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15.01.11 / Tiefer Blick in den Himmel über Berlin / Vor 300 Jahren wurde in Preußens Metropole die erste Sternwarte in Betrieb genommen – zunächst ohne eigenes Fernrohr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Tiefer Blick in den Himmel über Berlin
Vor 300 Jahren wurde in Preußens Metropole die erste Sternwarte in Betrieb genommen – zunächst ohne eigenes Fernrohr

Vor 300 Jahren – das Königreich Preußen war gerade einmal neun Jahre jung – wurde die Berliner Sternwarte feierlich in Betrieb genommen, eine Institution mit durchaus glanzvoller Geschichte, anfangs allerdings ohne Teleskop.

Der „Himmel über Berlin“ war wohl schon immer etwas Besonderes. 1987 regte er den Regisseur Wim Wenders zu einem preisgekrönten Filmepos an, drei Jahrhunderte zuvor den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zur Schaffung einer Sternwarte.

Letzteres mag aus heutiger Sicht etwas unpassend wirken – schließlich finden wir die Europäische Großsternwarte im 12500 Kilometer entfernten Chile. Aber damals, im ausgehenden 17. Jahrhundert, war der Himmel über Berlin noch ziemlich sauber, ungetrübt von Industrie- und Verkehrsabgasen. Und die Fernrohre waren auch noch nicht so leis­tungsstark, dass ihnen die „Lichter der Großstadt“ oder ein paar tausend Höhenmeter mehr oder weniger Luft etwas ausgemacht hätten.

Freilich hatte der Kurfürst nicht nur Himmlisches im Sinne, als er – den Ideen Gottfried Wilhelm Leibniz’ folgend – die Gründung der Sternwarte erwog. Er wollte ja baldmöglichst sein Brandenburg-Preußen zum Königreich machen. Und das sollte den damaligen europäischen Großmächten ebenbürtig sein, auf allen Gebieten, nicht nur, wie später von antipreußischen Umerziehern behauptet, im militärischen Sinne.

So hob der nachmalige König Friedrich I. in Preußen kurz vor dem Krönungsakt am 18. Januar 1701 in Königsberg die zunächst kurfürstlich-brandenburgische, wenig später bereits königlich-preußische „Societät der Wissenschaften“ aus der Taufe. Der Alte Fritz machte daraus die „Königliche Akademie der Wissenschaften“ – die Keimzelle der „Kaiser-Wilhelm-“ und heutigen „Max-Planck-Gesellschaft“.

Da Preußens erster König aber ein sparsamer Mensch war, wollte er seine Akademie zwar auf gleichem Niveau haben wie die Institutionen in Rom, London und Paris, dies aber möglichst zum Nulltarif. Da kam ihm zustatten, dass es ihm noch als Kurfürst gelungen war, die protestantischen Reichsstände zur Übernahme des – katholischen – Gregorianischen Kalenders zu bewegen und sich damit eine lange sprudelnde Geldquelle zu erschließen: Er verlieh der noch gar nicht existierenden Berliner Sternwarte das Kalenderprivileg. 100 Jahre lang durften nur die höfischen Astronomen den jährlichen Kalender berechnen, in Druck legen und gegen stattliche Gebühren verkaufen. Bis 1811 war dies die Haupteinnahmequelle der Akademie der Wissenschaften; erst danach übernahm der Staat die Finanzierung.

Mit der Umsetzung taten die Berliner sich allerdings schwer. Zunächst einmal bestand die neue Sternwarte nur aus ihrem Gründungsdirektor Gottfried Kirch, der sich eher als Bauleiter denn als Astronom hervortat. Den Himmel über Berlin konnte er nur mit Hilfe privater Geräte beobachten, immerhin aber gemeinsam mit seiner Frau Maria Margaretha anno 1702 einen Kometen entdecken. In irdischen Sphären war Kirch erfolgreicher. Unter seiner Regie wurde der Marstall, der Unter den Linden Platz für 200 Pferde in königlichen Diensten bot, zur Dorotheenstrasse hin um ein fünfstöckiges, 27 Meter hohes Turmgebäude erweitert. 1709 zog hier die „Societät der Wissenschaften“ ein und begann, ihr spärlich bestücktes Observatorium einzurichten. Die erste Arbeitssitzung fand am 15. Januar 1711 statt, die feierliche Eröffnung vier Tage später, am 19. Januar. Gottfried Kirch, Berlins erster Königlicher Astronom, erlebte dies nicht mehr mit, er war am 25. Juli 1710 verstorben.

