soll das rare Stück von einem Totengräber erworben und seiner Sammlung in Schloss Erbach im Odenwald einverleibt haben. 126 Jahre später taucht der mutmaßliche Königskopf wieder in Paris auf: Die ansonsten eher unbedeutende Malerin Emma Camille Nallet-Possin reicht ihn beim Auktionshaus Hôtel Drouot ein. Für drei Franc ersteigert ihn der Fotograf M. Bourdais aus dem bretonischen Dinard. 1947 wird der Kopf dem Louvre angeboten, aber für unecht befunden. Bourdais’ Erben tingeln mit dem wenig delikaten Corpus über Provinz-Jahrmärkte, ohne größeres Aufsehen zu erregen. 1955 nimmt ein Unbekannter, heute 85-Jähriger, den Kopf in Verwahrung.

Nun aber nahte der 400. Todestag des guten Königs: Am 14. Mai 1610 hatte der katholische Fanatiker François Ravaillac ihn erstochen – blutige Rache für das Edikt von Nantes, des Königs größtes Friedenswerk.

So war es wohl kein Zufall, dass sich eine hochkarätige Expertengruppe intensiv für den Verbleib des königlichen Hauptes interessierte. Neben Historikern gingen auch Gerichtsmediziner aus Frankreich und England ans Werk – und wurden fündig. Mit mo­dernsten forensischen Methoden konnten sie den 217 Jahre lang hin- und her verschobenen Schädel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Heinrichs Haupt identifizieren.

Die sogenannte Radiokarbon-Methode bestätigt: Der Schädel stammt aus der Zeit um 1600. Verschiedene Narben, Zustand von Haupt- und Barthaaren sowie zahnärztlicher Befund entsprechen exakt den sorgfältigen Dokumentationen, die vor 400 Jahren von den behandelnden Ärzten des ermordeten Königs hinterlassen wurden. Mit Hilfe einer Computeranimation konnte das Gesicht des Monarchen rekonstruiert werden; die Übereinstimmung mit zeitgenössischen Porträts und einer Totenmaske aus Gips ist verblüffend.

Auch wenn es mit dem genauen Jubiläumstermin nicht ganz geklappt hat, rechtzeitig vor Ablauf des 400. Todesjahres konnten die Wissenschaftler die Grande Nation mit der Nachricht beglücken, dass nun endlich auch das Haupt ihres „guten Königs“ in Saint-Denis feierlich beigesetzt werden kann. Am 19. November nahm das international renommierte Fachblatt „British Medical Journal“ die Arbeit der Expertengruppe um den Gerichtsmediziner Philippe Charlier an und publizierte sie am 14. Dezember.

Die französische Öffentlichkeit war geradezu elektrisiert, in den Medien verdrängte „Henri Quatre“ Finanzkrise und Rentenalter aus den Seite-1-Schlagzeilen.

Damit rückt auch Saint-Denis, heute Standort des Stadions, in dem Frankreich 1998 seine einzige Fußballweltmeisterschaft errang, ins Zentrum des Geschichtsbewusstseins. Die gotische Basilika aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, nach den Zerstörungen der Revolution im 19. Jahrhundert wiederhergestellt, steht an wahrhaft historischem Ort. Im 4. Jahrhundert wurde hier eine erste Grabkapelle für den 249 enthaupteten ersten Bischof von Paris, den Heiligen Dionysius (Saint Denis) errichtet. 475 folgte eine größere Kirche, 625 ein Kloster. Ab 565 (Arnegunde, Gattin des Frankenkönigs Chlothar I.) wurden hier fast alle merowingischen, karolingischen und später französischen Könige und Königinnen beigesetzt, insgesamt 160 Angehörige der Herrschergeschlechter.

Mit der Grundsteinlegung für den Neubau der Basilika am 9. Juni 1137 wurde nach Ansicht vieler Architekturexperten das Zeitalter der Gotik eingeläutet.

Hans-Jürgen Mahlitz

 

Heinrich IV. und das Edikt von Nantes

Heinrich IV. hat für Frankreich eine ähnlich herausragende Bedeutung wie Fried­rich der Große für Preußen. Es sind die beiden europäischen Herrscher, die sich in beispielloser Weise für Religionsfreiheit eingesetzt haben.

Mit dem Edikt von Nantes beendete Heinrich IV jahrzehntelange, religiös motivierte Bürgerkriege. Mit seiner Politik des inneren und sozialen Friedens leitete er eine langanhaltende Periode wirtschaftlicher, politischer und kultureller Blüte ein. Leider verstanden es seine Nachfolger nicht, an die zukunftsorientierte Politik des „guten Königs“ anzuknüpfen.

Während Preußens Herrscher sich der gleichermaßen religiös und philosophisch begründeten Aufklärung öffneten, verhafteten Frankreichs Könige des 17. und 18. Jahrhunderts in rückwärtsgewandtem Feudal-Absolutismus. Trauriger Höhepunkt: 1685 widerrief Ludwig XIV. das Edikt von Nantes, Hunderttausende Protestanten flohen in die Niederlande, die Schweiz – und nach Preußen.          H.J.M.

Foto: Ein Thema für Wissenschaft und Medien: Der Fund des Kopfes König Heinrichs IV


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