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08.01.11 / Schlesische Autonomisten regieren mit / »Bewegung für die Autonomie Schlesiens« (RAS) holte 8,5 Prozent – Einige Irritation in Warschau, aber faire Reaktion von Donald Tusk

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-11 vom 08. Januar 2011

Schlesische Autonomisten regieren mit
»Bewegung für die Autonomie Schlesiens« (RAS) holte 8,5 Prozent – Einige Irritation in Warschau, aber faire Reaktion von Donald Tusk

In und um Oberschlesien tobt  ein heftiger Meinungsstreit. Auslöser war das gute Wahlergebnis der schlesischen Autonomisten bei den Kommunalwahlen vom 21. November. Mit ihren 8,5 Prozent (122781 Stimmen) zog die „Bewegung für die Autonomie Schlesiens“ (RAS) erstmals in den Sejmik der Woiwodschaft Schlesien ein, wo ihre drei Abgeordneten fortan zusammen mit der Bürgerplattform (PO) und der Bauernpartei (PSL) die Bezirksregierung stellen. Während die RAS in den großen nicht-schlesischen Gebieten der Woiwodschaft erwartungsgemäß bedeutungslos blieb, erreichte sie im Wahlbezirk Königshütte-Hindenburg 17,5 Prozent, im Wahlbezirk Kattowitz 15,9 Prozent und im Wahlbezirk Rybnik 14,5 Prozent.

Selbst innerhalb der liberalen Bürgerplattform stieß der Schwenk der regionalen Parteiführung von der bisherigen Koalition mit dem postkommunistischen Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) und der Bauernpartei hin zu einer Verbindung mit der mutmaßlich „separatistischen“ RAS auf Unverständnis. Auch prominente Politiker wie Staatspräsident Bronislaw Komorowski oder der in Schlesien geborene Präsident des Europaparlaments Jerzy Buzek warnten vor einer weiteren Stärkung der Autonomiebestrebungen.

Andererseits gab es auch Stimmen wie die des Ministerpräsidenten Donald Tusk, eines bekennenden Kaschuben, der den Streit mit den Worten kommentierte: „Im Oppelner Sejmik kooperierten wir [die Bürgerplattform] mit der deutschen Minderheit. Ich sehe also keinen Grund, weshalb wir nicht mit den Oberschlesiern zusammenarbeiten sollten, für die ihre Geschichte wohl mehr oberschlesisch ist, als es aus der Warschauer, Danziger oder Bialystoker Perspektive aussieht.“ Tusk betonte, dass ihm die Idee autonomer Regionen nicht fremd sei und er keineswegs allergisch reagieren werde, wenn lokale Gemeinschaften darüber diskutierten.

Allem Widerspruch zum Trotz erinnerte der RAS-Vorsitzende Dr. Jerzy Gorzelik bereits kurz nach dem Wahlerfolg an sein Hauptziel einer Wiedereinführung der Autonomie in Schlesien sowie an das Versprechen, innerhalb des nächsten Jahrzehnts eine Volksbefragung darüber durchzusetzen. Der seit 2003 amtierende 39-Jährige ist die Galionsfigur der Autonomis-ten; in Kattowitz brachte er es als Direktbewerber auf immerhin 6,5 Prozent. Mit ihm wird die RAS weiterhin frischen Wind in die nach 1945 jahrzehntelang brutal anti-deutsch und polnisch-zentralistisch bestimmte Politik dieser mitteleuropäischen Region bringen. Der in Hindenburg (Zabrze) geborene Kunsthistoriker Gorzelik verkörpert wie kein anderer den rund um Gleiwitz, Beuthen und Kattowitz verbreiteten Wunsch nach Dezentralisierung des polnischen Staates mit weitgehender Eigenständigkeit Oberschlesiens. Denn, so Gorzelik in einem Interview mit dem Magazin „Oberschlesien“ vom April 2009: „Autonome Regionen werden einfach besser regiert ... Sie [die Autonomie] ... erhöht das Engagement der Bevölkerung.“

Als Vorbild gilt der am 15. Juli 1920 durch den polnischen Sejm verkündete und nach 1922 umgesetzte Sonderstatus der Woiwodschaft Schlesien in der Zwischenkriegszeit. Dieser bezog sich auf den nach dem Ersten Weltkrieg Polen zuerkannten Ostteil des Landes und wurde 1945 von den Kommunisten bewusst aufgegeben.

Am 17. Juli dieses Jahres sorgte in der Gebietshauptstadt Kattowitz zum vierten Mal ein „Autonomie-Marsch“ von mehr als tausend meist jungen Anhängern für Aufsehen. Ansonsten zeigt sich die Wut über die „Entmündigung der Regionen“ und die administrative Zerschneidung Oberschlesiens in die Woiwodschaften Schlesien und Oppeln vor allem an den bei allerlei Festen gezeigten gelb-blauen Landesfahnen, provokanten Transparenten und Sprechchören in Fußballstadien sowie im demonstrativen Gebrauch des oberschlesischen Dialekts. Dieser ist vom Polnischen abgeleitet, steckt jedoch voller Germanismen. Losungen wie „Nie Polak, nie Niemic – Slazak“ („Kein Pole, kein Deutscher – Schlesier“) drücken die komplexe Identität von Jerzy Gorzeliks Anhängerschaft aus. Ein eher positives Deutschenbild und die Forderung nach voller Anerkennung der deutschen Volksgruppe in Oberschlesien als „integraler Bestandteil unseres kulturellen Erbes“ (Gorzelik) sind für die aus der alteingesessenen Bevölkerung stammenden Autonomisten selbstverständlich. „Die Vielsprachigkeit der Region, die zerstört und zertreten wurde, erfuhr leider keine Wiedergeburt“, solche Äußerungen bringen Gorzelik und seine gleich nach dem Ende des Sowjetimperiums gegründete Partei immer wieder in Konflikt mit der Warschauer Regierung und Teilen der nach 1945 zugewanderten Polen, die seither in der Mehrheit sind. Martin Schmidt


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