Obwohl der Berliner Sternwarte lange Zeit das Wichtigste fehlte, nämlich ein leistungsfähiges Te­leskop, konnte sie herausragende wissenschaftliche Leistungen verbuchen. Joseph Louis Lagrange entdeckte hier die sogenannten Librationspunkte, an denen sich die Gravitations- und Zentrifugalkräfte aller Massen im Sonnensystem aufheben. An solchen Punkten wurden vor zwei Jahren die europäischen Weltraumteleskope Herschel und Planck platziert.

Johann Bernoulli und Johann Elert Bode gründeten 1774 das Berliner Astronomische Jahrbuch, das bis 1959 erschien und zur weltweit längsten astronomischen Publikationsreihe wurde.

Im Astronomischen Jahrbuch 1804 veröffentlichte Johann Georg von Soldner eine Arbeit über die mögliche Krümmung des Lichts in einem Schwerkraftfeld. 111 Jahre später griff Albert Einstein diesen Gedanken in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie auf. Experimentell bewiesen wurde er erst 1919 bei einer Sonnenfinsternis.

Zu den bedeutendsten Astronomen, die an der Berliner Sternwarte wirkten, zählte Friedrich Wilhelm Bessel, zuvor von 1810 bis 1846 Direktor des Königsberger Observatoriums. Ihm gelang es erstmals, die Entfernung eines Fixsterns exakt zu messen.

In Berlin hatte Bessel bereits deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen vorgefunden. Gefördert von Alexander von Humboldt, hatte Sternwartendirektor Johann Franz Encke König Friedrich Wilhelm III. den Bau einer neuen Sternwarte am damaligen Berliner Stadtrand abgerungen. Karl Friedrich Schinkel baute an der Friedrichstrasse im heutigen Bezirk Kreuzberg ein neues Observatoriumsgebäude, das am 24. April 1835 bezogen werden konnte. Zuvor hatte der König bereits 8500 Taler für ein Großfernrohr locker gemacht. Das Refraktor-Teleskop von Joseph von Fraunhofer, 1829 in Berlin aufgebaut, ist längst wieder in seine „Heimat“ zurückgekehrt und heute im Deutschen Museum zu München zu besichtigen.

Den spektakulärsten Erfolg konnte die Berliner Sternwarte 1846 verbuchen. Schon seit einigen Jahren hatten Astronomen und Mathematiker vermutet, dass es an der Grenze des Sonnensystems einen weiteren Planeten geben müsse; sie schlossen dies aus ansonsten unerklärlichen Unregelmäßigkeiten der Bahn des Planeten Uranus. Johann Gottfried Galle griff diese Hinweise auf, verglich sie mit dem gut dokumentierten Sternkartenmaterial der Sternwarte. Gemeinsam mit Direktor Encke und dem Assis­tenten Heinrich d’Arrest wurde er in der Nacht vom 23. zum 24. September 1846 fündig: Ein winziger Lichtpunkt am Himmel über Berlin konnte zweifelsfrei als der achte Planet des Sonnensystems identifiziert werden. Heute weiß man, dass Neptun mit 50000 Kilometer Durchmesser und der fast 60-fachen Erdmasse der viertgrößte Planet der Sonne ist.

1913 musste die Berliner Sternwarte erneut umziehen. In Potsdam wurde sie Teil der Sternwarte Berlin-Babelsberg. In Berlin verblieb nur noch die 1889 gegründete Volkssternwarte im Urania-Gebäude.      Hans-Jürgen Mahlitz


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