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15.01.11 / Gefährliches Wechselspiel / Eine Ausstellung in Berlin widmet sich dem Phänomen »Gerücht« und seinen verschiedenen Facetten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-11 vom 15. Januar 2011

Gefährliches Wechselspiel
Eine Ausstellung in Berlin widmet sich dem Phänomen »Gerücht« und seinen verschiedenen Facetten

Ob im Treppenhaus, auf dem Schulhof, in der Kantine, beim Friseur oder an der Börse – wo Menschen zusammenkommen, tauchen früher oder später Gerüchte auf. Ein Grund für das Berliner Museum für Kommunikation, diesem Thema eine Ausstellung zu widmen.

Zu den wohl schönsten Volksstücken, die das Hamburger Ohnsorg-Theater jemals aufgeführt hat, gehört der Schwank „Tratsch im Treppenhaus“ mit Heidi Kabel und dem aus Stralsund stammenden Henry Vahl. Die Geschichte um Meta Boldt, die sich mit ihren zusammengereimten Halbwahrheiten bei allen Hausbewohnern in die Nesseln setzt und ihr loses Mundwerk nicht halten kann, wird immer wieder vom NDR Fernsehen ausgestrahlt.

Das Gerücht ist Hörensagen und Nacherzählen, ein Wechselspiel von Weglassen und Hinzuerfinden. Gerüchte genießen einen zweifelhaften Ruf. Manche helfen tatkräftig bei ihrer Verbreitung mit, mal unbewusst, mal voller Lust. Die Ausstellung macht die verschiedenen Facetten des ebenso flüchtigen wie faszinierenden Phänomens „Gerücht“ erlebbar – von Vorurteilen über Verschwörungstheorien bis zu Legenden. Politik und Wirtschaft als Orte der Entstehung und Verbreitung von Gerüchten stehen dabei neben Boulevard, Klatsch und Tratsch. Die Besucher werden mit Fragen wie „Essen alle Chinesen Hunde?“ konfrontiert und begegnen Legenden wie der „Spinne in der Yuccapalme“, dem verschwundenen „Bernsteinzimmer“ oder der „achten“ kanarischen Insel San Borondón.

„Empfangen werden die Gäste von der Gerüchtegöttin ,Fama‘. Im ,Flüsterwald‘ raschelt und raunt es nur so von erhellenden wie überraschenden Geschichten rund um das Gerücht“, wecken die Ausstellungsmacher die Neugierde auf die Schau in Berlin. „Die Besucherinnen und Besucher können sich mit den neugierigen ,Gerüchtagenten‘ austauschen oder am ,Gerüchtegenerator‘ selber Gerüchte produzieren. Schließlich absolvieren sie einen Schnellkurs zum ,Rumor Fighter‘, zum Gerüchte-Bekämpfer – und sind künftig für den Umgang mit Gerüchten bestens gewappnet.“ Die Ausstellung ist in 13 Themenbereiche gegliedert. – Die Menschen tratschen gerne und lustvoll – über Familie, Freunde, über Liebschaften, Geldsorgen, Karrieresprünge und Partyabstürze. Doch das gegenseitige Austauschen von Gerüchten macht nicht nur Spaß, es hat auch eine gesellschaftliche Funktion. Der Erzähler als vermeintlicher Aufklärer teilt mehr oder weniger wertvolle Neuigkeiten und Wissen mit. Auf diese Weise werden gemeinsame Werte gefestigt und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bestätigt. Vorurteile gegenüber Fremden entspringen der unterschwelligen Angst und dem Misstrauen gegenüber dem Unbekannten. Aus dem reichen Fundus an Halbwissen über fremde Kulturen und Sitten entstehen Stereotype. Bleiben sie lang genug in Umlauf, verdichten sich die Gerüchte zu Vorurteilen. Früher wurden für Krankheiten, Missernten und anderes Leid oft sozial schwache Mitglieder der Gemeinschaft verantwortlich gemacht. Als Schuldige eigneten sich besonders Mitmenschen, über die bereits Gerüchte und Vorurteile kursierten. Am Ende des Teufelskreises standen oft Verbannung oder Todesurteil.

