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08.01.11 / Die Singularität in Zweifel gezogen / Mit seiner These, dass der Holocaust in einer Kette weiterer Völkermorde stehe, löste Ernst Nolte 1986 den Historikerstreit aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Die Singularität in Zweifel gezogen
Mit seiner These, dass der Holocaust in einer Kette weiterer Völkermorde stehe, löste Ernst Nolte 1986 den Historikerstreit aus

An seinen Thesen entzündete sich vor 25 Jahren der Historikerstreit, der ihn zu einem der umstrittensten Vertreter seines Faches machte. Doch bis heute steht er zu seiner Analyse der Genese des Dritten Reichs. Am Dienstag begeht Ernst Nolte seinen 88. Geburtstag.

Ernst Nolte wurde am 11. Januar 1923 in Witten geboren. Gleich nach dem Abitur begann er ein Studium der Philosophie, Germanistik und altgriechischen Philologie. Nach dem Staatsexamen wurde er Gymnasiallehrer und promovierte 1952 mit einer ideengeschichtlichen Arbeit. Der wissenschaftliche Durchbruch gelang ihm 1963 mit seiner Habilitationsschrift „Der Faschismus in seiner Epoche“. Bei dieser international anerkannten Arbeit handelte es sich um den ersten Versuch einer vergleichenden Gesamtdarstellung. Nolte analysierte den deutschen Nationalsozialismus, den italienischen Faschismus und die französische „Action Française“ als Varianten eines dominanten epochaltypischen Phänomens der Zwischenkriegszeit. Nach diesem Erfolg wurde er 1965 als Professor für Neuere Geschichte an die Universität Marburg berufen. 1973 wechselte er an die Freie Universität Berlin, wo er bis 1991 wirkte.

Am 6. Juni 1986 veröffentlichte Nolte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen Beitrag, in dem er einen kausalen Zusammenhang zwischen dem „Archipel Gulag“ und Auschwitz herstellte. Darin führte er aus, der Nationalsozialismus habe eine besondere Qualität als Herrschaftsform besessen, sei aber eine Reaktion auf die existenzielle Bedrohung Deutschlands durch die Gräueltaten der Russischen Revolution und der stalinistischen Schreckensherrschaft und damit Teil der gesamteuropäischen Geschichte gewesen. Somit habe der „Rassenmord“ der Nationalsozialisten nicht zu deren ideologischem Wesenskern gehört, sondern sei nur aus Furcht vor dem älteren „Klassenmord“ der jüdisch dominierten Bolschewiki entstanden. Der Holocaust habe also einen „rationalen Kern“ in einem „europäischen Bürgerkrieg“ gehabt, der seit 1917 getobt habe. Gleichzeitig betonte Nolte jedoch, dass die Gräuel der „biologischen Vernichtungsaktionen“ des NS-Regimes die der „sozialen Vernichtung“ durch die Bolschewiki auch dann qualitativ überträfen, wenn man sie in einen Zusammenhang stelle.

Der Gedanke, mit dem Nolte seinen Forschungsansatz begründete, war für einen Historiker eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Früher oder später verfalle jedes Ereignis der Historisierung und werde zum Gegenstand tabu-freier Forschung und Einordnung. Zu dieser Historisierung gebe es nur die Alternative unwissenschaftlicher Mythologisierung. Doch für die Erforschung der deutschen Geschichte sollte das Selbstverständliche offenbar nicht gelten. Noltes Äußerungen kamen einem Tabubruch gleich, rüttelte er damit doch am Konsens der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland. Diesem zufolge habe eine prinzipiell verdächtige deutsche Nationalgeschichte fast schon zwangsläufig zur NS-Diktatur und zu einer kollektiven Verantwortung geführt, die fortan alle Deutschen zu tragen hätten.

Unter diesen Umständen war die Diskussion um Noltes Thesen der rationalen Analyse und sachlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung entzogen. Stattdessen bliesen seine Kritiker zum medialen Generalangriff, der von Unterstellungen und Schuldzuweisungen geprägt war. Neben methodischen und quellenkundlichen Mängeln warfen sie ihm eine „verharmlosende Relativierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mit Hilfe bizarrer Konstruktionen“ (Hans-Ulrich Wehler), Revisionismus, Bestreiten der Singularität und Schaffung von „Verständnis für Hitlers Verbrechen“ (Jürgen Habermas) und „abstruse Assoziationen“ und die „Suggerierung von einem Präventivmord“ (Eberhard Jäckel) vor. Linksliberale und sozialdemokratisch geprägte Wissenschaftler verdächtigten ihn der Vorbereitung einer rechtskonservativen geistigen Wende im Land durch „Hoffähigmachung obrigkeitsstaatlicher Einstellungen“ und warfen ihm eine Ausgrenzung und Kriminalisierung der Linken vor. Rudolf Augstein verstieg sich gar dazu, Nolte und seine Unterstützer als „konstitutionelle Nazis“ zu bezeichnen, die „eine neue Auschwitz-Lüge“ verbreiten würden.

Nur wenige seiner Kollegen wagten sich für Nolte aus der Deckung. Mit scharfen Worten wandten sie sich gegen ideologische Vorurteile, die politisch motivierte „Anklage“ gegen Nolte und den Argumentationsstil seiner Kritiker. Noltes Thesen indes wurden von ihnen nur teilweise inhaltlich verteidigt. Joachim C. Fest brachte die Sache auf den Punkt, indem er schrieb, es sei üblich geworden, „abweichende historische Wahrnehmungen einer Komplizenschaft mit dem Faschismus zu bezichtigen“. Es gehe nicht um wissenschaftliche Befunde, sondern um „häufig bloß vermutete Motive“. Diese „elende Praxis“ werde von Noltes Gegnern nun fortgeführt. Immanuel Geiss kritisierte, die Vorwürfe gegen Nolte kämen einer „öffentlich-moralischen Hinrichtung“ gleich. Dies stelle in letzter Konsequenz einen Angriff auf die Gesellschaftsordnung dar, weil die Kritiker durch die Art ihrer Attacken die Polarisierung weiter eskalieren und mit ihrem „historischen Moralismus“ die freie Diskussion nach rechts abschneiden wollten.

Alle Versuche, die Debatte zu versachlichen und sie von einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zu einem „Historikerstreit“ zurückzuführen, der diesen Namen auch verdiente, scheiterten. Seit dieser Zeit ist Ernst Nolte unter den deutschen Historikern weitgehend isoliert. Dafür, dass er auch heute noch an seinen Thesen festhält, hat er eine gute Begründung: „Historiker haben, so meine ich, geradezu die Pflicht, den jeweils vorherrschenden Ansichten entgegen ‚die andere Seite‘ der Dinge herauszustellen. Ich bin gegen eine einseitige Inkriminierung der deutschen Geschichte.“            Jan Heitmann

Foto: Obwohl fast schon geächtet, hält er an seinen Überzeugungen fest: Der Historiker Ernst Nolte


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