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15.01.11 / Viel Doppelmoral bei Wikileaks

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Gastbeitrag
Viel Doppelmoral bei Wikileaks
von Philip Baugut

Dass der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist, befand der Literatur-Nobelpreisträger George Bernard Shaw in einem geflügelten Wort. Auch in der Debatte um die Enthüllungsplattform Wikileaks treten Gutmenschen auf. Am Horizont sehen sie eine Welt ohne Geheimpolitik und Herrschaftswissen. Totale Transparenz, wohin das revolutionäre Auge blickt. Wer wollte diesem Ziel widersprechen, wo doch viele Krisen dieser Tage vom Versagen öffentlicher Kontrolle zeugen?

Den Weg zu mehr Transparenz beschreiten zwei Gruppen: Die eine erkennt, wie steinig er ist. Sie will ihn behutsam gehen und die Demokratie Stück für Stück reformieren. Die andere Gruppe eilt ihrem Ziel unbeirrbar entgegen. Sie will nicht weniger als eine andere Welt. Schon 1996 verfasste der Musiker John Perry Barlow eine „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“, die zeigt, wes Geistes Kind mancher Netzaktivist ist. „Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht mehr.“

Rund 15 Jahre später wittern revolutionäre Kräfte wieder Morgenluft, die ihnen der Australier Julian Assange mit Wikileaks verschafft. Er mobilisiert Trittbrettfahrer, die auf den rasend schnellen Internet-Zug springen und hoffen, dass er die verhassten politischen Vehältnisse aus dem Weg räumt. Entlarvend ist denn auch die Ecke, aus der Wikileaks Beifall erhält. Feierlich erklärt die Links-Fraktion im Bundestag ihre Solidarität mit den Unterstützern von Wikileaks. Was die Plattform und ihre Anhänger tun, sei durch die sogenannte Hackerethik gedeckt. Ein nützlicher Begriff, um das illegale Eindringen in fremde Computer zu rechtfertigen. Während Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung der Vorwurf entgegengeschleudert wird, der Zweck heilige nicht die Mittel, nimmt man es auf dem Weg zu totaler Transparenz nicht ganz so genau. Diese Doppelmoral hat es bis in die Tagesschau geschafft. Die ARD-Sendung berichtete über die kriminellen Hackerangriffe auf Internetseiten, die die Zusammenarbeit mit Wikileaks kündigten. Sie erschienen als unumgänglicher Schritt hin zu mehr Demokratie, als in diesem Zusammenhang ein „Experte“ des „Chaos Computer Clubs“ über den Beginn eines neuen demokratischen Zeitalters schwadronieren durfte. Diese Dialektik erinnert nicht zuletzt an die RAF, deren Gewalt mancher Linke verharmlost, weil er die Ziele der Terroristen teilt.

Paradox ist dabei, dass der Schuss derer, die mit kriminellem Eifer für mehr Transparenz kämpfen, zum glatten Gegenteil führt. Denn in der Politik gibt es einen Grundbedarf an vertraulicher Kommunikation, die notfalls in kleine, intransparente Gesprächszirkel verlagert wird. Diese Gegenreaktion wird umso stärker ausfallen, je aggressiver Wikileaks Transparenz herstellen will. Egal, aus welcher Richtung das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit kommt, es wirft immer einen Schatten, in dem die zentralen politischen Entscheidungen fallen. Dieses Katz-und-Maus-Spiel zwischen Wiki­leaks und der Politik kennt keine Gewinner, wohl aber Verlierer: Bürger, denen der politische Prozess verborgen bleibt.

Politiker werden sich bei heiklen Dingen genau überlegen, ob sie die Tür zur Öffentlichkeit überhaupt öffnen. Wer sie auch nur einen Spalt weit aufmacht, muss damit rechnen, dass alle Informationen nach draußen dringen. „Wikileaks bestraft jeden, der nicht totale Transparenz bietet, belohnt aber das vollkommene Fehlen von Transparenz“, analysiert der Technik-Philosoph Jaron Lanier. Am Ende beschränkt sich die öffentliche Politik auf weichgespülte Werbung für Entscheidungen, die längst in trockenen Tüchern sind.

