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15.01.11 / Streit um Heisigs Vermächtnis / Wollte die bekannte Jugendrichterin in die Politik? Buschkowsky attackiert Stadtkewitz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Streit um Heisigs Vermächtnis
Wollte die bekannte Jugendrichterin in die Politik? Buschkowsky attackiert Stadtkewitz

Kirsten Heisigs Tod bleibt Gegenstand dunkler Spekulationen. Doch damit nicht genug: Nun ist zudem Streit darüber entstanden, ob die im vergangenen Juli ums Leben gekommene Berliner Jugendrichterin auch ein politisches Vermächtnis hinterließ. 

Erst im November gewährte die Berliner Justiz nach langem juristischen Ringen Einblick in die Ermittlungen zum Tod der streitbaren Juristin – und warf damit neue Fragen auf. Wo blieb ihr Hund, den sie zum Schutz stets bei sich hatte? Wie ist die mysteriöse Erhängungssituation zu erklären, im Rahmen des allzu rasch zum Selbstmord erklärten Todes?

Nun tauchte mitten im anlaufenden Berliner Landtagswahlkampf noch eine ganz andere Frage auf: Es geht um die mutmaßlichen politischen Ambitionen von Kirsten Heisig. Die existierten bisher nur als Gerücht. Zum Jahresanfang jedoch zitierte der „Spiegel“ den CDU-Aussteiger René Stadtkewitz, Heisig habe sich als „Gesicht“ seiner neuen bürgerlichen Partei „Die Freiheit“ zur Verfügung stellen wollen. Ihr Erbe erscheint seither in neuem Licht: War Heisig gar Strippenzieherin einer neuen Bürgerbewegung in einer Zeit, in der „Wutbürger“ zum Wort des Jahres avancierte?

Stadtkewitz sieht sich seit seiner Enthüllung massiver Kritik ausgesetzt – Heinz Buschkowsky (SPD), Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln und Weggefährte Heisigs, tut die Behauptung, die Richterin hätte eine politische Karriere an der Seite von Stadtkewitz geplant, als „absurd“ ab. Die Veröffentlichung seiner Aussagen über Heisig Pläne sei so nicht geplant gewesen, verteidigt sich Stadtkewitz gegenüber der PAZ. Entnervt über eine Presse, die über seine Partei schreibt, ohne je mit ihm gesprochen zu haben, habe er schließlich dennoch eingewilligt, sich von einem Journalisten eine Weile begleiten zu lassen. Dass ein „Spiegel“-Interview daraus entstünde, in dem Heisig posthum an die Spitze seiner Partei gestellt werde, habe ihn anfangs eher erschrocken, sagt er. Doch: „Ja, es ist wahr, dass von meinem Treffen mit ihr ein Startsignal ausging wie von keinem anderen.“

Es sei ein Gespräch zum Ausloten von Möglichkeiten gewesen, eines von vielen in der Gründungsphase der Partei, so Stadtkewitz. So vage die Pläne gewesen seien, so fest beschreibt er das Einverständnis mit der engagierten Richterin. Durch ihren plötzlichen Tod bleibt indes offen, wie weit sie ihrem Einsatz politisch Form geben wollte. So hinterlässt Heisig bisher vor allem ihr Neuköllner Modell beschleunigter Strafverfahren für junge Täter und ihr Buch „Das Ende der Geduld“. Ziel des Modells sind keine härteren Urteile, sondern kürzere Zeitspannen zwischen Tat und Ahndung.

Heisig wollte eine Antwort des Staates vor allem auf die vielen jungen Täter mit Immigrationshintergrund. Sie sollten abgeschreckt werden. Ihr Vorschlag, ein geschlossenes Heim für kriminelle Jugendliche einzurichten, wird wie manch anderer Baustein ihres im Buch formulierten Credos bislang vor allem heiß diskutiert. Zwar sollen geschlossene Heime in Berlin nun umgesetzt werden, wie viel von Heisigs Erfahrungen dabei erhalten bleibt, ist offen. Beschleunigte Verfahren à la Heisig werden in anderen Bundesländern praktiziert, aber nur bei einem Bruchteil der dortigen Jugendstrafsachen. Kurzum: Ihr Erbe bleibt unvollständig. Ja, es droht bereits vergessen zu werden – wegen des Widerstands der Parteien. Heisig ahnte das.

Mit Stadtkewitz teilte sie glaubhaft die Erkenntnis, dass bisherige Partei- und Integrationspolitik gescheitert und die Zeit zum Handeln gekommen sei. „Die Leute verstehen nicht, dass die dritte und vierte Generation der Zuwanderer schwerer zu erreichen sein wird als die Generationen zuvor, unsere Handlungsmöglichkeiten weiter schwinden“, so Stadtkewitz – Heisig habe das verstanden. „Sie war an den Schulen, hat unermüdlich Überzeugungsarbeit geleistet und darüber ihre Familie verloren“, so der Politiker.

Lange war die Jugendrichterin nach eigenen Angaben von Vorgesetzten und Politik angefeindet und ausgegrenzt worden. Ihre Antwort, das „Neuköllner Modell“, nennt Stadtkewitz seit ihrem Tod „Kirsten-Heisig-Modell“. Spätestens mit dem nahenden Erscheinen ihres Buches im Frühjahr habe Heisig am Scheideweg gestanden. Sie habe sich um ihr Leben Gedanken gemacht, „wollte keine 19 Jahre mehr Richterin sein“, sagt Stadtkewitz. Bei ihrem zweiten Treffen im März, bei dem es um eine mögliche Parteigründung gegangen sei, sagte sie demnach: „Diesmal sage ich nicht nein!“ Indes, schränkt der Ex-CDU-Politiker ein: „Kirsten Heisig wollte ganz sicher nicht eine Partei aufbauen.“

Heisig hatte da bereits einen langen Weg hinter sich, neigte laut Weggefährten einst zur Sozialdemokratie. Vor ihrem Tod fühlte sie sich in keiner Partei verstanden. So haben sich im Frühjahr möglicherweise zwei Akteure in der „Findungsphase“ gefunden. Zwei Szenarien, so Stadtkewitz, habe er mit ihr für die Zeit nach ihrem Buch besprochen: Sie hätte sich beurlauben lassen, sich eine Weile angeschaut, ob sie so etwas wie Parteiarbeit machen will. Heisig habe verstärkten Druck gefürchtet. Befangenheitsanträge gegen eine Richterin, die deutlich Kritik äußert, seien vorhersehbar gewesen. Für diesen zweiten Fall rechnete sie laut René Stadtkewitz mit einer Versetzung irgendwohin, wo sie nichts mehr hätte bewegen können. Dann wäre die kaltgestellte Richterin, folgt man Stadtkewit’ Darstellung, womöglich in die Politik gegangen wie einst in Hamburg „Richter Gnadenlos“ Ronald Schill – angefeindet, aber im Unterschied zu ihm besser beraten. Sverre Gutschmidt


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