Es heißt, im Krieg stürbe als erstes die Wahrheit. Die Behörden und das Militär informieren selektiv über die Ereignisse. Offizielle Meldungen stehen schnell unter dem Verdacht, Propaganda zu sein und es schlägt ihnen oft Misstrauen entgegen. In der Bevölkerung herrschen Ungewissheit und Angst – ein ideales Klima für Gerüchte. „Urban legends“ sind moderne Sagen – Geschichten, die verrückt klingen, aber trotzdem wahr sein könnten. Sie funktionieren wie Gerüchte, werden beim Weitererzählen ausgeschmückt und manchmal den regionalen oder lokalen Gegebenheiten angepasst. Oft durch das Internet verbreitet, wird die „urban legend“ immer mehr zum Gerücht des 21. Jahrhunderts. Überhaupt ist das Internet ein perfektes Medium für Gerüchte: Einerseits vergisst es nichts, andererseits ermöglicht es dem Verbreiter auch noch Anonymität.

Klatschjournalismus ist eine Mischung aus Fakten und Spekulation. Die brodelnde Gerüchteküche ist Unterhaltung – und lukratives Geschäft. Wer schon einmal Opfer eines Gerüchts war, weiß: Es ist schwierig, sich wirkungsvoll dagegen zu wehren. Häufig erfährt das Opfer erst dann vom Gerücht, wenn die Folgen bereits spürbar sind. Mit Gerüchten lässt sich auch gut Politik machen: Behauptungen beeinflussen die öffentliche Meinung mindestens so stark wie Fakten. Verschwörungstheorien entstehen da, wo unerklärliche, unfassbare Ereignisse und kom-plexe Vorgänge die Menschen beschäftigen. Anhänger solcher Theorien vermuten hinter den Vorkommnissen größere Zusammenhänge und dunkle Absichten. Gerüchte sind wesentlicher Bestandteil jeder Verschwörungstheorie.  Gerücht und Macht stehen in einem Wechselspiel. Einerseits benutzen Akteure aus Politik und Wirtschaft Gerüchte zur Sicherung und zum Ausbau ihrer Position. Andererseits ist Macht auch anfällig für Gerüchte. Mit ihnen kann Kritik geübt, Vertuschtes publik gemacht, aber auch Zensur und Redeverbot umgangen werden. Das Gerücht im Sinne einer unverbürgten, nicht bewiesenen Nachricht liegt allen Religionen im Kern zugrunde. Ihre Wahrheiten fußen nicht auf Beweisen sondern auf Glauben. Sagen, so wird behauptet, haben immer einen wahren Kern. Gerüchte über Personen, Orte oder Objekte mit lokaler oder nationaler Bekanntheit, über die gesichertes Wissen fehlt, bleiben oft über Jahrzehnte im kollektiven Gedächtnis haften. Durch vermeintlich „neue“ Erkenntnisse werden sie immer wieder aufgefrischt oder um zusätzliche Aspekte angereichert und weitererzählt. So wandeln sie sich zu modernen Mythen und Legenden und bieten selbst Anlass für neue Gerüchte. Nicht nur der Geschäftsverlauf, auch Spekulationen über den Zustand und die Zukunft eines Unternehmens beeinflussen den Wert der Aktien. Gerüchte werden deshalb als das „Salz der Finanzmärkte“ bezeichnet. So lassen gut lancierte Übernahmemeldungen oder gezielt gestreute Gewinnwarnungen die Händler betreffende Papiere kaufen oder verkaufen. MfK/os

Das Museum für Kommunikation in Berlin, Leipziger Straße 16, ist dienstags von 9 bis 20 Uhr, mittwochs bis freitags von 9 bis 17 Uhr, am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet, bis 27. Februar.


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