Freilich sollen Journalisten keine Hofberichterstatter sein, die artig fragen, welche Informationen sie veröffentlichen dürfen. Doch eine gefährliche Grenze wird überschritten, wenn sie illegal an fragwürdige Informationen gelangen und sich nicht um die Folgen ihrer Veröffentlichung scheren. Ein guter Journalist ist immer auch Verantwortungsethiker. Er sollte um die Instrumentalisierung durch jene wissen, die ihm Geheimes zuspielen. Es ist naiv zu glauben, Wikileaks-Informanten gehe es um die Aufklärung der Öffentlichkeit im Sinne demokratischer Ideale. Vielmehr betreiben sie knallharte Interessenpolitik, die umso erfolgreicher ist, je interessierter sich die klassischen Medien auf das Wikileaks-Material stürzen und ihm zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. Diese Medien sollten ihren Schlagzeilen-Lieferanten Wikileaks nicht schonen, sondern danach fragen, wie es um dessen eigene Transparenz bestellt ist. Zu wenig ist über Arbeitsweise und Finanzierung der Enthüllungsplattform bekannt. Angeblich wird das zugespielte Material sorgfältig überprüft und ausgewählt. Doch im Dunkeln bleibt, nach welchen Kriterien das geschieht und welchen Einfluss die Wikileaks-Spender darauf haben.

Das ist umso bedauerlicher, als Wiki­leaks der Demokratie sehr wohl nutzen könnte. Hierfür müsste sich die Plattform aber von Trittbrettfahrern distanzieren, die kriminelle Handlungen ideologisch verbrämen. Das Ziel einer offenen Demokratie rechtfertigt nicht jedes Mittel. Auch wenn eine Demokratie Öffentlichkeit braucht wie der Mensch die Luft zum Atmen, könnten ihr am Ende ausgerechnet die eifrigsten Kämpfer für Transparenz schaden.

Transparenz sollte vielmehr dort eingefordert werden, wo der Begriff nur ein Fremdwort ist. Das politische System Deutschlands ist bestimmt nicht der Patient, der am dringendsten behandelt werden muss. Und andere Länder kranken so an ihren undemokratischen Strukturen, dass Wikileaks dagegen nichts ausrichten kann, ohne das Leben potenzieller Informanten zu gefährden. Die selbsternannten Enthüller sollten ihre Energie daher auf die Finanz­welt konzentrieren, in der Transparenz das Gebot der Stunde ist.

Allein die von Assange angekündigten Enthüllungen über Praktiken einer US-Großbank sorgen in der Branche für heilsame Unruhe. Riskante Geschäfte könnten verhindert werden. Banken, die etwas zu verheimlichen haben, könnte Wikileaks in ein Dilemma bringen: Entweder müssen sie völlig transparent handeln und ihre Geschäftspolitik öffentlicher Kontrolle unterwerfen, oder aber ihre Geheimnisse besser hüten. Dabei laufen sie jedoch Gefahr, aufgrund undurchsichtiger Geschäftspolitik Kunden an die Konkurrenz zu verlieren.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem hat Wikileaks aber auch, wenn es sich zur Kontroll­instanz der Finanzwirtschaft aufschwingt. Die Plattform finanziert sich über ein undurchsichtiges Netz, in dem wohlfeile Forderungen an die Wirtschaft nicht verfangen.

Der Weg zu mehr Transparenz ist von Widersprüchen gepflastert. Je mehr die Plattform Hinterzimmer ausleuchtet, umso klarer treten ihre Schattenseiten hervor. Und je radikaler Wikileaks vorgeht, desto weniger wird es seinen hohen Ansprüchen gerecht. Es scheint, als würden sich die selbsternannten Weltverbesserer einmal mehr verrennen. 

 

Philip Baugut (* 1983) ist Politologe an der Universität München, sein Schwerpunkt ist die Medialisierung der Politik.


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